In einer tödlichen Kranckheit von Andreas Gryphius
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Ists möglich/ wie man sagt/ daß die gehäufften Schmertzen/ |
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In die ich mich vertiefft/ noch iemand gehn zu Hertzen/ |
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Ists möglich/ daß man noch mit dem Mitleiden trägt/ |
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Auf den der harte Blitz mit lichtem Feuer schlägt/ |
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Den zwar die grause Noth/ die Kirch und Haus verzehret/ |
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Und Städte weggesengt/ und Länder umgekehret/ |
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Doch mehr das tolle Glück mit aller Donner Macht/ |
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Und grimmer Winde Sturm und trüber Wetter Nacht/ |
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Schier ieden Tag zusetzt. Was kan wol einer nennen |
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Aus aller Jammer Heer/ daß ich nicht werde kennen/ |
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Das mich nicht hat verletzt. Als noch die liebe Schoß |
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Der Mutter mich ihr Pfand und letzte Lust beschloß/ |
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Hat stracks/ ich weiß nicht was/ auf was noch nicht gebohren/ |
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O unerhörter Grimm! O Laster! sich verschworen/ |
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Und als ich kaum den Tag diß süsse Licht erblickt/ |
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Durch unerkannte List und fremde Stück entrückt. |
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O hätt ich doch die Welt/ als sie mich erst gegrüsset/ |
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Eh ich sie noch erkennt/ auffs letzt alsbald geküsset/ |
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So schlieff ich sonder Pein! eh mich das vierdte Jahr |
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Der vierdte Winter fand/ lag dieser auf der Bahr |
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Den ich mich schuldig bin/ und diß mein müdes Leben; |
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Er fiel durch Gifft/ das ihm ein falscher Freund gegeben/ |
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Der offt vor seinem Muth und hohen Geist erblast. |
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Mir leyder viel zu früh. Eh ich die rauhe Last |
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Und den Verlust empfand/ hat die so schwache Glieder |
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Des Febers Hitz entsteckt/ die Kranckheit warff mich nieder/ |
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Der Todt schwärmt über mir; Doch weil ich ihn begehrt |
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Hat mir der Menschen Feind den Rücken zugekehrt/ |
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Und nahm die Seele weg im Mittel ihrer Tage |
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Ja Frühling ihrer Zeit/ um die ich kläglich zage. |
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Wiewohl sie/ weil sich noch in mir ein' Ader regt |
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Und weil der warme Geist in beyden Brüste schlägt |
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Mir wird im Hertzen stehn. Die die mich hat gebohren/ |
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Die lieber ihren Leib/ als mich ihr Kind verlohren. |
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Was hat mich/ da sie weg/ was hat mich nicht verletzt/ |
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Welch Schmertzen/ welche Qual hat mir nicht zugesetzt? |
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Wer hat der Güter Rest nicht diebisch mir entzogen/ |
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Und meinen Geist gekränckt/ und mich mit List betrogen? |
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Wen hab ich nicht/ der ie mein Elend recht beschaut |
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Mit höchstem Seelen Weh der schwartzen Grufft vertraut? |
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Ich hab Asterien die Augen zugedrücket |
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Und deine keusche Leich Hippolite beschicket/ |
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Hippolite vorhin mein Trost nun meine Pein/ |
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Die ehmals mich ergötzt um die ich ietzund wein. |
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Dicæus den bey uns das gantze Land gehöret |
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Und den das gantze Land ans Fürsten Statt geehret/ |
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Dicæus bot mir selbst als er die Welt verließ |
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Und in der Armen Band den werthen Geist ausbließ |
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Zum letzten seine Faust/ ich fiel in tausend Schmertzen |
