An Herrn Crispi von Rudolf Lavant
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Als man den Alp der Dichter und der Denker, |
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Der jahrelang als unumschränkter Lenker |
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Geleitet hat des deutschen Schiffes Kiel – |
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Es ging, als man den Laufpaß ihm gegeben, |
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Ein tiefes, mühsam unterdrücktes Beben |
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Durch ganz Europa: ein Gewalt’ger fiel. |
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Nun trägt der Thauwind die willkomm’ne Kunde |
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Vom grünen Süd zum eisumstarrten Sunde |
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Und in dein lieblich Reich, o weiser Zar, |
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Daß Crispi abwärts zu den Schatten walle; |
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Doch ganz Europa kichert bei dem Falle |
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Des eitlen Manns, der Bismarck’s Affe war. |
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Im rothen Hemd mit Garibaldi’s Schaaren |
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Zog wider König Bomba er vor Jahren, |
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Als all sein Sinnen noch der Freiheit galt. |
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Da ahnt’ er nicht, daß je er eine Stimme |
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Im Rath der Völker habe und erklimme |
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Die höchste, steilste Staffel der Gewalt. |
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Soldat der Freiheit, der herabgeglitten |
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Auf schiefer Bahn, der sklavisch alle Sitten |
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Des grimmen Kanzlers sich zum Vorbild nahm – |
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Du hast dem Lande, das Dein Joch getragen |
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So tiefe Wunden rücksichtslos geschlagen, |
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Wie er, der vor Dir noch zu Falle kam! |
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Geschmiedet habt Ihr Beiden um die Wette |
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Voll Kunst an einer und derselben Kette, |
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Und ohne Furcht vor einem Strafgericht. |
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Einmal jedoch erwacht das Volksgewissen |
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Und als die Bande zornig man zerrissen, |
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Da sprangen Euch die Stücke ins Gesicht. |
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Als Bismarck’s Stuhl vor einem Volksgewitter |
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Und seinem Blitz in Scheiter brach und Splitter, |
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Hat er vergraben sich in Friedrichsruh; |
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Nun schnür’ auch Du Dein Bündel, alter Knabe, |
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Greif einmal noch zum zähen Wanderstabe |
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Und thue an die leichten Reiseschuh! |
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Nach Friedrichs(un)ruh solltest zu dem andern |
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Erlauchten Abgesägten nun Du wandern, |
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Denn allzuweit ist es ja nicht entfernt. |
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Dort könntet ihr, den heißen Grimm zu kühlen, |
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In holder Eintracht um die Wette wühlen – |
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Du hast es sicher noch nicht ganz verlernt. |
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Vielleicht gewöhnst Du Dich an Malz und Hopfen; |
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Auf jeden Fall darfst Du die Pfeife stopfen |
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Dem „großen“ Freund, wie eine treue Magd. |
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Du darfst mit ihm entlang die Raine schreiten |
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Und in des Herbstes muntern bunten Zeiten |
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Die Waidmannstasche tragen auf der Jagd. |
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Wer weiß, ob allzuferne noch die Stunde, |
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Die auch den Dritten bringt zu eurem Bunde, |
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Denn auch Graf Taaffe wird noch Trutzgesell. |
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In Oestreich kriselts ja zur Zeit nach Noten |
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Und sicher reiten die bekannten Todten |
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Auch an der Donau Strand nicht minder schnell. |
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Im deutschen Walde fiel die dickste Eiche; |
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Nun sind auch Sie politisch eine Leiche, |
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Bevor Sie noch Ihr Testament gemacht. |
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Die Feinde jubeln, die Trabanten schweigen, |
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Italien athmet auf, die Kurse steigen – |
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Wer hätte das vor Jahresfrist gedacht? |
Details zum Gedicht „An Herrn Crispi“
Rudolf Lavant
10
60
418
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Das hier vorliegende Gedicht „An Herrn Crispi“ stammt von Rudolf Lavant, einem deutschen Dichter, der im 19. Jahrhundert lebte, somit ordnen wir das Gedicht in die Epoche des literarischen Realismus ein.
Auf den ersten Blick wirkt das Gedicht sehr direkt und kritisch. Es hat einen politischen Kontext und nimmt Bezug auf historische Ereignisse und Personen seiner Zeit.
Inhaltlich wendet sich das lyrische Ich direkt an den früheren italienischen Staatsmann Francesco Crispi, der zusammen mit dem deutschen Reichskanzler Otto von Bismarck in dem Gedicht kritisiert wird. Es beginnt mit einer Kritik an den politischen Fähigkeiten Crispis und zieht dann Parallelen zu Bismarck und seiner autoritären Führung. Das lyrische Ich wirft beiden Männern vor, zu stark auf Macht und Kontrolle fokussiert gewesen zu sein, was schlussendlich zu ihrem Sturz führte.
In Bezug auf Form und Sprache lässt sich erkennen, dass das Gedicht in gereimten Versen geschrieben ist, was eine gewisse Regelmäßigkeit und Ordnung im Gedicht kreiert. Es ist geprägt von einer bildhaften und metaphorischen Sprache („Nun trägt der Thauwind die willkomm’ne Kunde...“) und verwendet an einigen Stellen auch einen ironischen Ton, beispielsweise wenn das lyrische Ich Crispi dazu auffordert, sein „Bündel zu schnüren“ und in den Ruhestand zu gehen oder ihm vorschlägt, er könnte seinem „großen Freund“ (gemeint ist Bismarck) die Pfeife stopfen. Dass dabei Bezug auf aktuelle politische Ereignisse genommen wird, unterstreicht die Absicht des lyrischen Ichs, eine politische Aussage zu treffen und Kritik an den handelnden Personen zu üben.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht „An Herrn Crispi“ von Rudolf Lavant eine scharfe Kritik an den politischen Verhältnissen seiner Zeit ist und durch seine bildliche und metaphorische Sprache auch auf heutige Leser noch einen starken Eindruck macht. Es bietet eine interessante Einsicht in den politischen Diskurs des 19. Jahrhunderts und zeigt auf beeindruckende Weise, wie Literatur zur politischen Kritik genutzt werden kann.
Weitere Informationen
Das Gedicht „An Herrn Crispi“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Rudolf Lavant. Lavant wurde im Jahr 1844 in Leipzig geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1893 entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Naturalismus oder Moderne zugeordnet werden. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das Gedicht besteht aus 60 Versen mit insgesamt 10 Strophen und umfasst dabei 418 Worte. Die Gedichte „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“, „An den Kladderadatsch“ und „An die Frauen“ sind weitere Werke des Autors Rudolf Lavant. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An Herrn Crispi“ weitere 96 Gedichte vor.
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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