Auf Herrn Henrich Scherls mit Jungfrau Annen Sophien Grünewalds Hochzeit von Paul Fleming

Freie, was vor nicht gefreit,
was vor hat gefreiet, freie!
Itzund sagt die neue Zeit,
daß man sich nun auch verneue.
Billich, daß die kleine Welt
sich nach Art der großen hält.
 
Zwar es kan sich wol so gut
ein Mal wie das ander' lieben;
wenn es aber Alles tut,
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soll es denn der Mensch verschieben,
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der zu der vergünten Tat
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gleiches Recht und Anspruch hat?
 
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Neulich war die Erde Braut.
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Itzund liegt sie in den Wochen.
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Laub und Blumen, Saat und Kraut
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haben die Geburt gebrochen,
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und die reiche Fruchtbarkeit
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wird noch täglich ausgestreut.
 
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Freie, was sich nehmen kan!
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Junge Leute sollen lieben;
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alte geht es gleichsfals an,
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die es ja so sehnlich üben.
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Wer es hindert und verbeut,
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der tut wider Billigkeit.
 
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Unsre junge Manschaft kriegt,
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kömt um Jugend, Leib und Leben.
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Wie manch schönes Bild erliegt,
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seit wir in dem Jammer schweben,
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der uns halb hat umgebracht
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und noch täglich dünner macht!
 
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Amor fleugt durch freie Luft
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mit der Mutter offnem Schreiben,
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ruft und schreiet, schreit und ruft,
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daß man nicht soll einsam bleiben.
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Wer mir, spricht er, itzt ist Feind,
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mit dem ist kein Gott nicht Freund.
 
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O wie wol vermählt ihr euch,
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ihr zwei unbefleckten Münde!
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Das erfreute Sternenreich
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unterschreibt die beiden Bünde.
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Hymen, den es abgesandt,
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schlägt durch die gepaarte Hand.
 
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Seid nun froh und braucht der Gunst,
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die der Himmel euch vorstattet,
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Teilt die fruchtgefüllte Brunst,
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die ihr oft im Wundsche hattet!
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Was inkünftig folget drauf,
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das mengt schon der Sternen Lauf.
 
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Mich bedünkt, als seh' ich schon,
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was der nächste Morgen giebet,
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wie der angenäme Hohn,
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der mit Fröligkeit betrübet
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und folgt auf die erste Nacht,
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unsre Braut halb zornig macht.
 
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Die Verächterin der Zucht
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überfärbt die Milch der Wangen.
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Seht, seht, wie sie Ausflucht sucht,
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die sie doch nicht will erlangen!
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Sie verträgt mit halbem Glimpf
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ihrer Freunde süßen Schimpf.
 
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Memnons Mutter, Tithons Frau
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kömt so schamrot auch geschlichen,
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wenn das Kind der Nacht, der Tau
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ihr den Purpurmund bestrichen,
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weil sie meint, die muntre Welt
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wisse, was sie heimlich hält.
 
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Schöne, schämt euch nicht so gar,
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euer Blumwerk abzustatten
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und das goldgefärbte Haar
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mit dem Netze zu umschatten,
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in dem Amor, der es stellt,
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die zu kühnen Jungfern fällt!
 
73 
Wald und Wild ist sie, die Braut.
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Sie weist den noch fremden Jäger
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auf die Spur, der er sich traut.
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Sie schlägt auf ihr grünes Läger,
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daß er für den heißen Tag
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Rast und Schatten nehmen mag.
 
79 
Jaget wol! Wir warten drauf,
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was ihr werdet fangen balde.
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Wahr ists, Wild hält sich nicht auf
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in so einem zahmen Walde.
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Nun wir warten, wie gesagt,
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bis ihr wol habt ausgejagt.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (31.7 KB)

Details zum Gedicht „Auf Herrn Henrich Scherls mit Jungfrau Annen Sophien Grünewalds Hochzeit“

Autor
Paul Fleming
Anzahl Strophen
14
Anzahl Verse
84
Anzahl Wörter
438
Entstehungsjahr
1609 - 1640
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Auf Herrn Henrich Scherls mit Jungfrau Annen Sophien Grünewalds Hochzeit“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Paul Fleming. Fleming wurde im Jahr 1609 in Hartenstein (Sachsen) geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1625 und 1640. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Fleming ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die deutsche Literaturepoche des Barock begann etwa 1600 und endete im Jahr 1720. Die wörtliche Übersetzung des portugiesischen Wortes „barocco“ lautet „schiefrunde Perle“. Durch die Pest starben etwa 30 % der Bevölkerung. Auch der Dreißigjährige Krieg führte zu einem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verfall im Deutschen Reich. Trotzdem lebten die Fürsten einen ausschweifenden und überaus luxuriösen Lebensstil vor. Sie nutzten das Durcheinander nach dem Dreißigjährigen Krieg, um eine Neuordnung der Gebiete vorzunehmen und ihre Macht weiter auszubauen und zu festigen. Die Barockdichtung ist vorwiegend von drei Leitmotiven (Memento mori, Vanitas, Carpe diem) geprägt, die die Lebenseinstellung der Bevölkerung beschreiben. Vor dem Hintergrund des Dreißigjährigen Krieges war das Leben der Bevölkerung von Gewalt und Zerstörung geprägt. Alle genannten Motive setzen sich auf verschiedene Weise mit der verbreiteten Angst vor dem Tod und seinen Auswirkungen auseinander. Die Dichter der Renaissance schrieben noch auf Lateinisch, die Autoren der Literaturepoche des Barocks begannen, ihre Werke in deutscher Sprache zu veröffentlichen. Herausragende Autoren des Barocks waren unter vielen anderen: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Martin Opitz, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Christian Weise und Andreas Gryphius.

Das vorliegende Gedicht umfasst 438 Wörter. Es baut sich aus 14 Strophen auf und besteht aus 84 Versen. Der Dichter Paul Fleming ist auch der Autor für Gedichte wie „Nach des 6. Psalmens Weise“, „Neujahrsode 1633“ und „Auf die seligmachende Geburt unsers Erlösers Jesu Christi“. Zum Autor des Gedichtes „Auf Herrn Henrich Scherls mit Jungfrau Annen Sophien Grünewalds Hochzeit“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 366 Gedichte vor.

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