Festgesang von Rudolf Lavant
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Das wäre nicht die rechte Freude, |
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Die vor dem Ernst so völlig schützt, |
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Daß Mancher sinnend nicht auch heute |
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Das Haupt in seine Rechte stützt, |
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Daß nicht ein Tropfen Zorn und Trauer |
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Ihm in den Kelch des Jubels fällt, |
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Daß es ins Ohr ihm nicht wie rauer |
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Und wilder Ruf zum Kampfe gellt. |
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„Wie Ruf zum Kampf?“ Als ob in Waffen |
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Die Welt nicht aller Orten starrt! |
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Die Klinge saust, die Wunden klaffen |
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Und unsre Zeit ist streng und hart. |
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Wohl herrscht für lange Jahre Frieden |
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Im Geistesreich und tiefe Ruh – |
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Uns aber ward der Kampf beschieden |
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Und der Entscheidung treibt er zu. |
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Es ist im Reiche der Gedanken |
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Wie nie zuvor entbrannt der Streit |
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Und auch die stärksten Säulen wanken |
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Am Glaubensbau der alten Zeit. |
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Es schmilzt das Bild der alten Normen |
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In Zweifelsgluthen und zerfließt, |
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Damit das Erz in neue Formen |
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Der Geist der Menschheit wieder gießt. |
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Die alten Träume abzustreifen, |
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Ist immer schwer und immer Schmerz, |
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Und dennoch gilt’s: Partei ergreifen |
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Mit Hand und Mund, mit Kopf und Herz. |
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Die Noth der Zeit erlaubt kein Säumen |
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Und scheucht uns fort vom warmen Herd |
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Und schreckt uns auf aus sanften Träumen |
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Und drückt uns in die Hand das Schwert. |
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Vor diesem Kampf und seinen Sorgen, |
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Vor seinem Lied und seiner Pein, |
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Kann nur ein kaltes Herz geborgen, |
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Ein stumpfer Sinn behütet sein. |
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Wer aber bricht bei diesem Ringen |
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Die Bahn in stolzem, treuem Muth? |
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Wer muß die schwersten Opfer bringen? |
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Der vierte Stand – die Vorderhut! |
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Die Fahne, die dem dritten Stande |
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Vorangeweht bei kühner That, |
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Er gab sie preis zu seiner Schande |
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Durch feigen, tückischen Verrath. |
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Sie lag im Staub – zerfetzt und blutig |
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Das Bannertuch, geknickt der Schaft – |
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Da aber hat sie todesmuthig |
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Der vierte Stand emporgerafft. |
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Er läßt im Winde rauschend wehen |
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Die heil’ge Fahne „Ideal,“ |
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Und wird mit ihr im Kampfe stehen |
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Und schirmen sie mit blankem Stahl. |
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Er wird sie fest und sicher halten, |
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Und wenn die Freiheit doch verdirbt, |
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So hüllt er trotzig in die Falten |
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Des heil’gen Banners sich und – stirbt. |
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Er wird nicht sterben, er wird siegen! |
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Vorbei der Lüge finstre Zeit, |
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Und ewig kann nicht unterliegen |
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Auf Erden die Gerechtigkeit! |
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Wie Fischer einst zu großen Dingen |
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Der Nazarener ausgesandt, |
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So ist zu herrlichstem Vollbringen |
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Erkoren jetzt der letzte Stand. |
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Wir stehn im ersten Morgengrauen, |
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Und kalt ist Alles, trüb und feucht – |
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Wer aber wird die Sonne schauen, |
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Die alle Schatten strahlend scheucht? |
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Wir streu’n die Saat: Von unsern Söhnen |
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Wird einst die Ernte eingebracht – |
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Das ist es, was bei Jubeltönen |
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So Manchen ernst auch heute macht! |
Details zum Gedicht „Festgesang“
Rudolf Lavant
9
72
429
1893
Naturalismus,
Moderne
Gedicht-Analyse
Dieses Gedicht wurde von Rudolf Lavant verfasst, einem Dichter aus Deutschland, der von 1844 bis 1915 lebte. Das Werk fällt somit in die Epoche des Realismus in der Literatur (1850-1890), allerdings können bereits Anklänge an die nachfolgende expressionistische Epoche wahrgenommen werden, in der die sozialen Missstände und die Veränderungen der Gesellschaft stärker thematisiert wurden.
Auf den ersten Blick erzeugt das Gedicht einen Eindruck von Ernsthaftigkeit und Schwere. Es geht um Kämpfe, Veränderung und sozialer Gerechtigkeit – ein roter Faden zieht sich durch das ganze Gedicht, der klar macht, dass es hier um mehr als eine einfache Erzählung geht.
Inhaltlich spricht das lyrische Ich von der Notwendigkeit zum Kampf – sowohl im metaphorischen als auch im tatsächlichen Sinn. Dabei handelt es sich nicht nur um einen physischen Kampf, sondern vor allem um geistige Auseinandersetzungen und Veränderungen. Der Kontext und die Zeitgeschichte lassen annehmen, dass dieser Kampf sich auf die sozialen und gesellschaftlichen Veränderungen bezieht, die in der damaligen Zeit intensiv diskutiert wurden. Das lyrische Ich appelliert an seine Mitmenschen, diese Kämpfe anzunehmen und nicht zu scheuen – stattdessen sollte man die alten Normen und Ideale hinter sich lassen und für eine neue, gerechtere Welt eintreten.
Sowohl Form als auch Sprache des Gedichts sind klassisch gehalten. Es besteht aus neun Strophen mit jeweils acht Versen. Die Sprache ist gehoben und routiniert, die Bilder sind stark und eindrucksvoll. Durch den gezielten Einsatz von Metaphern wird dem Leser das Bild eines kompromisslosen, aber notwendigen Kampfes vor Augen geführt.
Insgesamt lässt sich sagen, dass das Gedicht Festgesang von Rudolf Lavant eine mächtige Aufforderung ist, nicht länger die Augen vor den Problemen und Ungerechtigkeiten in der Gesellschaft zu verschließen. Es appelliert an den Mut und den Willen der Menschen, hierbei eine aktive Rolle einzunehmen und sich für Veränderung und Fortschritt einzusetzen. Die schwere, aber eindringliche Sprache trägt zur Ausdruckskraft und Bedeutung des Gedichts bei und macht es zu einem starken Beispiel der sozialkritischen Literatur seiner Zeit.
Weitere Informationen
Rudolf Lavant ist der Autor des Gedichtes „Festgesang“. Im Jahr 1844 wurde Lavant in Leipzig geboren. 1893 ist das Gedicht entstanden. Der Erscheinungsort ist Stuttgart. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Naturalismus oder Moderne zuordnen. Die Angaben zur Epoche prüfe bitte vor Verwendung auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich die Literaturepochen zeitlich teilweise überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung fehleranfällig. Das 429 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 9 Strophen. Der Dichter Rudolf Lavant ist auch der Autor für Gedichte wie „An Herrn Crispi“, „An das Jahr“ und „An den Herrn Minister Herrfurth Exzellenz“. Zum Autor des Gedichtes „Festgesang“ haben wir auf abi-pur.de weitere 96 Gedichte veröffentlicht.
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- An die alte Raketenkiste
- An unsere Feinde
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Zum Autor Rudolf Lavant sind auf abi-pur.de 96 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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