Ein Mutterherz von Hermann Ludwig Allmers
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Weihnachten war's, die schöne Wonnezeit |
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Wo Millionen Herzen freudig schlagen, |
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Sei es im Geben, sei es im Empfangen |
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Und Jubel rings und reinste Seligkeit. |
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Als nun der heil'ge Abend niedersank |
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Aus tiefer wunderklarer Himmelsbläue |
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Rings auf die stille schneebedeckte Erde, |
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Und als von allen Thürmen naß und fern |
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In mächtig hehrem Feierglockenklange |
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Des Himmels alte süße Liebeskunde |
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Die Luft durchzittert, und als gemach |
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Manch' Fenster sich erhellte, als hinaus |
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Strahlende Kerzenpracht des Tannenbaums |
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Mit lustig lautem Kinderjubel drang: |
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Da saß ein Weib allein in nied'rem Stübchen |
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Bei trüber Lampe, eine Wittwe war es |
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Im schwarzen Kleide. Stumm die Hände faltend, |
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So saß sie da und starrte in die Flamme: |
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Und während fern die Glockenklänge tönten |
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Die Lichter strahlten und die Kinder jauchzten |
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Blieb es in ihrem Herzen still und dunkel. |
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Einst war auch ihre Seele hochbeglückt |
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Durch einen lieben schönen blonden Knaben, |
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Ihr Hoffen einst, ihr Stolz und ihre Freude |
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Doch der war nun seit wenig Monden todt |
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Und lag an seines todten Vaters Seite. |
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Nun hat sie keinen Christbaum mehr zu schmücken, |
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Nun keiner Seele Freude zu bereiten, |
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Und dieses schönste Fest für's Mutterherz, |
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So reich an Wonnen einst, nun reißt es tausend |
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Kaum heile Wunden schmerzlich wieder auf. |
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So saß sie da und starrte in die Flamme, |
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In ihrer tiefsten Seele still und öde, |
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So saß sie da ganz einsam ohne Regung. |
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Da plötzlich kommt in's Herz ihr ein Gedanke: |
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Auf steht sie seltsam lächelnd, geht hinaus |
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Und kehrt nach einer halben Stunde wieder |
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Mit einem kleinen grünen Tannenbäumchen |
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Und Lichtern auch und Goldschaum es zu schmücken, |
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Dann hängt sie Nüsse dran und rothe Aepfel |
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Wie sonst sie pflegte, und als das vollbracht, |
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Holt eine Leuchte sie und zündet diese, |
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Geht dann mit ihrem Bäumchen wieder fort. |
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Sie eilet durch die hellen Straßen hin, |
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Dann weiter durch die ruhigen der Vorstadt |
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Und immer weiter bis zum stillen Friedhof. |
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Hoch oben funkelte das Heer der Sterne |
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Herab in tiefer träumerischer Bläue, |
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Ein selig Glänzen ging durch alle Ferne |
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Und eine hehre Feier war ringsum, |
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Als sollten wieder Wunder sich begeben |
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Und wieder Hosiannalieder klingen. |
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Und wie so friedlich lag das heil'ge Feld |
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Mit seinen Kreuzen, seinen Todtenkränzen |
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Und Leichensteinen unterm Schneegewand, |
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Das Alles deckte still und weiß und rein. |
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Sie aber ging zu einem kleinen Hügel, |
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Dort kniete sie, dann in die harte Erde |
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Steckt mühsam sie den kleinen Baum und zündet |
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die Lichter an; sie strahlten feierlich |
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Rings auf den kalten Schnee, auch nicht im kleinsten |
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Nachthauche bebend - solche Stille war's. |
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?Mein Kind, mein liebes, süßes, todtes Kind, |
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Sieh her, es hat dir deine arme Mutter |
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Den Weihnachtsbaum gebracht." Mehr sprach sie nicht. |
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Doch heftig laut aufweinend sinkt sie nieder |
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Und birgt das heiße thränenvolle Haupt |
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Tief in den kalten Schnee, ihr Herz zerwühlend |
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In wilder Lust mit selbstgeschaffner Qual. |
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So fanden sie die Leute und sie schalten |
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Und nannten sie unsinnig, hirnverrückt, |
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Hinweg sie zerrend von des Kindes Grabe. |
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Denn Männer waren's. Keiner je verstand |
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In solchen Wonnen und in solchen Qualen |
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In seiner ganzen Wunderherrlichkeit |
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Das Mutterherz, - das heil'ge Mutterherz. |
Details zum Gedicht „Ein Mutterherz“
Hermann Ludwig Allmers
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506
1821 - 1902
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz,
Realismus
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht ist von Hermann Ludwig Allmers (1821-1902) und trägt den Titel „Ein Mutterherz“. Es wurde vermutlich im späten 19. Jahrhundert verfasst und handelt von einer trauernden Mutter während der Weihnachtszeit.
