Leichen-Carmen von Friedrich von Hagedorn

Herr Jost ist todt, der reiche Mann!
Wär' er nicht reich gewesen,
Wir würden, falls ich rathen kann,
Auf Ihn kein Carmen lesen.
Sein hocherleuchteter Papa
Pflag Ihn oft selbst zu wiegen;
Die tugendvolle Frau Mama
Erzog Ihn mit Vergnügen.
 
Er war ein rechter Springinsfeld
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Im ersten bunten Kleide,
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Und ward daher der jungen Welt
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Und auch der Muhmen Freude.
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Nur sieben Jahre war Er alt,
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Da wußt' Er fast zu lesen;
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Und hieraus sieht ein jeder bald,
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Wie klug das Kind gewesen.
 
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Man hielte Seiner Jugend zart
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Wol zehn Informatores;
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Die lehrten Ihn, nach mancher Art,
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Die Sprachen und die Mores.
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Es lernte Jost ohn' Unterlaß,
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Daß Ihm der Kopf fast rauchte:
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Kein Mutterkind studirte das,
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Was es zu wissen brauchte.
 
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Da eilt' Er mit der jungen Magd
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In manche Classen eben,
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Und führte, mit ihr, unverzagt,
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Ein exemplarisch Leben.
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Er glich dem edlen Gartenklee,
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Der zeitig aufwärts steiget,
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Und nicht der trägen Aloe,
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Die späte Blüten zeiget.
 
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Doch, weil Er viel zu sinnreich war,
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Um nur gelehrt zu werden,
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So riß Ihn bald der Eltern Paar
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Aus allen Schulbeschwerden.
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Sie sagten: Sohn! Seid unser Trost!
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Vermehrt, was wir erworben!
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Dann seid Ihr nicht der erste Jost,
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Der reich und stolz verstorben.
 
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Sogleich verging Ihm aller Dunst
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Lateinscher alten Sprüche.
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Er faßte durch die Rechenkunst
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Die allerschwersten Brüche.
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O Einmal Eins! dich sah Er ein,
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So wie ein rechter Falke.
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Durch Handlung wirst du glücklich sein,
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Verkündigt Ihm Herr Halke.
 
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Johannes Halke hatte Recht:
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Wer prophezeit behender?
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Die ihr mir etwa widersprecht,
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Lest den Naturkalender!
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Seht, seht auf unsern Ehrenmann,
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Den wir so schön begraben;
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Wer sonst kein Beispiel haben kann,
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Wird es an diesem haben!
 
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Der Wohlerblaßte ging auch, traun!
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Auf nicht zu lange Reisen;
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Theils um die Fremde zu beschaun,
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Theils um Sich ihr zu weisen.
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In Frankreich war Er ein Baron,
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In Holland Heer van Josten,
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Und zeigte Seines Vaters Sohn
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In Süden, Westen, Osten.
 
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Er kannte wirklich weit und breit
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Geheime Staatsintrigues,
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Und wußte ganz genau die Zeit
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Des dreißigjähr'gen Krieges.
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Herr Jost bewies, als Knabe schon,
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Bei vier Zusammenkünften,
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Der Sechste Carl sei nicht ein Sohn
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Von Kaiser Carl dem Fünften.
 
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Er kam zurück und ließ sich sehn,
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Wo man Ihn sehen sollte.
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Nun hieß Er jedem klug und schön,
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Der Ihn so nennen wollte.
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Doch rieth man Ihm mit gutem Fug,
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Den ritterlichen Degen,
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Den Er an Seiner Seite trug,
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Nur Sonntags anzulegen.
 
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Das Werk der Handlung wohlgemuth
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Ward nun von Ihm begriffen.
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Ihm träumte nur von Geld und Gut,
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Von Frachten und von Schiffen.
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Gelehrte sucht' Er weiter nicht,
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Als etwa bei Prozessen;
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Sonst macht' Er ihnen ein Gesicht,
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Als wollt' Er alle fressen.
 
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Der Reich-Entschlafne wollte drauf
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Sich doppelt reich durch Ehen,
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Ja Sich und Seinen Lebenslauf
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In ächten Erben sehen.
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Madame starb Ihm plötzlich ab,
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Eh' Er die andre freite;
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Die dritte, die Sein Geld Ihm gab,
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Beerdiget Ihn heute.
 
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Als Trauermann folgt Sein Herr Sohn
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Mit ellenlangem Flore;
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Und vor Ihm singt die Schule schon
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In dem gewohnten Chore.
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Der schwarzen Mäntel lange Zahl
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Begleitet Ihn bei Paaren;
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Er stirbt, doch nur ein einzig Mal,
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Die Kosten zu ersparen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (31.5 KB)

Details zum Gedicht „Leichen-Carmen“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
104
Anzahl Wörter
520
Entstehungsjahr
1740
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Leichen-Carmen“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich von Hagedorn. Der Autor Friedrich von Hagedorn wurde 1708 in Hamburg geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1740 zurück. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Aufklärung zu. Hagedorn ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 520 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 104 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Der Dichter Friedrich von Hagedorn ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Nacht“, „Der Morgen“ und „Dauer der Scribenten“. Zum Autor des Gedichtes „Leichen-Carmen“ haben wir auf abi-pur.de weitere 252 Gedichte veröffentlicht.

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