Auf Jungfrau Beaten Marien Möstels Begräbnüß an die betrübten Eltern von Paul Fleming

Freilich, freilich müßt ihr klagen,
ihr betrübten Herzen ihr,
daß fast inner zweier Tagen
euch ein zweifach Leid stößt für,
da ein einzigs dieser beiden
mehr kränkt als sonst hundert Leiden.
 
Und ach! wär' es doch noch blieben
bei dem einen nur allein,
das euch hat von uns getrieben
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und nicht ließe sicher sein,
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das des schönen Leipzigs Mauren
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nunmehr setzt in Furcht und Trauren.
 
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Weil ihr großer Not entgehet,
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so fallt ihr in größre Strick',
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nun ihr seht, wie vor euch stehet
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nur auf einen Augenblick
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lebend, frisch, krank und erlegen
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eurer Ehe süßer Segen.
 
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Satten Fug habt ihr zu zagen
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bevoraus um letzten Fall,
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doch ihr müsset selbsten sagen,
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daß es nichts hilft überall.
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Blos auf den nur muß man sehen,
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der diß Alles läßt geschehen.
 
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Gott der pflegets so zu machen,
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reißt oft unser Liebstes hin
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und will sogestalter Sachen
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uns ihm nach und zu sich ziehn,
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weil wir stets die Sinnen haben
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da, wo unser Schatz vergraben.
 
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Tauret mich die frische Jugend,
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ihrer Schönheit sondre Zier
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und die nicht gemeine Tugend,
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die so schöne schien herfür,
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so vergeßt auch nicht beineben,
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wie sie sind der Flucht ergeben!
 
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Kaja wäre nicht verdorben,
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wehrte Tugend letzter Not.
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Helene lebt' ungestorben,
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hülfe Schönheit für den Tod.
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Und was soll hier Schönheit tügen?
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Sie sagt selbst ihr Unvergnügen.
 
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Ie subtiler ausgeschmücket
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den beleibten Wind, sein Glas,
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uns Venedig überschicket,
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ie geschwinder bricht auch das;
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und ie zärter ist der Faden,
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ie behender nimmt er Schaden.
 
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Wenn die keuschen Lilgen prangen
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und in höchstem Schmucke stehn,
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weil noch auf ihr' hellen Wangen
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die gelinden Westen wehn,
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sind sie frisch auch funden worden
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gegen einen strengen Norden.
 
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Kränket euch ihr plötzlichs Ende,
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daß sie nicht gab gute Nacht,
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wer kan wider Gottes Hände,
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der ja alles gut sonst macht?
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Ohne Pein ist sie verschieden;
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das geschicht nicht einem Ieden.
 
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Kein behender Tod ist böse
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als der auf die Bösen fält.
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Daß auch uns Gott bald erlöse,
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ist der höchste Wundsch der Welt.
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So vielmehr ist sie genesen,
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weil sie niemals krank gewesen.
 
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Oder schmerzt euch ihr Erliegen
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und die Art des Todes mehr?
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Seht doch, wie durch itzigs Kriegen
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manche Stadt liegt tot und leer!
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Und was ist ein Mensch zu nennen
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gegen dem, das einst soll brennen?
 
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Als sie noch am Eiteln klebte,
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war ihr Eitels nicht gemein.
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Selig war sie, weil sie lebte;
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solte sie es itzt nicht sein?
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Itzt, da sie nun ewig bleibet,
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wo man seligs Leben treibet,
 
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wo die großen Möstel gehen
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neben greiser Ewigkeit
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und in jener Zeit bestehen,
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so doch kennet keine Zeit?
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In die Scharen aller Frommen
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ist sie herrlich eingenommen.
 
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Laßt Gott euren Sinn sich geben
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und verwirrt euch nicht zu sehr!
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Gönnet ihr das ander' Leben
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und gedenkt um so viel mehr,
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weil Gott zweifach euch betrübet,
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daß er euch auch zweifach liebet!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (32 KB)

Details zum Gedicht „Auf Jungfrau Beaten Marien Möstels Begräbnüß an die betrübten Eltern“

Autor
Paul Fleming
Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
90
Anzahl Wörter
471
Entstehungsjahr
1632
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Paul Fleming ist der Autor des Gedichtes „Auf Jungfrau Beaten Marien Möstels Begräbnüß an die betrübten Eltern“. Der Autor Paul Fleming wurde 1609 in Hartenstein (Sachsen) geboren. 1632 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Fleming handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Als Literatur des Barocks wird in der deutschen Geschichte der Literatur seit dem Jahr 1800 das schriftstellerische Schaffen in Europa im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet. Der Begriff „Barock“ stammt aus dem Portugiesischen und bedeutet so viel wie schiefrunde, seltsam geformte Perle. Der Dreißigjährige Krieg gilt als das maßgebende Bezugselement des Barocks. Der Dreißigjährige Krieg hinterließ ein wirtschaftlich, politisch und kulturell verfallenes Deutsches Reich. Aufgrund der Auseinandersetzungen wurden ganze Landstriche entvölkert. So wurden Zerstörung, Gewalt und Tod zum Teil des Alltags der Menschen. Hungersnöte und Seuchen, wie die Pest, verschlimmerten die Situation der Bevölkerung weiter. Allein der Ausbruch der Pest reduzierte die Bevölkerung um ein Drittel. Die Literaturepoche des Barocks zeichnet sich primär durch die Antithetik, also einem von Widersprüchen und Gegensätzen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es im Barock vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Jenseits und Diesseits, Wollust und Tugend oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. Im Zeitalter des Barocks löste die deutsche Sprache das Lateinische ab. Im Zeitalter des Barocks war der überwiegende Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man dichtete zur gehobenen Unterhaltung oder bei Hofe zur Huldigung der Fürsten. Für die wohlhabende Bevölkerung schrieben Dichter zum Anlass von Beerdigungen, Taufen oder Hochzeiten. Die Dichtung der Literaturepoche des Barocks wird deswegen auch als Gesellschaftsdichtung bezeichnet.

Das Gedicht besteht aus 90 Versen mit insgesamt 15 Strophen und umfasst dabei 471 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Paul Fleming sind „Wie er wolle geküsset seyn“, „Tanzlied“ und „Ein getreues Herz zu wissen“. Zum Autor des Gedichtes „Auf Jungfrau Beaten Marien Möstels Begräbnüß an die betrübten Eltern“ haben wir auf abi-pur.de weitere 366 Gedichte veröffentlicht.

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