Der Löwe und die Mücke von Friedrich von Hagedorn

Ein kluger Heiliger, selbst Augustinus, spricht:
»Dem Sonnenkörper ist die Fliege vorzuziehen;
Denn ihr, nicht jenem, ward ein Lebensgeist verliehen.«
Vielleicht ist dieses wahr; ich aber glaub' es nicht.
Doch denk' ich keinen Ruhm den Fliegen abzusprechen;
Die Fliegen wissen sich zu rächen:
Auch Mücken fehlt es nicht an Keckheit, noch an Macht.
Wer ist der Heldin zu vergleichen,
Die jenes starke Thier aufs äußerste gebracht,
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Dem alle Thiere zitternd weichen?
 
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Der Thiere Regiment in Monomotapa
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War durch Gewalt und Recht dem Löwen zugefallen,
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Der sich, Monarchen gleich, von schüchternen Vasallen
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Geschmeichelt und gefürchtet sah.
 
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Dort heißt ein schwarzer Fürst das Wunder seiner Zeit,
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Hat nur sein Heldenmuth viel Böses unterlassen;
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Den Löwen nannten auch noch ungelähmte Sassen
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Das Muster seiner Gütigkeit.
 
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Das Lob nährt seinen Stolz, so wie sein Grimm die Noth.
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Mit beiden durfte nur die kühne Mücke scherzen,
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Die ihm aus edlem Haß, mit freiheitvollem Herzen,
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Des scharfen Stachels Spitze bot.
 
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Der Angriff wird gewagt; sie selber bläst zur Schlacht;
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Sie säumt nicht, an den Feind sich peinlich fest zu saugen,
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Und hat den König bald um Rachen, Maul und Augen
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Mit tausend Schmerzen wund gemacht.
 
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Er tobet, schnaubt und schäumt; die Thiere bergen sich;
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Die Tapfersten entfliehn den majestätschen Klauen.
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Er brüllt; der Hügel bebt; das allgemeine Grauen
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Vermehrt ein jeder Mückenstich.
 
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Was will der Stärkre thun? Der Schwächre gibt nicht nach;
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Der Löwe sucht umsonst die Mücke zu erreichen,
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Und wird, nach langem Streit, nach mißgelungnen Streichen,
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Ermüdet, und an Kräften schwach.
 
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Sie putzt ihr Panzerhemd, die Schuppen um den Leib,
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Und ihren Federbusch, läßt beide Flügel klingen,
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Zieht alle Schwerter ein, die aus dem Rüssel dringen,
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Und hält sich für kein schlechtes Weib.
 
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Nun steigt sie in die Luft, mit Sieg und Ruhm geschmückt;
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Nun weiß sie schon die Kunst, die Löwen zu besiegen:
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Bald aber sieht man sie in ein Gewebe fliegen,
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Darin die Spinne sie erstickt.
 
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Aus beider Sicherheit wird deutlich wahrgenommen,
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Daß oft der schwächste Feind den kühnsten Helden schlägt.
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Wie mancher Waghals ist im Zufall umgekommen,
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Den weder Sturm noch Schlacht erlegt!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (28.9 KB)

Details zum Gedicht „Der Löwe und die Mücke“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
46
Anzahl Wörter
342
Entstehungsjahr
1708 - 1754
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Friedrich von Hagedorn ist der Autor des Gedichtes „Der Löwe und die Mücke“. Hagedorn wurde im Jahr 1708 in Hamburg geboren. Zwischen den Jahren 1724 und 1754 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Aufklärung zugeordnet werden. Bei Hagedorn handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das Gedicht besteht aus 46 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 342 Worte. Friedrich von Hagedorn ist auch der Autor für Gedichte wie „Zorn eines Verliebten“, „Der Wunsch“ und „Harvstehude“. Zum Autor des Gedichtes „Der Löwe und die Mücke“ haben wir auf abi-pur.de weitere 252 Gedichte veröffentlicht.

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