Der verliebte Reisende von Joseph von Eichendorff
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Da fahr ich still im Wagen, |
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Du bist so weit von mir, |
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Wohin er mich mag tragen, |
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Ich bleibe doch bei dir. |
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Da fliegen Wälder, Klüfte |
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Und schöne Täler tief, |
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Und Lerchen hoch in Lüften, |
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Als ob dein' Stimme rief. |
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Die Sonne lustig scheinet |
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Weit über das Revier, |
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Ich bin so froh verweinet |
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Und singe still in mir. |
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Vom Berge geht's hinunter, |
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Das Posthorn schallt im Grund, |
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Mein' Seel wird mir so munter, |
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Grüß dich aus Herzensgrund. |
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Ich geh durch die dunklen Gassen |
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Und wandre von Haus zu Haus, |
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Ich kann mich noch immer nicht fassen, |
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Sieht alles so trübe aus. |
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Da gehen viel Männer und Frauen, |
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Die alle so lustig sehn, |
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Die fahren und lachen und bauen, |
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Daß mir die Sinne vergehn. |
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Oft wenn ich bläuliche Streifen |
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Seh über die Dächer fliehn, |
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Sonnenschein draußen schweifen, |
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Wolken am Himmel ziehn: |
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Da treten mitten im Scherze |
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Die Tränen ins Auge mir, |
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Denn die mich so lieben von Herzen |
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Sind alle so weit von hier. |
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Lied, mit Tränen halb geschrieben, |
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Dorthin über Berg und Kluft, |
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Wo die Liebste mein geblieben, |
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Schwing dich durch die blaue Luft! |
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Ist sie rot und lustig, sage: |
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Ich sei krank von Herzensgrund; |
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Weint sie nachts, sinnt still bei Tage, |
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Ja, dann sag: ich sei gesund! |
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Ist vorbei ihr treues Lieben, |
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Nun, so end auch Lust und Not, |
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Und zu allen, die mich lieben, |
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Flieg und sage: ich sei tot! |
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Ach Liebchen, dich ließ ich zurücke, |
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Mein liebes, herziges Kind, |
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Da lauern viel Menschen voll Tücke, |
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Die sind dir so feindlich gesinnt. |
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Die möchten so gerne zerstören |
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Auf Erden das schöne Fest, |
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Ach, könnte das Lieben aufhören, |
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So mögen sie nehmen den Rest. |
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Und alle die grünen Orte, |
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Wo wir gegangen im Wald, |
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Die sind nun wohl anders geworden, |
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Da ist's nun so still und kalt. |
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Da sind nun am kalten Himmel |
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Viel tausend Sterne gestellt, |
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Es scheint ihr goldnes Gewimmel |
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Weit übers beschneite Feld. |
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Mein' Seele ist so beklommen, |
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Die Gassen sind leer und tot, |
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Da hab ich die Laute genommen |
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Und singe in meiner Not. |
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Ach, wär ich im stillen Hafen! |
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Kalte Winde am Fenster gehn, |
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Schlaf ruhig, mein Liebchen, schlafe, |
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Treu' Liebe wird ewig bestehn! |
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Grün war die Weide, |
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Der Himmel blau, |
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Wir saßen beide |
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Auf glänzender Au. |
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Sind's Nachtigallen |
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Wieder, was ruft, |
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Lerchen, die schallen |
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Aus warmer Luft? |
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Ich hör die Lieder, |
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Fern, ohne dich, |
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Lenz ist's wohl wieder, |
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Doch nicht für mich. |
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Wolken, wälderwärts gegangen, |
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Wolken, fliegend übers Haus, |
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Könnt ich an euch fest mich hangen, |
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Mit euch fliegen weit hinaus! |
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Tag'lang durch die Wälder schweif ich, |
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Voll Gedanken sitz ich still, |
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In die Saiten flüchtig greif ich, |
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Wieder dann auf einmal still. |
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Schöne, rührende Geschichten |
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Fallen ein mir, wo ich steh, |
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Lustig muß ich schreiben, dichten, |
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Ist mir selber gleich so weh. |
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Manches Lied, das ich geschrieben |
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Wohl vor manchem langen Lahr, |
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Da die Welt vom treuen Lieben |
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Schön mir überglänzet war; |
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Find ich's wieder jetzt voll Bangen: |
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Wer ich wunderbar gerührt, |
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Denn so lang ist das vergangen, |
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Was mich zu dem Lied verführt. |
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Diese Wolken ziehen weiter, |
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Alle Vögel sind erweckt, |
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Und die Gegend glänzet heiter, |
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Weit und fröhlich aufgedeckt. |
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Regen flüchtig abwärts gehen, |
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Scheint die Sonne zwischendrein, |
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Und dein Haus, dein Garten stehen |
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Überm Wald im stillen Schein. |
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Doch du harrst nicht mehr mit Schmerzen, |
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Wo so lang dein Liebster sei – |
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Und mich tötet noch im Herzen |
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Dieser Schmerzen Zauberei. |
Details zum Gedicht „Der verliebte Reisende“
Joseph von Eichendorff
33
117
560
1810/1812
Romantik
Gedicht-Analyse
Das vorgelegte Gedicht „Der verliebte Reisende“ stammt eher zweifelsfrei von dem Autor Joseph von Eichendorff, einem der bedeutendsten Lyriker der deutschen Romantik, der von 1788 bis 1857 gelebt hat.
