Auf eines von Grünental Leichbestattung von Paul Fleming

Die Zeit, in der der Mensch sein Leben pflegt zu führen,
ist wie ein grüner Tal, den frische Blätter zieren,
da Blumen aller Art im kühlen Grunde stehn
und um den lautren Quell und stillen Bach aufgehn
in ungezählter Zahl. Itzt, wenn die Schoß der Erden
von einer manbarn Luft geschwängert pflegt zu werden,
gebiert manch schönes Kind; wenn das verlebte Jahr
ein Jüngling wieder wird, da schlägt das junge Haar
den Lindenbäumen aus. Der angenäme Reif
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macht bei gesunder Nacht die schwachen Gräser steif,
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die Sonne wirkt die Frucht: stets wird was Neues funden,
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das Jahr ist niemals leer, es tauschet alle Stunden.
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Eins kan nicht allzeit sein, wie denn auch Alles nicht.
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Wenn sich der Hyacinth mit seiner Zier entbricht,
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da sind die Tulpen dar. Wenn diese sind vergangen,
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da stehn Paeonien und Rosen in dem Prangen.
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Itzt schosset diß herfür, itzt fället jenes ab;
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was Eines wieder war, das ist des Andern Grab.
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Bald kömpt der fröde Herbst mit seinen kranken Lüften,
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mit den er alle Zier weiß tötlich zu vergiften.
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Die Schwind- und Gelbesucht greift Bäum' und Blätter an,
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der Saft vertrucknet aus, der matten Erden Man,
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der müde Himmel greist. Die Mutter, die veraltet,
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wird runzlicht an der Haut, die Fruchtbarkeit erkaltet.
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Der halb erfrorne Nord weht durch das schwache Tal,
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macht das Gefelde bloß, die kranken Bäume kahl,
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reißt alles mit sich hin, verbläst dem stillen Quelle
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den sonst gewohnten Paß, daß er nicht von der Stelle,
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nicht vor sich rinnen kan. Wo ist alsdenn die Zeit,
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die Zier, die schöne Lust mit aller Fröligkeit?
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So ist es auch bewandt um aller Menschen Sachen;
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ihr Leben ist der Tal, der uns itzt Freude machen,
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itzt Unlust geben kan. Die Blumen sind selbst sie
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mit aller Zier und Pracht, da diese balde früh'
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und jene spat verfällt. Hier gilt es nicht zu bauen
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auf seiner Jugend Zeit. Die Jungen, wie die Grauen
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sind stets dem Tode reif. Die Veilge, die schlug aus
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vor sieben Tagen schon, und die kaum halb ist raus,
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meit eine Sichel ab. Die flüchtigen Narcissen
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sind drum geringer nicht, ob sie schon bald hin müssen,
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als etwan Roßmarin, die zwar sehr lange steht,
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doch, wenn der Frost beißt an, zugleich auch untergeht.
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Wir haben nur ein Ziel, wie auch die Blumen haben:
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es sei früh oder spat, wir werden doch vergraben
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in unser Mutter Schoß. Diß fehlet uns allein,
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daß wir geringer noch als alle Blumen sein.
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Die Zeit, die itzt verschleißt, kan sich an sich erholen,
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das Laub schlägt wieder aus, die sterbenden Violen
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bekommen ihren Geist, die Wasser tauen auf.
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Sind wir nur einmal hin, da gilt kein Wiederlauf,
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wir bleiben, wo wir sein. Diß haben wir zu hoffen,
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daß noch ein grüner Tal uns allen stehet offen,
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da zwar auch Blumen sein, nicht aber die vergehn;
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daselbsten sollen wir auch unvergänglich stehn,
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den Amaranthen gleich. In diesen ist versetzet
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auch unser Grünental; er ists, der sich ergetzet,
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der fromme Gottes-Freund, in einer solchen Lust,
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die er zwar oft genant, doch aber nie gewust.
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Da grünt der Grünental, da wird er nicht verwelken,
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gibt einen Ruch von sich, wie die gesunden Nelken,
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an die Gott täglich reucht, nach welcher schönen Blum'
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auch reucht des Edelen gelobter Nam' und Ruhm.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Auf eines von Grünental Leichbestattung“

Autor
Paul Fleming
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
62
Anzahl Wörter
540
Entstehungsjahr
1609 - 1640
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichtes „Auf eines von Grünental Leichbestattung“ ist Paul Fleming. Im Jahr 1609 wurde Fleming in Hartenstein (Sachsen) geboren. Im Zeitraum zwischen 1625 und 1640 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Barock zu. Bei dem Schriftsteller Fleming handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des Barocks erstreckt sich über den Zeitraum von 1600 bis ungefähr 1720. Diesen Zeitraum kann man in drei weitere Abschnitte unterteilen: Frühbarock, Hochbarock und Spätbarock. Die Bevölkerung Europas entwickelte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in verschiedene Richtungen. Der Krieg stellte ein besonders prägendes Ereignis der damaligen Zeit dar. Aber auch die Pest übte einen starken Einfluss auf die Verhältnisse der damaligen Zeit aus. Die Epoche des Barocks zeichnet sich vor allem durch die Antithetik, also einem von Widersprüchen und Gegensätzen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Epoche des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Diesseits und Jenseits, Wollust und Tugend oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. In der Barockdichtung trat das Deutsche an die Stelle des Lateinischen, welches die Sprache der populärsten deutschen Dichter im 16. Jahrhundert gewesen war. Gleichwohl war weiterhin die Elite Träger der Literatur. Dichter und Werke dieser Zeit sind vielzählig. Andreas Gryphius, Martin Opitz oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind unverkennbare Vertreter der Literaturepoche des Barocks.

Das vorliegende Gedicht umfasst 540 Wörter. Es baut sich aus nur einer Strophe auf und besteht aus 62 Versen. Paul Fleming ist auch der Autor für Gedichte wie „O liebliche Wangen“, „Wie er wolle geküsset seyn“ und „Tanzlied“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Auf eines von Grünental Leichbestattung“ weitere 366 Gedichte vor.

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