Auf den ersten Eindruck kommt dieses Gedicht sehr melancholisch und traurig rüber. Es erzählt die Geschichte einer Mutter, deren Sohn verstorben ist. Während alle anderen während der Weihnachtszeit fröhlich sind und feiern, sitzt sie einsam und traurig zu Hause. Schließlich beschließt sie, einen Weihnachtsbaum zu schmücken und ihn auf dem Grab ihres Sohnes aufzustellen. Dieser Akt wird von den Leuten beobachtet und sie halten die Mutter für verrückt. Das Gedicht endet mit einer kritischen Aussage bezüglich des Unverständnisses der Männer für die emotionale Tiefe des Mutterseins.
Die tiefgreifende Traurigkeit und der Schmerz, den das lyrische Ich, die Mutter, empfindet, wird in den Versen ersichtlich. Wir sehen sie in ihrer Verzweiflung, der Kummer und die Einsamkeit sind fast greifbar. Die Mutter fühlt sich fremd in einer Welt, die trotz ihres Verlusts weiter feiert. Doch sie versucht, sich dieses Festes zu bemächtigen, indem sie einen Weihnachtsbaum für ihr verstorbenes Kind schmückt. Ein starkes Bild für ihre nie endende Liebe und ihren niemals endenden Schmerz.
Das Gedicht besteht aus 13 Strophen mit einer variierenden Anzahl von Versen. Es sind sehr bildhafte und intensive Sprachelemente verwendet, die Emotionen und Bilder in den Köpfen der Leser erwecken. Allmers bedient sich einer eher klassischen, melodischen und rhythmischen Dichtform, was die dramatische und emotionale Wirkung des Gedichts unterstützt. Die Sprache ist sehr detailliert und beschreibend, mit großer Liebe zum Detail.
Die Tragödie und die Verzweiflung der Hauptfigur werden durch die Metaphern und die Symbolik des Weihnachtsbaums und des Friedhofs hervorgehoben. Der Baum, üblicherweise ein Symbol für Leben und Wachstum, wird hier zu einem Symbol des Todes und der Trauer. Der Friedhof, oft verbunden mit Stille und Frieden, wird zum Schauplatz der Traurigkeit und des Leids, aber auch der Liebe und der Erinnerung. Diese Gegensätze und die tiefgehenden Emotionen machen dieses Gedicht zu einer eindringlichen Darstellung der Mutterliebe und -trauer.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Ein Mutterherz“ ist Hermann Ludwig Allmers. Der Autor Hermann Ludwig Allmers wurde 1821 in Rechtenfleth (Niedersachsen) geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1837 bis 1902 entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz, Realismus, Naturalismus oder Moderne zu. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das 506 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 76 Versen mit insgesamt 13 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Hermann Ludwig Allmers sind „Gedenket der Väter und was sie geschafft“, „Lewer dod as Slav!“ und „Nach Sturm und Kampf und Not und Plage“. Zum Autor des Gedichtes „Ein Mutterherz“ haben wir auf abi-pur.de weitere 18 Gedichte veröffentlicht.
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Weitere Gedichte des Autors Hermann Ludwig Allmers (Infos zum Autor)
- Gedenket der Väter und was sie geschafft
- Lewer dod as Slav!
- Nach Sturm und Kampf und Not und Plage
- Der Halligmatrose
- Feldeinsamkeit
- Im Colosseum
- Strandlust
- Heidenacht
- Am Strande
- Dahin
Zum Autor Hermann Ludwig Allmers sind auf abi-pur.de 18 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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