Der zaubrische Spielmann von Joseph von Eichendorff

Nächtlich in dem stillen Grunde,
Wenn das Abendrot versank,
Um das Waldschloß in die Runde
Ging ein lieblicher Gesang.
 
Fremde waren diese Weisen
Und der Sänger unbekannt,
Aber, wie in Zauberkreisen,
Hielt er jede Brust gebannt.
 
Hinter blühnden Mandelbäumen
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Auf dem Schloß das Fräulein lauscht
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Drunten alle Blumen träumen,
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Wollüstig der Garten rauscht.
 
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Und die Wellen buhlend klingen,
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Ringend in geheimer Lust
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Kommt das wunderbare Singen
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An die süß verträumte Brust.
 
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»Warum weckst du das Verlangen,
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Das ich kaum zur Ruh gebracht?
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Siehst du hoch die Lilien prangen?
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Böser Sänger, gute Nacht!
 
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Sieh, die Blumen stehn voll Tränen,
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Einsam die Viole wacht,
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Als wollt sie sich schmachtend dehnen
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In die warme Sommernacht.
 
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Wohl von süßem, rotem Munde
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Kommt so holden Sanges Macht
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Bleibst du ewig dort im Grunde,
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Unerkannt in stiller Nacht?
 
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Ach, im Wind verfliegt mein Grüßen!
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Einmal, eh der Tag erwacht,
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Möcht ich deinen Mund nur küssen,
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Sterbend so in süßer Nacht!
 
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Nachtigall, verliebte, klage
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Nicht so schmeichelnd durch die Nacht!
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Ach! ich weiß nicht, was ich sage,
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Krank bin ich und überwacht.«
 
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Also sprach sie, und die Lieder
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Lockten stärker aus dem Tal,
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Rings durchs ganze Tal hallt's wider
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Von der Liebe Lust und Qual.
 
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Und sie konnt nicht widerstehen,
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Enge ward ihr das Gemach,
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Aus dem Schlosse mußt sie gehen
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Diesem Zauberstrome nach.
 
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Einsam steigt sie von den Stufen
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Ach! so schwüle weht der Wind:
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Draußen süß die Stimmen rufen
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Immerfort das schöne Kind.
 
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Alle Blumen trunken lauschen,
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Von den Klängen hold durchirrt,
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Lieblicher die Brunnen rauschen,
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Und sie eilet süß verwirrt.
 
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Wohl am Himmel auf und nieder
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Trieb der Hirt die goldne Schar,
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Die Verliebte kehrt nicht wieder,
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Leer nun Schloß und Garten war.
 
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Und der Sänger seit der Stunde
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Nicht mehr weitersingen will,
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Rings im heimlich kühlen Grunde
60 
War's vor Liebe selig still.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.5 KB)

Details zum Gedicht „Der zaubrische Spielmann“

Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
60
Anzahl Wörter
299
Entstehungsjahr
1788 - 1857
Epoche
Romantik

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts ist Joseph von Eichendorff (1788-1857), ein bedeutender Lyriker und Schriftsteller der Romantik. „Der zaubrische Spielmann“ entstand vermutlich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Bei dem ersten Eindruck fällt eine romantisch-mystische Atmosphäre des Gedichts auf. Es erzeugt Bilder einer abendlichen Landschaft mit einem Waldschloss und einem Sänger, dessen Lieder verzaubern.

Das Gedicht erzählt die Geschichte eines unbekannten Sängers, der in der Nähe eines Schlosses bei Nacht singt. Die Lieder wecken das Verlangen des Fräuleins im Schloss. Obwohl sie versucht, dem Gesang zu widerstehen, kann sie sich letztlich nicht entziehen und folgt den Klängen. Am Ende verschwindet sie, und das Wesen des Sängers bleibt ein Geheimnis.

Formal besteht das Gedicht aus 15 vierzeiligen Strophen. Die rhythmische Struktur ist gleichmäßig und folgt einem regelmäßigen metrischen Muster, was dem Gedicht eine Art Liedcharakter gibt.

Die Sprache des Gedichts ist stark bildhaft mit zahlreichen Metaphern, die die romantische und mystische Atmosphäre unterstreichen. Der antike Liebesmythos und die verführerische Macht der Musik sind typisch für die romantische Dichtung Eichendorffs.

Es kann interpretiert werden, dass der zaubrische Spielmann als Symbol für die unwiderstehlichen Kräfte der Poesie und der Musik steht, und das Fräulein repräsentiert die menschliche Sehnsucht nach erhabenen, transzendenten Erfahrungen. Das Gedicht thematisiert damit auch die Fähigkeit der Kunst, das menschliche Empfinden zu beeinflussen und zu vertiefen. Am Ende bleibt die Liebe selig still, eine typische romantische Vorstellung, die das Erreichen des höchsten Sinns im Aufgehen in der Natur, Kunst und Liebe zeigt.

Weitere Informationen

Joseph von Eichendorff ist der Autor des Gedichtes „Der zaubrische Spielmann“. Eichendorff wurde im Jahr 1788 geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1804 und 1857. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Romantik zugeordnet werden. Der Schriftsteller Eichendorff ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Romantik ist eine Epoche der Kunstgeschichte, die vom Ende des 18. Jahrhunderts bis ins späte 19. Jahrhundert hinein die Literatur, Musik, Kunst und Philosophie prägte. Auf die Literatur beschränkt betrachtet reichen die Auswirkungen der Epoche lediglich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts hinein. Die Romantik kann in drei Phasen aufgegliedert werden: Frühromantik (bis 1804), Hochromantik (bis 1815) und Spätromantik (bis 1848). Die Literaturepoche der Romantik entstand in Folge politischer Krisen und gesellschaftlicher Umbrüche. In ganz Europa fand ein Übergang von der feudalen zur bürgerlichen Gesellschaft statt. Gleichermaßen bildete sich ein bürgerliches Selbstbewusstsein heraus. Industrialisierung und technologischer Fortschritt sind prägend für diese Zeit. Als Merkmale der Literatur der Romantik sind die Weltflucht, die Verklärung des Mittelalters, die Hinwendung zur Natur, die Betonung subjektiver Gefühle und des Individuums, der Rückzug in Fantasie- und Traumwelten oder die Faszination des Unheimlichen zu benennen. Bedeutende Symbole sind die Blaue Blume oder das Spiegel- und Nachtmotiv. Die Romantik stellt die Freiheit der Phantasie sowohl über die Form als auch über den Inhalt des Werkes. Eine Konsequenz daraus ist ein Verschwimmen der Grenzen zwischen Lyrik und Epik. Die starren Regeln und Ziele der Klassik werden in der Romantik zurückgelassen. Eine gewisse Maß- und Regellosigkeit in den Werken fällt auf.

Das vorliegende Gedicht umfasst 299 Wörter. Es baut sich aus 15 Strophen auf und besteht aus 60 Versen. Die Gedichte „Lied“, „Mondnacht“ und „Morgengebet“ sind weitere Werke des Autors Joseph von Eichendorff. Zum Autor des Gedichtes „Der zaubrische Spielmann“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 395 Gedichte vor.

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