An unsere Feinde von Rudolf Lavant

Sie sahn schon manche Illusion zerrinnen
Mit unterdrücktem oder lautem Jammern,
Jedoch an eine - an die dümmste – klammern
Sie sich noch heute fest mit allen Sinnen.
So oft zusammen auch in stolzer Haltung
Zu ernster Tagung die Partei getreten,
Hat man den Himmel hoffnungsvoll gebeten
Um eine tücht’ge, unleugbare Spaltung.
 
So war es stets. Man kann’s verzeihlich finden.
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Erwiesen war, man werde die Genossen,
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Solang sie einig blieben und geschlossen,
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Durch keine Macht der Erde überwinden.
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Das war so unbehaglich und so häßlich.
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Man wäre gern von Fest zu Fest gehastet,
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Doch auf der Brust hat’s wie ein Alp gelastet,
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Und somit war die Spaltung unerläßlich.
 
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Und darum griff man zu der alten Puppe,
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Die schon so oft von ihrer Höhe stürzte,
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Und mit denselben Ingredienzen würzte
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Den Lesern man die dünne Bettelsuppe.
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Vor jedem „Tage“ bringt man zur Entfaltung,
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Neu aufgeputzt, sei mehr es oder minder,
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Den Hampelmann für die polit’schen Kinder,
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Das tröstliche Phantom der „großen Spaltung“.
 
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Doch immer wieder war die Hoffnung eitel,
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Und immer wieder wurde sie zuschanden,
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Und drohend hat der Riese dagestanden,
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Gepanzert von der Sohle bis zum Scheitel.
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Stets sah man stolz die rote Fahne wehen,
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Die sie das Banner der Zerstörung nennen –
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Den Akt des Selbstmords, jemals sich zu trennen,
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Wird die Partei ganz sicher nie begehen.
 
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Laßt endlich diesen Popanz doch verrecken,
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Und statt zu horchen an den Fensterläden,
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Bekümmert euch um eure eignen Schäden,
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Denn ihr habt alle Dreck an euren Stecken.
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Wir aber ziehn gelassen unsre Bahnen,
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Den Blick gelenkt auf hohe Menschheitsziele –
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Des Weltmeers Wellen küssen unsre Kiele,
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Die Zukunft rauscht in unsern roten Fahnen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.9 KB)

Details zum Gedicht „An unsere Feinde“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
40
Anzahl Wörter
272
Entstehungsjahr
nach 1860
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das besprochene Gedicht „An unsere Feinde“ stammt von Rudolf Lavant, geboren 1844 und gestorben 1915. Rudolf Lavant war ein deutscher Schriftsteller und Sozialist, was sich ebenfalls in seinem Gedicht niederschlägt. Da er 1915 verstarb, lässt sich das Gedicht zeitlich in das späte 19. oder frühe 20. Jahrhundert einordnen.

In dem Gedicht spricht das lyrische Ich zu seinen Gegnern, zu den „Feinden“. Jene werden kritisiert für ihre vermeintlichen Hoffnungen und ihre Taten. Das Gedicht besteht aus geharnischter Kritik an den politischen Gegnern, die in ihren Handlungen und ihrer ideologischen Orientierung als illusionär und selbstschädigend dargestellt werden. Es wird thematisiert, dass die politischen Gegenspieler sich an eine naive oder törichte Illusion klammern, obwohl sie schon oft desillusioniert wurden.

Das lyrische Ich steht in Opposition zu diesen Feinden und betont ihre Standhaftigkeit und Unzerstörbarkeit („gepanzert von der Sohle bis zum Scheitel“). Gleichzeitig fordert das lyrische Ich diese Gegner auf, sich um ihre eigenen Probleme zu kümmern, statt gegen die 'Partei' des lyrischen Ichs vorzugehen.

Das Gedicht nutzt eine recht direkte, zum Teil harte und aggressive Sprachweise. Es besteht aus fünf Strophen mit jeweils acht Versen, es folgt also einer klaren Struktur. Die Sprache ist bildhaft, es werden zum Beispiel symbolische Elemente wie die „rote Fahne“ oder das „Banner der Zerstörung“ verwendet. Gleichzeitig arbeitet Rudolf Lavant mit bildlichen Darstellungen seiner Gegner als vertane Hoffnungen und gescheiterte Widerständler.

In dem Gedicht zeigt sich deutlich die politische Motivation des Autors. Lavant nutzt das Gedicht als Mittel der politischen Auseinandersetzung und der Profilierung der eigenen Position. Das lyrische Ich rechnet mit den 'Feinden' ab und bestärkt gleichzeitig die eigenen Überzeugungen und das Selbstbild als kraftvolle, unerschütterliche Kraft in der Gesellschaft. Daher kann man das Gedicht auch als ein historisches Zeugnis der politischen Auseinandersetzungen seiner Zeit lesen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An unsere Feinde“ des Autors Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. In der Zeit von 1860 bis 1915 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Berlin. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus oder Avantgarde / Dadaismus kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei Verwendung der Angaben zur Epoche prüfe bitte die Richtigkeit der Zuordnung. Die Auswahl der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen und muss daher nicht unbedingt richtig sein. Das vorliegende Gedicht umfasst 272 Wörter. Es baut sich aus 5 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „Bekenntnis“, „Das Jahr“ und „Das Jahr – ein Leben“. Zum Autor des Gedichtes „An unsere Feinde“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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