Bund der Landwirte von Kurt Tucholsky

Des Morgens speit er auf die Berolina,
des Abends macht er sichs bei ihr bequem;
auf seiner Klitsche geht er mit die Hihna
zu Bett – und hier mit anderswem.
 
Und in den Sektlokälern stellen
sie sich wie Eichen auf, so fest und stark:
„Wat, Kuhlow, det sinn hier Marjellen?
Und Rasse ham se …!“ (Zwanzig Mark.)
 
Am nächsten Morgen sitzt er, stramm gerötet
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und gut rasiert (die Äuglein noch verklebt),
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im Zirkus, wo man seine Feinde tötet –
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„Die roten Juden!“ – und die Sitzbank bebt.
 
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Der ganze Stall scharrt stürmisch mit den Hufen,
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es schnaubt und wiehert jeder dicke Gaul,
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und alles glotzt von jenen Zirkusstufen
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dem alten Schimmel Oldenburg ins Maul.
 
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… Des Morgens speit er auf die Berolina,
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des Abends greift er ihr ans volle Bein.
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Und das sind unsre Herrscher und Verdiener …
20 
Ich bin ein Preuße, will ein Preuße sein!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (24.6 KB)

Details zum Gedicht „Bund der Landwirte“

Anzahl Strophen
5
Anzahl Verse
20
Anzahl Wörter
140
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Bund der Landwirte“ wurde von Kurt Tucholsky verfasst, einem bedeutenden Vertreter der literarischen Moderne in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Tucholsky war als Journalist, Schriftsteller und Sozialkritiker bekannt und lebte von 1890 bis 1935.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine satirische Kritik am Verhalten der Landwirte und deren politischen Einflusses in Deutschland zur damaligen Zeit zu sein. Tucholsky nutzt das lyrische Ich, um das Verhalten der Landwirte zu beschreiben und ihre Doppelmoral anzuprangern.

Das lyrische Ich erzählt, wie die Landwirte einerseits auf die Stadt (hier metaphorisch als „Berolina“, die Allegorie Berlins, dargestellt) herabblicken („Des Morgens speit er auf die Berolina“), andererseits aber im Luxus der Stadt leben („des Abends macht er sichs bei ihr bequem“). Sie protzen, sind untreu („hier mit anderswem“) und feiern in teuren Lokalen. Dabei stellen sie sich als starke, unerschütterliche Männer dar.

Mit kritischen Untertönen wird dem Leser auch die Diskrepanz zwischen dem öffentlichen und privaten Verhalten dargestellt sowie ihr Agieren gegen die Juden und politische Feinde, was auf ihren politischen Einfluss hindeutet. Im letzten Vers proklamiert das lyrische Ich, trotz alledem ein Preuße sein zu wollen - ein Satz, der vermutlich ironisch gemeint ist und die kritische Haltung des lyrischen Ichs unterstreicht.

Das Gedicht ist in freien Versen geschrieben, die sich mittels einer abwechselnden Anzahl von vier und drei Hebungen pro Vers dem Berliner Dialekt annehmen. Dabei verwendet Tucholsky eine schlichte, leicht derbe Sprache und viele Berliner Redewendungen, um die Wirklichkeit möglichst authentisch darzustellen.

Insgesamt kann das Gedicht als sozialkritische Satire betrachtet werden, die die Handlungen und Einstellungen der Landwirte und ihre politischen Ambitionen zu jener Zeit kritisch hinterfragt. Der politische Unterton entspricht dabei Tucholskys bekannter kritischer Haltung gegenüber den gesellschaftlichen Zuständen in der Weimarer Republik.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Bund der Landwirte“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Entstanden ist das Gedicht im Jahr 1919. In Charlottenburg ist der Text erschienen. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zuordnen. Der Schriftsteller Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Der Erste Weltkrieg von 1914 bis 1918 und die daraufhin folgende Entstehung und der Fall der Republik hatten erheblichen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von distanzierter Betrachtung der Welt und Nüchternheit gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich zu erreichen. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die deutsche Exilliteratur entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Bestimmte formale Gestaltungsmittel wie zum Beispiel Metrum, Reimschema oder der Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel lassen sich in der Exilliteratur nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 140 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 20 Versen mit insgesamt 5 Strophen. Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „Achtundvierzig“, „All people on board!“ und „Also wat nu – ja oder ja?“. Zum Autor des Gedichtes „Bund der Landwirte“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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