An die Meinige von Kurt Tucholsky

Legt man die Hand jetzt auf die Gummiwaren?
Erinnre, Claire, dich an deine Pflicht!
Das geht nicht so wie in den letzten Jahren:
Du bist steril, und du vermehrst dich nicht!
 
Wohlauf! Wohlan! zu Deutschlands Ruhm und Ehren!
Vorbei ist nun der Liebe grüner Mai –
da hilft nun nichts: du mußt etwas gebären,
einmal, vielleicht auch zweimal oder drei!
 
Wir Deutschen sind die Allerallerersten,
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voran der Kronprinz als Eins-A-Papa.
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Der Gallier faucht – wir haben doch die mehrsten,
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und hungern sie, mein Gott, sie sind doch da!
 
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Denn sieh: die Babys brauchen Medizinen
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und manchmal auch ein weiß Getöpf aus Ton,
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Gebäck, das Milchgetränk – man kauft es ihnen,
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und dann vor allem, Kind, die Konfektion!
 
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Und wer soll in des Kaisers Röcken dienen,
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umbrüllt vom Leutnant und vom General?
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Stell du das her: es muß nur maskulinen
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Geschlechtes sein – der Schädel ist egal.
 
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Ins Bett! Hier hast du deine Wickelbinden!
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Schenk mir den Leo nebst der Annmarei!
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Und zählt man nach, wird man voll Freude finden
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sechzig Millionen, und von uns
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die zwei!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „An die Meinige“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
172
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht mit dem Titel „An die Meinige“ stammt von Kurt Tucholsky, einem wichtigen Vertreter der literarischen Moderne im Deutschland der Zwischenkriegszeit. Tucholsky wurde 1890 geboren und starb 1935, d.h. das Gedicht ist in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden.

Beim ersten Lesen wirkt das Gedicht humoristisch und ironisch, enthält dabei aber scharfe Gesellschaftskritik. Im Kern geht es um den sozialen Druck auf Frauen, Kinder zu bekommen und dabei vor allem männliche Nachkommen zu produzieren. Das lyrische Ich, vermutlich ein männlicher Betrachter, richtet sich dabei an seine Partnerin und macht auf die Erwartungshaltung aufmerksam, der sie unterliegt.

Das lyrische Ich greift ironisch die Pflicht der Frau auf, „zu Deutschlands Ruhm und Ehren“ Kinder zur Welt zu bringen und diese dann mit den materiellen Dingen zu versorgen, welche in der Gesellschaft als wichtig erachtet werden - Medizin, Nahrung, Kleidung. Insbesondere wird aber der Wunsch nach männlichen Nachkommen hervorgehoben, die sich später dem Militärdienst unterziehen sollen.

Formal besticht das Gedicht durch seinen klaren Aufbau mit insgesamt 6 Strophen, die jeweils aus vier bzw. fünf Versen bestehen. Jede Strophe behandelt einen eigenen Aspekt der Thematik und trägt so zum Verständnis des Gesamtinhalts bei. Die Sprache ist einfach und leicht verständlich, der sarkastische Unterton wird vor allem durch die bewusste Übertreibung und der Verwendung von umgangssprachlichen Ausdrücken wie „Allerallerersten“ oder „die mehrsten“ erreicht.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Tucholsky in „An die Meinige“ auf ironische Weise den gesellschaftlichen Druck auf Frauen thematisiert, Kinder zu gebären, um konventionellen Erwartungen zu entsprechen. Dabei kritisiert er insbesondere die Erwartung, dass es sich bei den Kindern um männliche Nachkommen handeln soll, die in das militärische System eingegliedert werden können. Das Gedicht ist deshalb als eine scharfe Gesellschaftskritik zu verstehen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An die Meinige“ des Autors Kurt Tucholsky. Im Jahr 1890 wurde Tucholsky in Berlin geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1919 entstanden. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Tucholsky ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Wichtigen Einfluss auf die Literatur der Weimarer Republik nahmen der Erste Weltkrieg und die daraufhin folgende Entstehung der Weimarer Republik. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von Nüchternheit und distanzierter Betrachtung der Welt gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist religiöse oder politische Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind typisch für diese Epoche der Literatur. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 25 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 172 Worte. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „An einen garnisondienstfähigen Dichter“, „An ihren Papa“ und „Apage, Josephine, apage–!“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die Meinige“ weitere 136 Gedichte vor.

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