Auf Ableben des Woledlen Hansen von Löser, des Jüngern von Paul Fleming

So zeucht er denn dahin, der liebe fromme Sohn?
Ach ja, der fromme Sohn, der liebe, zeucht davon,
und itzt, itzt ist er hin. Soll ich die frische Jugend
erst klagen oder vor die nicht gemeine Tugend,
der blassen Eltern Not, des armen Brudern Leid?
Wo ich mich wende hin, da ist an Traurigkeit
ein reicher Überschuß. Den Hyacinth, den frommen,
der Gärten frühe Zier, hab' ich so um sehn kommen.
Sein blaues Haupt hängt ab, wenn etwan ihm der Nord
10 
mit Sturme zugeweht ein scharfes Morgenwort,
11 
darvon er ganz erstarrt. Du wirst, du schöner Knabe,
12 
im Lenzen deiner Zeit geführt zu deinem Grabe,
13 
gerissen wirstu hin! O unversehne Not!
14 
Soll denn das frische Kind zugleich sein stark und tot?
15 
Sind Tod und Leben eins? Wen schmerzt des Sohnes Sterben
16 
mehr als die Mutter selbst? Ach soll sie ihren Erben
17 
so sehen tragen hin? Gleich so tat Hecuba,
18 
als sie ihr letztes Kind zum Opfer führen sah',
19 
und weinte mehr als das. In gleicher Angst und Peine
20 
stund Niobe und ward gemählich zu dem Steine,
21 
der noch so heißt wie sie. Die Angst tritt häufig aus
22 
und bricht für heißer Not zu Mund' und Augen raus.
23 
Sie denkt der ersten Zeit, da sie das liebe Herze
24 
sah' um sich springen her mit lauter Lust und Scherze.
25 
Itzt bildet sie ihr ab die liebliche Gestalt,
26 
der frischen Augen Schein, der Tugend Aufenthalt,
27 
der weisen Sinnen Zier, mit der er, noch ein Knabe,
28 
viel' Männer übertraf. Sein kluges Wesen gabe
29 
was Großes zu verstehn. Das ewige Latein
30 
war ihm fast mit der Milch der Mutter gangen ein.
31 
Da war Gemeines nichts. Der fromme Jüngling lachte,
32 
wenn man an ein frembd Land und Reisen ihm gedachte,
33 
darzu er schon war reif. Sein aufgeweckter Sinn,
34 
der stund von Wiegen an schon allbereit dahin,
35 
wo mehr von Künsten ist, wo man gepreiste Sitten
36 
und Höfligkeit holt her. Er lief mit vollen Schritten
37 
auf die Vollkommenheit, er sparte keinen Fleiß,
38 
kein Winter war zu kalt, kein Sommer-Tag zu heiß,
39 
er war ihm allzeit gleich, versuchte was er kunte,
40 
vor Jahren alt zu sein. Itzt da er nun begunte
41 
zu brechen recht herfür, da er den nahen Zweck
42 
fast wie ergreifen will, rückt ihn der Tod hinweg
43 
und stellet ihm ein Bein. Wie etwan es geschiehet,
44 
daß, wenn der Läufer itzt den nahen Preis ersiehet,
45 
indem er eilt und denkt, wie er erhaschen will
46 
den aufgesteckten Dank, sich stößet vor dem Ziel
47 
und fällt und kömmt nicht auf in so behender Eile;
48 
dem Andern wird der Preis ganz unverhofft zu Teile.
49 
Er fällt, der schöne Sohn; des großen Vatern Zier,
50 
der frommen Mutter Lust, liegt tot vor ihnen hier.
51 
Ihr Hoffen stirbt mit ihm. Diß ist es, was wir Schwachen
52 
mit unsrer Stärke sein! Gott kan bald häßlich machen,
53 
was vor so schöne war. Und was man liebt voraus,
54 
das muß um so viel eh' aus unsrer Welt hinaus.
55 
Dir aber, jüngrer Sohn, du einziger der Deinen,
56 
in dem sie schauen an, nicht aber ohne Weinen,
57 
des selgen Brudern Geist, erlängre Gott dein Ziel
58 
und setz' an deine Zeit, was der zu frühe fiel!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.8 KB)

Details zum Gedicht „Auf Ableben des Woledlen Hansen von Löser, des Jüngern“

Autor
Paul Fleming
Anzahl Strophen
1
Anzahl Verse
58
Anzahl Wörter
517
Entstehungsjahr
1633
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Paul Fleming ist der Autor des Gedichtes „Auf Ableben des Woledlen Hansen von Löser, des Jüngern“. Geboren wurde Fleming im Jahr 1609 in Hartenstein (Sachsen). Das Gedicht ist im Jahr 1633 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Barock zu. Bei Fleming handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des Barock begann etwa 1600 und endete im Jahr 1720. Die wörtliche Übersetzung des aus dem Portugiesischen stammenden Begriffes „barocco“ lautet „schiefrunde Perle“. Der Barock ist durch ein bedeutendes Ereignis geprägt, dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648. Durch die desaströsen sanitären Bedingungen konnten sich Infektionskrankheiten rasend ausbreiten. Rund dreißig Prozent der Bevölkerung kamen durch den Krieg und grassierenden Seuchen, wie etwa der Pest, ums Leben. Durch die immense Verminderung der Bevölkerung schwächte sich das wirtschaftliche Leben zunehmend ab. Die Literaturepoche des Barocks zeichnet sich vordergründig durch die Antithetik, also einem von Widersprüchen und Gegensätzen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Literatur des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Jenseits und Diesseits, Tugend und Wollust oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. Die Literaturepoche des Barocks war die erste Epoche, die in Deutschland bewirkte, dass Literatur von nun an nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern erstmals auch in deutscher Sprache publiziert wurde. Eine besondere in der Zeit des Barocks bevorzugte Form der Lyrik stellte das sogenannte Sonett dar. Die Autoren gehörten in der Regel dem Gelehrtenstand an: Theologen, Akademiker, Beamte und Adelige. Berühmte Autoren des Barocks sind etwa Martin Opitz, Andreas Gryphius, Daniel Caspar von Lohenstein, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.

Das 517 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 58 Versen mit nur einer Strophe. Weitere Werke des Dichters Paul Fleming sind „Tugend ist mein Leben“, „Hier ist Nichts denn finstre Nacht“ und „Auf die Weise des 101. Psalms“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Auf Ableben des Woledlen Hansen von Löser, des Jüngern“ weitere 366 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Weitere Gedichte des Autors Paul Fleming (Infos zum Autor)

Zum Autor Paul Fleming sind auf abi-pur.de 366 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.