Der Sänger von Joseph von Eichendorff

1
Siehst du die Wälder glühen,
Die Ströme flammend sprühen,
Die Welt in Abendgluten
Wie träumerische Fluten,
 
Wo blühnde Inseln trunken
Sich spiegeln in dem Duft?
Es weht und rauscht und ruft:
O komm, eh wir versunken!
 
10 
Eh noch die Sonn versunken:
11 
Gehn durch die goldnen Funken
12 
Still Engel in den Talen,
13 
Das gibt so leuchtend Strahlen
14 
In Blumen rings und Zweigen.
15 
Wie frommer Widerhall
16 
Weht noch der Glocken Schall,
17 
Wenn längst die Täler schweigen.
 
18 
Leis wächst durchs dunkle Schweigen
19 
Ein Flüstern rings und Neigen
20 
Wie ein geheimes Singen,
21 
In immer weitern Ringen
22 
Zieht's alle, die da lauschen,
23 
In seine duft'ge Rund,
24 
Wo kühl im stillen Grund
25 
Die Wasserkünste rauschen.
 
26 
Wie Wald und Strom im Rauschen
27 
Verlockend Worte tauschen!
28 
Was ist's, daß ich ergrause?
29 
Führt doch aus stillem Hause
30 
Der Hirt die goldne Herde,
31 
Und hütet treu und wacht,
32 
So lieblich weht die Nacht,
33 
Lind säuselt kaum die Erde.
 
34 
2
35 
Und zu den Felsengängen
36 
Der nächt'ge Sänger flieht,
37 
Denn wie mit Wahnsinus Klängen
38 
Treibt ihn sein eignes Lied.
 
39 
Bei leuchtenden Gewittern
40 
Schreckt ihn das stille Land,
41 
Ein wunderbar Erschüttern
42 
Hat ihm das Herz gewandt.
 
43 
Bereuend sinkt sein Auge
44 
Da blickt durch Nacht und Schmerz
45 
Ein unsichtbares Auge
46 
Ihm klar ins tiefste Herz.
 
47 
Sein Saitenspiel zur Stunde
48 
Wirft er in tiefsten Schlund,
49 
Und weint aus Herzensgrunde,
50 
Und ewig schweigt sein Mund.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.5 KB)

Details zum Gedicht „Der Sänger“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
50
Anzahl Wörter
218
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der Sänger“ stammt von Joseph von Eichendorff, einem deutschen Lyriker und Schriftsteller der Romantik. Er lebte von 1788 bis 1857, was darauf hindeutet, dass das Gedicht irgendwann im 19. Jahrhundert entstanden ist.

Auf den ersten Blick fällt auf, dass die Natur eine dominierende Rolle im Gedicht spielt. Eichendorff verwendet sinnliche und malerische Beschreibungen von Wäldern, Strömen und Abenddämmerung, um diese Szenerie lebendig zu machen.

Der Inhalt des Gedichts handelt von einem Sänger, der von der Schönheit und Vergänglichkeit der Welt um ihn herum tief bewegt ist. Er ist von der überwältigenden Pracht der Natur überwältigt und aufgefordert, sich ihr hinzugeben, bevor sie verschwindet. Der Sänger scheint jedoch in Konflikt mit sich selbst zu stehen, wobei er von seinem eigenen Lied in den Wahnsinn getrieben wird und schließlich sein Instrument weg wirft und aufhört zu singen.

Das lyrische Ich könnte das tiefe Empfinden der Schönheit und Vergänglichkeit des Lebens ausdrücken, aber auch die innere Zerrissenheit und das Leid des Künstlers, der mit seiner eigenen Kreativität und der Welt um ihn herum ringt.

Formal besteht das Gedicht aus mehreren Strophen unterschiedlicher Länge. Es ist in freien Versen verfasst, was eine emotionale und dramatische Wirkung erzeugt. Die Sprache des Gedichts ist bildreich und metaphorisch, mit wiederkehrenden Motiven von Licht, Dunkelheit und Natur. Sie ist sowohl einfach als auch tiefgründig, wobei die Wörter sorgfältig ausgewählt sind, um eine spezifische Stimmung oder ein Gefühl zu erzeugen.

Die Dualität von Schönheit und Vergänglichkeit, Freude und Schmerz durchzieht das Gedicht und schafft eine melancholische Atmosphäre, die für die Werke Eichendorffs typisch ist. Der Sänger repräsentiert möglicherweise den Künstler allgemein oder den Dichter selbst, der sich bemüht, seine Gefühle und Wahrnehmungen in Kunst auszudrücken, aber letztlich von der Intensität seiner Empfindungen überwältigt wird.

Ingesamt ist „Der Sänger“ ein eindrucksvolles Beispiel für den romantischen Umgang mit Natur und den inneren Gefühlen. Es zeigt die Fähigkeit der Poesie, komplexe menschliche Erfahrungen in einer Weise auszudrücken, die sowohl persönlich als auch universell ist.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Der Sänger“ des Autors Joseph von Eichendorff. Der Autor Joseph von Eichendorff wurde 1788 geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1804 bis 1857 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Bei Eichendorff handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine kulturgeschichtliche Epoche, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis spät in das 19. Jahrhundert hineinreichte. Insbesondere auf den Gebieten der Literatur, Musik oder der bildenden Kunst hatte diese Epoche umfangreiche Auswirkungen. Die Romantik wird in Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848) unterschieden. Die Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. In der Romantik finden sich verschiedene charakteristische Motivkreise. Sehnsucht und Liebe (Blaue Blume) oder das Unheimliche (Spiegelmotiv) sind bedeutende zu benennende Motive. Auch politische Motive wie Weltflucht, Nationalismus und Gesellschaftskritik lassen sich aufzeigen. Das Mittelalter gilt bei den Romantikern als Ideal und wird verherrlicht. Übel und Missstände des Mittelalters bleiben jedoch unbeachtet. Die äußere Form von romantischer Dichtung ist dabei völlig offen. Kein starres Schema grenzt die Literatur ein. Dies steht ganz im Gegensatz zu den strengen Normen der Klassik. In der Romantik entstehen erstmals Sammlungen so genannter Volkspoesie. Bekannte Beispiele dafür sind Grimms Märchen und die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn. Doch bereits unmittelbar nach Erscheinen wurde die literarische Bearbeitung (Schönung) durch die Autoren kritisiert, die damit ihre Rolle als Chronisten weit hinter sich ließen.

Das Gedicht besteht aus 50 Versen mit insgesamt 9 Strophen und umfasst dabei 218 Worte. Weitere Werke des Dichters Joseph von Eichendorff sind „Lied“, „Mondnacht“ und „Morgengebet“. Zum Autor des Gedichtes „Der Sänger“ haben wir auf abi-pur.de weitere 395 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Joseph von Eichendorff

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Joseph von Eichendorff und seinem Gedicht „Der Sänger“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Joseph von Eichendorff (Infos zum Autor)

Zum Autor Joseph von Eichendorff sind auf abi-pur.de 395 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.