Auf den ersten Eindruck erzählt das Gedicht die Geschichte einer innigen Sehnsucht – eine Erfahrung, die typisch für die Romantik ist.
Der Inhalt des Gedichts lässt sich wohl als Ausdruck einer tiefen Liebe und Sehnsucht zu einer geliebten Person interpretieren, die von dem lyrischen Ich räumlich getrennt ist. Durch die vielen verschiedenen Landschaftsschilderungen scheinen die Verse darüber hinaus auch eine Reise darzustellen. Das Ich ist auf Reisen, physisch entfernt von der geliebten Person, sie dennoch ständig gedanklich und im Herzen bei sich tragend.
Die Form des Gedichts zeigt Merkmale eines Liedes oder Ballade. Es besteht aus vielen Strophen mit konstanter Verszahl, bis auf ein paar Ausnahmen, die in ihrer Einzeiligkeit eine Art Refrain zu bilden scheinen. Die Reimform ist in der Regel ein Kreuzreim. Die Sprache des Gedichts zeichnet sich aus durch eine sehr bildhafte, metaphorische Ausdrucksweise. Emotionen werden stark mit physischen Elementen wie Wäldern, Klüften, Sternen oder dem Wetter verbunden, um die Intensität der Gefühle zu verstärken.
Form und Sprache des Gedichts sind eng verwoben mit Eichendorffs Philosophie der Romantik. Die Natur wird dabei als magischer Ort dargestellt, an dem das Ich seine Gefühle und Sehnsüchte widerspiegeln und intensiver erleben kann. Es ist klar, dass die physische Trennung von der geliebten Person schmerzhaft ist für das lyrische Ich, doch zugleich auch ein bittersüßer Freiraum für Träumereien und Sehnsüchte ermöglicht. Dabei dürfen wir nicht vergessen, dass die Fantasie und Sehnsucht nach dem Unzugänglichen ein zentrales Motiv der Romantik ist, das sich auch in anderen Werken von Eichendorff wiederfindet.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Der verliebte Reisende“ ist Joseph von Eichendorff. Der Autor Joseph von Eichendorff wurde 1788 geboren. Im Jahr 1812 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Romantik kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Eichendorff handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.
Vom Ende des 18. Jahrhunderts bis in das 19. Jahrhundert hinein dauerte die kulturgeschichtliche Epoche der Romantik an. Ihre Auswirkungen waren in der Literatur, der Kunst aber auch der Philosophie und Musik spürbar. Die Literatur der Romantik (ca. 1795–1848) lässt sich in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) aufgliedern. Die Zeit der Romantik war für die Menschen in Europa von Umbrüchen geprägt. Die Französische Revolution (1789 - 1799) zog weitreichende Folgen für ganz Europa nach sich. Auch der Fortschritt in Technik und Wissenschaft, der den Beginn des industriellen Zeitalters einläutete, verunsicherte die Menschen und prägte die Gesellschaft. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende zu benennende Motive. Aber auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben unbeachtet. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über die Form als auch über den Inhalt des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken ist zu beobachten.
Das Gedicht besteht aus 117 Versen mit insgesamt 33 Strophen und umfasst dabei 560 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Joseph von Eichendorff sind „Abschied“, „Antwort“ und „Auch ein Gedicht?“. Zum Autor des Gedichtes „Der verliebte Reisende“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 395 Gedichte vor.
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Zum Autor Joseph von Eichendorff sind auf abi-pur.de 395 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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