Auf meines Kindes Tod von Joseph von Eichendorff

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Das Kindlein spielt' draußen im Frühlingsschein,
Und freut' sich und hatte so viel zu sehen,
Wie die Felder schimmern und die Ströme gehen
Da sah der Abend durch die Bäume herein,
Der alle die schönen Bilder verwirrt.
Und wie es nun ringsum so stille wird,
Beginnt aus den Tälern ein heimlich Singen,
Als wollt's mit Wehmut die Welt umschlingen,
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Die Farben vergehn und die Erde wird blaß.
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Voll Staunen fragt 's Kindlein: »Ach, was ist das?«
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Und legt sich träumend ins säuselnde Gras;
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Da rühren die Blumen ihm kühle ans Herz
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Und lächelnd fühlt es so süßen Schmerz,
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Und die Erde, die Mutter, so schön und bleich,
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Küßt das Kindlein und läßt's nicht los,
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Zieht es herzinnig in ihren Schoß
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Und bettet es drunten gar warm und weich,
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Still unter Blumen und Moos.
 
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»Und was weint ihr, Vater und Mutter, um mich?
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In einem viel schöneren Garten bin ich,
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Der ist so groß und weit und wunderbar,
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Viel Blumen stehn dort von Golde klar,
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Und schöne Kindlein mit Flügeln schwingen
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Auf und nieder sich drauf und singen.
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Die kenn ich gar wohl aus der Frühlingszeit,
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Wie sie zogen über Berge und Täler weit
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Und mancher mich da aus dem Himmelblau rief,
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Wenn ich drunten im Garten schlief.
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Und mitten zwischen den Blumen und Scheinen
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Steht die schönste von allen Frauen,
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Ein glänzend Kindlein an ihrer Brust.
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Ich kann nicht sprechen und auch nicht weinen,
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Nur singen immer und wieder dann schauen
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Still vor großer, seliger Lust.«
 
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Als ich nun zum ersten Male
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Wieder durch den Garten ging,
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Busch und Bächlein in dem Tale
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Lustig an zu plaudern fing.
 
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Blumen halbverstohlen blickten
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Neckend aus dem Gras heraus,
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Bunte Schmetterlinge schickten
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Sie sogleich auf Kundschaft aus.
 
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Auch der Kuckuck in den Zweigen
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Fand sich bald zum Spielen ein,
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Endlich brach der Baum das Schweigen:
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»Warum kommst du heut allein?«
 
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Da ich aber schwieg, da rührt' er
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Wunderbar sein dunkles Haupt,
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Und ein Flüstern konnt ich spüren
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Zwischen Vöglein, Blüt und Laub.
 
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Tränen in dem Grase hingen,
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Durch die abendstille Rund
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Klagend nun die Quellen gingen,
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Und ich weint aus Herzensgrund.
 
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Was ist mir denn so wehe?
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Es liegt ja wie im Traum
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Der Grund schon, wo ich stehe,
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Die Wälder säuseln kaum
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Noch von der dunklen Höhe.
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Es komme wie es will,
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Was ist mir denn so wehe
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Wie bald wird alles still.
 
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Das ist's, was mich ganz verstöret:
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Daß die Nacht nicht Ruhe hält,
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Wenn zu atmen aufgehöret
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Lange schon die müde Welt.
 
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Daß die Glocken, die da schlagen,
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Und im Wald der leise Wind
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Jede Nacht von neuem klagen
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Um mein liebes, süßes Kind.
 
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Daß mein Herz nicht konnte brechen
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Bei dem letzten Todeskuß,
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Daß ich wie im Wahnsinn sprechen
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Nun in irren Liedern muß.
 
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Freuden wollt ich dir bereiten,
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Zwischen Kämpfen, Lust und Schmerz
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Wollt ich treulich dich geleiten
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Durch das Leben himmelwärts.
 
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Doch du hast's allein gefunden
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Wo kein Vater führen kann,
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Durch die ernste, dunkle Stunde
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Gingst du schuldlos mir voran.
 
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Wie das Säuseln leiser Schwingen
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Draußen über Tal und Kluft
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Ging zur selben Stund ein Singen
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Ferne durch die stille Luft.
 
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Und so fröhlich glänzt' der Morgen,
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's war als ob das Singen sprach:
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Jetzo lasset alle Sorgen,
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Liebt ihr mich, so folgt mir nach!
 
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Ich führt dich oft spazieren
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In Wintereinsamkeit,
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Kein Laut ließ sich da spüren,
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Du schöne, stille Zeit!
 
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Lenz ist's nun, Lerchen singen
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Im Blauen über mir,
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Ich weine still - sie bringen
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Mir einen Gruß von dir.
 
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Die Welt treibt fort ihr Wesen,
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Die Leute kommen und gehn,
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Als wärst du nie gewesen,
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Als wäre nichts geschehn.
 
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Wie sehn ich mich aufs neue
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Hinaus in Wald und Flur!
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Ob ich mich gräm, mich freue,
113 
Du bleibst mir treu, Natur.
 
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Da klagt vor tiefem Sehnen
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Schluchzend die Nachtigall,
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Es schimmern rings von Tränen
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Die Blumen überall.
 
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Und über alle Gipfel
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Und Blütentäler zieht
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Durch stillen Waldes Wipfel
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Ein heimlich Klagelied.
 
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Da spür ich's recht im Herzen,
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Daß du's, Herr, draußen bist
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Du weißt's, wie mir von Schmerzen
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Mein Herz zerrissen ist!
 
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Von fern die Uhren schlagen,
128 
Es ist schon tiefe Nacht,
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Die Lampe brennt so düster,
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Dein Bettlein ist gemacht.
 
