Einer Toten von Conrad Ferdinand Meyer

Wie fühl ich heute Deine Macht,
als ob sich Deine Wimper schatte
vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
um Mitternacht!
Dein Auge sieht
begierig mein entstehend Lied.
 
Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bists! Doch Deine Lippen schweigen,
und liesest Du ein Wort, das zart und eigen,
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bists wieder Du,
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Dein Herzensblut,
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indes Dein Staub im Grabe ruht.
 
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Mir ist, wenn mich Dein Atem streift,
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der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
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als seist in Deinen stillen Grabesstunden
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auch Du gereist
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an Liebeskraft,
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an Willen und an Leidenschaft.
 
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Die Marmorurne setzten Dir
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die Deinen - um Dich zu vergessen,
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sie erbten, bauten, freiten unterdessen;
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Du lebst in mir!
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Wozu beweint?
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Du lebst und fühlst mit mir vereint!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Einer Toten“

Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
24
Anzahl Wörter
118
Entstehungsjahr
1825 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Conrad Ferdinand Meyer ist der Autor des vorliegenden Gedichtes „Einer Toten“. Meyer gehört zu den bedeutendsten Schweizer Dichtern des Realismus und lebte von 1825 bis 1898. Er wird oft mit der Schweizer Literaturbewegung des Spät-Biedermeier und des Realismus in Verbindung gebracht.

Die erste Empfindung die beim Lesen entsteht, ist eine tiefe, fast mystische, Intimität zwischen dem lyrischen Ich und einem abwesenden, offenbar toten Gegenüber, zu dem ein intensiver emotionaler Bezug besteht.

Das Gedicht thematisiert die Beziehung des lyrischen Ichs zu einer verstorbenen Person. Das lyrische Ich empfindet eine starke Verbindung zu ihr. Es erlebt die Präsenz dieser Person während des Schreibens beinahe als real. Die Macht dieser Verstorbenen wird im ersten Abschnitt betont. In der zweiten Strophe wird die andauernde Stille der Toten hervorgehoben, die trotzdem sehr gegenwärtig ist. Die anschließende Strophe thematisiert die Wechselwirkung von Leben und Tod, Dasein und Abwesenheit. Die letzte Strophe widmet sich dem Gedanken, dass das Leben trotz physischer Abwesenheit weitergeht, die Verstorbene aber weiterhin in ihm fortlebt – sie fühlt und lebt eins mit ihm.

Das lyrische Ich scheint somit zu sagen, dass die tote Person immer noch lebendig an seiner Seite ist. Sie ist physisch abwesend, doch emotional und spirituell präsent. Ihre Beziehung ist immer noch stark und lebendig, obwohl die Realität zeigt, dass die Verstorbene tot ist und ihr Körper im Grab ruht.

Die vier Strophen des Gedichts sind in einer gleichen Struktur gehalten - jede besteht aus sechs Versen. Die Sprache des Gedichts ist emotional und intensiv, teilweise auch spirituell. Die Personifikationen und Metaphern verstärken die emotionale Verbindung des lyrischen Ichs zur Verstorbenen und betonen die Präsenz der Verstorbenen trotz ihres Todes. Die Wiederholung bestimmter Motive und Begriffe unterstreicht die Tiefe dieser emotionalen Bindung und deren Fortdauer trotz des Todes.

Weitere Informationen

Conrad Ferdinand Meyer ist der Autor des Gedichtes „Einer Toten“. Im Jahr 1825 wurde Meyer in Zürich geboren. Im Zeitraum zwischen 1841 und 1898 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Meyer handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 118 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 24 Versen mit insgesamt 4 Strophen. Conrad Ferdinand Meyer ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Rappe des Comturs“, „Der Ritt in den Tod“ und „Der römische Brunnen“. Zum Autor des Gedichtes „Einer Toten“ haben wir auf abi-pur.de weitere 80 Gedichte veröffentlicht.

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