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Mit seinem Athem hin; Der Sinn/ die Krafft des Hertzen |
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Die Seele selbst verschwand. Das kalte Blut bestund |
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Als ihn der Tod umfieng. Wie grimmig diese Wund/ |
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Doch kan ich sie noch nicht mit dieser Angst vergleichen/ |
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Die ietzt mich überfällt. Ach hätt ich deine Leichen/ |
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Mein Bruder hätt ich doch die Leiche noch geküst/ |
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Wenn ja der Parcen-Schluß nun eine kurtze Frist/ |
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Ein Wort/ ein kurtz Ade mir nicht vergönnt zu hören; |
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Ach muß mich dieser Blitz der scharffe Pfeil versehren! |
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Weil ich so fern von dir ein unbekandtes Land |
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Und weites Volck beschau. Ach zeuchst du deine Hand |
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So plötzlich von mir ab! nun ieder mich verlassen |
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Und nichts als Ach und Angst und Schmertz und Weh umfassen |
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Und solche Noth die auch ein fremdes Hertz durchbricht/ |
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Wenn man ein wenig nur von meinem Elend spricht |
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Das hier kaum iemand weiß. Was kan ich mehr begehren |
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Als daß mein Nahm und Land und Stand und heisse Zähren |
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Bleib allen unbekandt. Weil/ wenn ich diß betracht/ |
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Mein Nahm und Land und Stand nur viel betrübte macht. |
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Fragt Livia fragt nicht warum ich euch beklaget/ |
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Fragt nicht mehr wer ich sey/ wo richtig- was ihr saget |
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Und euch der rauhe Sturm der mich noch ietzt anweht/ |
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So tieff zu Hertzen geht/ so wünsch ich Schönste seht |
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Euch in so hoher Ruh als grimmig meine Wunden/ |
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Und findet so viel Freud und angenehme Stunden |
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Und unverfälschte Lust als Jammer in der Welt |
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Und Weh und Pein und Angst mich täglich überfält. |
Details zum Gedicht „In einer tödlichen Kranckheit“
Andreas Gryphius
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76
689
1616 - 1664
Barock
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „In einer tödlichen Kranckheit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Andreas Gryphius. 1616 wurde Gryphius in Glogau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1632 und 1664. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Barock zu. Der Schriftsteller Gryphius ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.
Als Literatur des Barocks wird in der deutschen Geschichte der Literatur seit dem Jahr 1800 das schriftstellerische Schaffen in Europa im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet und folgt auf die Epoche der Renaissance und des Humanismus. Der Begriff „Barock“ stammt aus dem Portugiesischen und bedeutet so viel wie schiefrunde, seltsam geformte Perle. Der Dreißigjährige Krieg war ein Territorial- und Religionskrieg in Europa, der für Elend, Zerstörung und Tod sorgte. Dazu kamen ein Niedergang der Wirtschaft und die Pest, welche das Unheil während des Dreißigjährigen Krieges nur noch befeuerte. Der Barock in der Literaturgeschichte wurde von Gegensätzen geprägt. Dabei standen vordergründig das Jenseits und das Diesseits oder der Schein und das Sein im Mittelpunkt der barocken Literatur. Von Gegensätzen beeinflusst war auch das Leben der Menschen. So lebte der überwiegende Teil der Bevölkerung in Armut, Adelige hingegen lebten einen luxuriösen und verschwenderischen Lebensstil. Die am häufigsten benutzten Formen in der Poesie waren das Sonett, die Ode, die Elegie und das Epigramm. Im Zeitalter des Barocks begannen die Dichter ihre Werke in deutscher Sprache zu verfassen. Die Dichter der Renaissance schrieben noch auf Lateinisch. Zu den berühmten Dichtern des Barocks zählen: Martin Opitz, Casper von Lohenstein, Andreas Gryphius, Grimmelshausen, Caspar Ziegler, Paul Fleming, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und Angelus Silesius.
Das Gedicht besteht aus 76 Versen mit nur einer Strophe und umfasst dabei 689 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Andreas Gryphius sind „An H. Christoph von Dihr“, „An Jolinden“ und „An den gecreutzigten Jesum“. Zum Autor des Gedichtes „In einer tödlichen Kranckheit“ haben wir auf abi-pur.de weitere 461 Gedichte veröffentlicht.
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