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Die Winde nur noch gehen
132 
Wehklagend um das Haus,
133 
Wir sitzen einsam drinne
134 
Und lauschen oft hinaus.
 
135 
Es ist, als müßtest leise
136 
Du klopfen an die Tür,
137 
Du hättst dich nur verirret,
138 
Und kämst nun müd zurück.
 
139 
Wir armen, armen Toren!
140 
Wir irren ja im Graus
141 
Des Dunkels noch verloren
142 
Du fandst dich längst nach Haus.
 
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144 
Dort ist so tiefer Schatten,
145 
Du schläfst in guter Ruh,
146 
Es deckt mit grünen Matten
147 
Der liebe Gott dich zu.
 
148 
Die alten Weiden neigen
149 
Sich auf dein Bett herein,
150 
Die Vöglein in den Zweigen
151 
Sie singen treu dich ein.
 
152 
Und wie in goldnen Träumen
153 
Geht linder Frühlingswind
154 
Rings in den stillen Bäumen
155 
Schlaf wohl mein süßes Kind!
156 
10
157 
Mein liebes Kind, ade!
158 
Ich konnt ade nicht sagen
159 
Als sie dich fortgetragen,
160 
Vor tiefem, tiefem Weh.
 
161 
Jetzt auf lichtgrünem Plan
162 
Stehst du im Myrtenkranze,
163 
Und lächelst aus dem Glanze
164 
Mich still voll Mitleid an.
 
165 
Und Jahre nahn und gehn,
166 
Wie bald bin ich verstoben
167 
O bitt für mich da droben,
168 
Daß wir uns wiedersehn!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (38.6 KB)

Details zum Gedicht „Auf meines Kindes Tod“

Anzahl Strophen
31
Anzahl Verse
168
Anzahl Wörter
856
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht stammt vom Joseph Freiherr von Eichendorff, einem bedeutenden Lyriker und Schriftsteller der deutschen Romantik, geboren am 10. März 1788 und verstorben am 26. November 1857. In „Auf meines Kindes Tod“ thematisiert Eichendorff den Tod seines Kindes und der Lyrik die Kämpfe, den Schmerz und die trauernde Verarbeitung seines Verlustes.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht sehr melancholisch und emotional, mit einer starken, negativen Tonlage, die vor allem durch den Tod und die Trauer um das Kind hervorgerufen wird.

Der Inhalt des Gedichts handelt hauptsächlich vom Tod des Kindes des lyrischen Ichs und dessen Reaktion, Trauer und Umgang damit. Das lyrische Ich geht in einem emotionalen, manchmal traumhaften Zustand durch verschiedene Stadien der Trauer: vom ersten Schock und der Verwirrung durch den unerwarteten Verlust bis hin zur allmählichen Akzeptanz und Erkenntnis des unausweichlichen Zustandes des Todes.

Die Sprache und Form des Gedichts sind sehr emotional und malerisch, mit reichen, bildhaften Beschreibungen der Natur und des Lebens des Kindes. Eichendorff nutzt die Romantik und das Ideal der kindlichen Naivität, um seine Trauer und seinen Schmerz zu verarbeiten und gleichzeitig ein schönes Bild seines verstorbenen Kindes zu malen.

Das Gedicht ist in Versen und Strophen strukturiert, mit einer reichen Verwendung von Reimen und Metaphern, um die emotionale Tiefe und Komplexität der elterlichen Trauer zu verdeutlichen. Die wiederkehrenden Themen der Natur und des Todes verweben sich durch das gesamte Gedicht und spiegeln die Verzweiflung und den Schmerz des lyrischen Ichs wider.

Zusammenfassend ist „Auf meines Kindes Tod“ ein intensives und emotionales Gedicht, das die Trauer und den Schmerz über den Tod eines geliebten Kindes auf tiefgründige und bewegende Weise zum Ausdruck bringt. Es ist ein kräftiger Ausdruck von Eichendorffs Fähigkeiten als Dichter und eine berührende Darstellung der Trauer, die jeden Leser bewegt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Auf meines Kindes Tod“ ist Joseph von Eichendorff. Im Jahr 1788 wurde Eichendorff geboren. Zwischen den Jahren 1804 und 1857 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis weit in das 19. Jahrhundert hinein dauerte und sich insbesondere auf den Gebieten der bildenden Kunst, der Literatur und der Musik äußerte. Auch die Gebiete Geschichte, Theologie und Philosophie sowie Naturwissenschaften und Medizin waren von ihren Auswirkungen betroffen. Bis in das Jahr 1804 hinein spricht man in der Literatur von der Frühromantik, bis 1815 von der Hochromantik und bis 1848 von der Spätromantik. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von bedeutenden Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. Als Merkmale der Literatur der Romantik sind die Weltflucht, die Verklärung des Mittelalters, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen aufzuführen. Bedeutende Symbole der Romantik sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Die Stilepoche kennzeichnet sich vor allem durch offene Formen in Texten und Gedichten. Phantasie ist für die Schriftsteller der Romantik das Maß aller Dinge. Die Trennung zwischen Wissenschaft und Poesie, zwischen Wirklichkeit und Traum soll durchbrochen werden. Die Romantiker streben eine Verschmelzung von Kunst und Literatur an. Ihr Ziel ist es, alle Lebensbereiche zu poetisieren.

Das vorliegende Gedicht umfasst 856 Wörter. Es baut sich aus 31 Strophen auf und besteht aus 168 Versen. Der Dichter Joseph von Eichendorff ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Heimat“, „In Danzig“ und „Kurze Fahrt“. Zum Autor des Gedichtes „Auf meines Kindes Tod“ haben wir auf abi-pur.de weitere 395 Gedichte veröffentlicht.

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