Die Schlittenfahrt von Johann Karl Wilhelm Geisheim

1	Am warmen Ofen saß ich
2	In meines Polsters Ruh;
3	Des Lebens Breite maß ich
4	Und sah dem Tage zu;
5	Da fiel in dichten Flocken
6	Der Schnee auf Flur und Haus,
7	Und fernher lockten Glocken
8	Mich in dem Pelz’ hinaus.
9	Ein Schlitten kam geflogen,
10	Jäh, wie ein Strauß im Lauf,
11	Und, magisch fortgezogen,
12	Schwang ich mich flugs hinauf.
13	Der Kutscher, mein Philister,
14	Blitzt kühn in sein Gespann,
15	Und nahm ein Ziel, als wüßt’ er,
16	Wo’s mir gefallen kann.
17	Ich ließ ihn gerne walten;
18	Nur vorwärts ging mein Sinn:
19	So rauschten, schellten, knallten
20	Wir durch die Straßen hin.
21	Musik, die allerneuste,
22	Rührt minder Herz und Ohr;
23	Ganz im erhabnen Geiste
24	Trug sie mein Mentor vor.
25	Doch plötzlich macht’ ich Pause,
26	Halt! rief ich mächtig, Halt!
27	Denn an des Liebchens Hause
28	Hielt’s mich mit Allgewalt.
29	Bald auch im Federhute
30	Saß Laura neben mir;
31	Wie war mir da zu Muthe,
32	Wie flog ich fort mit ihr!
33	Mir war, als trügen Flügel
34	Mich in ein schön’res Land;
35	Ich sah nicht Roß, noch Zügel,
36	Und nicht die Kutscherhand.
37	Mit stolzem Wohlgefallen
38	Bog er den Markt herum,
39	Denn dort recht derb zu knallen,
40	Ist des Philisters Ruhm.
41	Wohl mochten manche Leute
42	Als Spötter gaffen stehn;
43	Doch trieb sie auf die Seite
44	Ein barsches Vorgesehn!
45	Entzückt und harmlos glitten
46	Wir über Raum und Welt,
47	Und endlich fand der Schlitten
48	Die Bahn in’s freie Feld.
49	Und in des Lichtes Fülle,
50	Im strahlenden Krystall,
51	Glänzt in der Zauberhülle
52	Vor uns das heitre All;
53	Und über uns die Bläue,
54	Der Himmelslüfte Fluth,
55	Und neben mir die Treue,
56	In mir der Liebe Gluth.
57	Den Staub der Erde decket
58	Der reine, lichte Schnee;
59	Den Raub der Flur verstecket
60	Der weiße, weite See.
61	In diamantnem Flimmer
62	Prangt dort ein Eichenwald,
63	Und dort im Farbenschimmer
64	Das Schloß in Fee’ngestalt.
65	Die Berge gränzen ferne,
66	Und durch ihr dunkles Blau
67	Verschmilzt die Au der Sterne
68	Mit unsrer Erdenau.
69	Und aus der kalten Hülle
70	Ruft Hoffnung dir in’s Ohr:
71	Es keimt im Schooß der Stille
72	Der Frühling Dir empor.
73	Schon blüht’ er mir im Traume,
74	Schon fühlt’ ich ihn so nah
75	In meines Schlittens Raume,
76	Denn Liebchen sagte: Ja!
77	Mit fröhlichem Behagen
78	Sah ich nun queerfeldein
79	Die Flügelpferde jagen,
80	Um baldigst dort zu sein.
81	So segelten ergötzlich
82	Wir in der Zukunft Land,
83	Als unser Schlitten plötzlich
84	Verstummend stille stand.
85	Im Schwunge der Gefühle
86	Fragt’ ich: was ist denn hier? –
87	Wir sind, so rief’s, am Ziele:
88	Hier ist das gute Bier!

Details zum Gedicht „Die Schlittenfahrt“

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Schlittenfahrt“ wurde von Johann Karl Wilhelm Geisheim verfasst, einem deutschen Dichter und Schriftsteller, der vom 6. September 1784 bis zum 30. Januar 1847 lebte. Aufgrund dieses Lebensdatums lässt sich das Gedicht in die literarische Epoche der Romantik einordnen, die von etwa 1795 bis 1848 andauerte.

Auf den ersten Blick vermittelt das Gedicht ein stimmungsvolles Bild einer romantischen Schlittenfahrt. Detaillierte Beschreibungen und lebendige Metaphern sorgen für eine atmosphärische Darstellung des Winters und der Freude an der Bewegung durch die Landschaft.

Inhaltlich erzählt das Gedicht von einer Reise, die der lyrische Sprecher unternimmt, als er von seinem gemütlichen Platz am warmen Ofen durch den Schnee und das Läuten von Glocken ins Freie gelockt wird. Er beschreibt, wie er in einen Schlitten springt und sich von einem Kutscher durch die Stadt und später ins offene Land ziehen lässt. Die Fahrt ist für ihn ein befreiendes und euphorisches Erlebnis, das noch intensiver wird, als er Laura, seine Geliebte, bei sich im Schlitten sitzen hat. Die Reise endet schließlich an einem Ort mit „gutem Bier“, wodurch der lyrische Sprecher eine humorvolle Note in das ansonsten sehr romantische Gedicht bringt.

Die Form des Gedichts ist traditionell, es besteht aus mehreren achtzeiligen Strophen mit einem regelmäßigen Rhythmus und Reimschema (Vierheber-Kreuzreim), was die bildhafte und eindringliche Sprache unterstützt. Der Tonfall variiert zwischen ernst und humorvoll, was dazu beiträgt, eine lebendige Stimmung zu erzeugen und den Leser in die Geschichte einzubeziehen.

Die Sprache, die Geisheim verwendet, ist reich an Bildern und Metaphern, etwa wenn er den Schnee beschreibt, der in „dichten Flocken“ auf die Erde fällt oder den Schlitten, der „wie ein Strauß im Lauf“ daherkommt. Die Sprache ist malerisch und romantisch, geprägt von der Natur- und Gefühlswelt des lyrischen Sprechers. Gleichzeitig werden oft alltägliche Aspekte (wie das Bier am Ende der Fahrt) in diese romantische Komposition verwoben, was dem Gedicht seinen besonderen Charme und seine Zugänglichkeit verleiht.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Die Schlittenfahrt“ ist Johann Karl Wilhelm Geisheim. 1784 wurde Geisheim in Breslau geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1839. Breslau ist der Erscheinungsort des Textes. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das Gedicht besteht aus 88 Versen mit insgesamt 11 Strophen und umfasst dabei 409 Worte. Der Dichter Johann Karl Wilhelm Geisheim ist auch der Autor für Gedichte wie „Der armen Kinder Dank“, „Der letzte Tag im Jahre“ und „Die Geisterstunde“. Zum Autor des Gedichtes „Die Schlittenfahrt“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 29 Gedichte vor.

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• Dem Jahre
• Der Faschingsmantel
• Der Wintergarten
• Der armen Kinder Dank
• Der letzte Tag im Jahre
• Die Geisterstunde
• Die Krähen
• Die Schlittschuhfahrer
• Die Sternbilder

Zum Autor Johann Karl Wilhelm Geisheim sind auf abi-pur.de 29 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.