An den Kladderadatsch von Rudolf Lavant

Du bist einst groß und eine Macht gewesen,
Als du noch wirklich schneidig warst und spitz;
Ein souveräner Herrscher war dein Witz
Und Deutschland hat mit Spannung dich gelesen.
Nach rechts und links, nach unten und nach oben
Hast du gehau’n, ein lustiger Kumpan,
Und dem am häufigsten du weh gethan,
War doch bereit, als ehrlich dich zu loben.
 
Tempi passati! Nur zu bald verflogen
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War spurlos dir der rechte Spiritus;
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Man hat sogar sehr bald zum Fidibus
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Ein ander Stück Papier sich vorgezogen.
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Das macht, der alte, urfidele Knabe
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Ward ein Philisterchen, das heißt servil –
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Wo blieb der Laune anmuthsvolles Spiel,
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Wo blieb die hohe, seltne Göttergabe?
 
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Du zogst nach oben frisch nicht mehr vom Leder
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Und was der Kanzler meinte, sprach und that,
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War dir Gesetz – du tauchtest früh und spat
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In einem Topf voll Honig deine Feder.
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Sie troff ja förmlich von der süßen Waare
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Und Unterthänigkeit ward all’ dein Sein;
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Du wobst geschäftig einen Heil’genschein
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Um die bewußten drei einsamen Haare.
 
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Der andre Topf hat Gift und Schmutz enthalten;
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Daraus bespritzte rastlos deine Hand
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Den Mann, der kecken Sinns sich unterstand,
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Zu rechten mit den herrschenden Gewalten.
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Du maltest ab als unverschämte Knoten,
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Als Rotte Korah, die nach Fusel riecht,
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An der das Deutsche Reich im Innern siecht,
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Allwöchentlich – und herzlich schlecht! – die Rothen.
 
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In diesem Zirkel drehte sich des Alten,
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Der einst ein Springer war, gemessner Tanz;
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Die Langeweile, sie ergriff mit Glanz
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Und Energie Besitz von deinen Spalten.
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Es glichen sich die Nummern und die Wochen;
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Man nahm dich friedlich gähnend in die Hand,
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Und wenn in dir man je ein Witzchen fand,
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So hatten – deine Setzer ihn verbrochen.
 
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Was, alter Junge, willst du nun beginnen?
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Nun zieht sogar der Heil’genschein nicht mehr,
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Denn grollend ging auf Nimmerwiederkehr
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Der „General der Kavallerie“ von hinnen.
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Man sagt sogar, er sei gegangen worden,
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Weil da und dort er widerborstig war,
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Doch wie dem sei – das Eine ist dir klar:
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Du schaust vergebens trüben Blicks nach Norden.
 
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Was ist zu thun? Der Fall ist ziemlich bitter;
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Es sehnt vielleicht nach einst’gem stillen Glück
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Und an der Leine Ufer sich zurück
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Des Kanzlerthums geschworner „letzter Ritter.“
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Auf diesem Feld wird dir kein Lorbeer sprießen,
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Und eher kommst du gänzlich auf den Hund
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Durch steten Witz- und Abonnentenschwund;
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Ich rathe dir, die Bude zuzuschließen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.2 KB)

Details zum Gedicht „An den Kladderadatsch“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
389
Entstehungsjahr
1893
Epoche
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An den Kladderadatsch“ wurde von Rudolf Lavant geschrieben, einem deutschen Schriftsteller und Komödienautor der späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts.

Auf den ersten Blick ist es offensichtlich, dass das Gedicht satirisch und kritisch an ein bestimmtes publizistisches Medium, den Kladderadatsch, gewandt ist. Dies entspricht Rudolf Lavants üblicher Schreibweise, da er häufig für satirische Magazine schrieb und bekannt für seinen humorvollen und scharfsinnigen Ton war.

Das lyrische Ich kritisiert das Publikationsmedium Kladderadatsch, das einst scharfsinnig und mächtig war und nun an Relevanz verloren hat. Es spricht seine Enttäuschung darüber aus, wie das Medium seine ursprüngliche Unabhängigkeit und seinen schneidigen Witzen zugunsten von Unterwürfigkeit und langweiliger Inhalte aufgegeben hat. Es drückt auch die Einschätzung aus, dass der Kladderadatsch den Kontakt zu seinem ursprünglichen Zielpublikum verloren hat und seine besten Tage hinter sich hat.

Das Gedicht ist formal in sieben Strophen mit jeweils 8 Versen strukturiert, eine eher ungewöhnliche Form. Es weist dabei keinen offensichtlichen Reimschema auf. Die Sprache von Rudolf Lavant ist bildhaft und satirisch, gepaart mit einem beißenden, ironischen Ton. So wird das Medium als „urfidele Knabe“ bezeichnet, der zum „Philisterchen“ wurde. Mit Verweis auf das „Heiligenschein“, „Topf voller Honig“ und das „Gift und Schmutz“ greift er die Doppelmoral und Korruption der Publikation an.

Zusammenfassend handelt es sich bei Rudolf Lavants „An den Kladderadatsch“ um eine scharfe satirische Kritik an einem Publikationsmedium, das er für seine Unterwürfigkeit und Langweiligkeit tadelte, und das er einst für seine kritischen und witzigen Inhalte schätzte. Dabei bedient sich Lavant einer bildhaften und ironischen Sprache, um seine Botschaft zu übermitteln.

Weitere Informationen

Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „An den Kladderadatsch“. Der Autor Rudolf Lavant wurde 1844 in Leipzig geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. In Stuttgart ist der Text erschienen. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 389 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Rudolf Lavant sind „An la belle France.“, „Bekenntnis“ und „Das Jahr“. Zum Autor des Gedichtes „An den Kladderadatsch“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 96 Gedichte vor.

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