König Johann und der Bischof von Canterbury von Theodor Fontane

Nun heb' einen lustigen Schwank ich an,
Ein Märchen von unsrem König Johann,
Mutwillig hat er im Lande regiert,
Ob's recht war, ob nicht - hat ihn wenig geschiert.
 
Und erzählen auch will ich zur Stelle hie
Von dem hochweisen Bischof von Canterbury
Die Küche voll Wildpret, der Keller voll Wein
Und Früchte von London, so mußt' es sein.
 
Und hundert Diener tagein, tagaus,
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Die warteten seiner in Hof und Haus,
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Sie trugen Kleider von Sammet schwer
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Und goldene Ketten darüber her.
 
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Das hörte der König. »He, Bischof, sprich,
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Du hältst ja glänzender Haus als ich,
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Ich wett', du betrügst mich um Steuer und Zins
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Und beraubst meinen Seckel seines Gewinns.«
 
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»Herr«, seufzte der Bischof, »vor Gott ich bekenn',
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Ich hab' nur vertafelt, was mein ich nenn',
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Und Ihr könnet und werdet mir krümmen kein Haar,
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Weil ich Wein getrunken, der meine war.«
 
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»Doch, Bischof, doch, dein Verbrechen wiegt schwer,
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Du stirbst, es kann dich nichts retten mehr,
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Es sei denn, du fändest die Antwort schnell
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Auf drei winzige Fragen, die ich dir stell'.
 
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Zum ersten: wenn ich auf Englands Thron,
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Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
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Rat halte mit meinen Grafen und Herrn,
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Wie viel ich dann wert bin, wüßt' ich gern?
 
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Und zum zweiten sollst du mir sagen dann,
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Wie rasch wohl die Welt ich umreiten kann?
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Und zum dritten will ich wissen geschwind,
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Was zur Stelle meine Gedanken sind?«
 
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»Herr, Eure Fragen sind viel zu schwer,
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Da find' ich nicht Lösung flugs hinterher,
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Gönnt mir drei Wochen vom heutigen Tag,
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Daß ich Frag' und Antwort ergründen mag.«
 
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»Wohlan, es sei! doch nutze die Frist,
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So lieb dir dein Land und dein Leben ist,
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Denn rätst du falsch oder bist du nicht hier,
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Sind dein Land und dein Leben verfallen mir.«
 
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Der Bischof hört' es in trübem Sinn,
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Gen Oxford und Cambridge ritt er hin,
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Da war kein Doktor, den er nicht frug,
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Doch die Klugen waren nicht klug genug.
 
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So ritt er denn heimwärts, das Kinn auf der Brust,
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Da kam sein Schäfer des Weges just,
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Der rief ihm zu: »Willkommen zu Haus!
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Was bringt Ihr? Wie sieht es in London aus?«
 
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»Schlecht«, seufzte der Bischof, »drei Tage nach hier
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Fällt mein armer Kopf vor die Füße mir,
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Es sei denn, daß er auf Antwort verfällt
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Auf drei Fragen, die mir der König gestellt.
 
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Zum ersten, wenn er auf Englands Thron,
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Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
55 
Rat hält mit seinen Grafen und Herrn,
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Wieviel er dann wert ist, wüßt' er gern.
 
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Und zum zweiten soll ich ihm sagen dann,
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Wie rasch er die Welt wohl umreiten kann;
59 
Und zum dritten will er wissen geschwind,
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Was zur Stelle seine Gedanken sind.«
 
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Da lachte der Schäfer: »Herr, denket daran,
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Daß ein Narr einen Weisen lehren kann;
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Gebt mir Euer Roß, Euren Stab, Euer Kleid,
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Und ich fecht' Euch aus Euren ganzen Streit.
 
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Sorgt nicht; in Kentshire weiß jedes Kind,
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Daß wir zwei wie von einem Vater sind,
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Und trag' ich nur erst Euer prächtig Gewand,
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Unterscheidet uns keiner im ganzen Land.«
 
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Da beschwor ihn der Bischof: »Nimm Chorrock und
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Stab,
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Nimm Diener und Läufer, so viel ich hab',
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Nimm Mitra, Kapuze, nimm was dir gefällt,
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Nur löse die Fragen, die er gestellt.«
 
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»Willkommen, Freund Bischof«, rief König Johann,
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»Du hältst deine Zeit, das ist wohlgetan,
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Und hält nur dein Witz auch so pünktlich Stand,
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Belehn' ich aufs neu dich mit Leuten und Land.
 
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Zum ersten: Wenn ich auf Englands Thron,
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Das Zepter in Händen, zu Häupten die Kron',
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Rat halte mit meinen Grafen und Herrn,
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Wie viel ich dann wert bin, wüßt' ich gern.«
 
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»Unser Heiland wurde, so wahr ich getauft,
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Um dreißig Silberlinge verkauft,
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Drum neunundzwanzig schätz' ich Euch ein,
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Um einen müßt Ihr doch billiger sein.«
 
86 
Da lachte der König und schwur bei Sankt Velt:
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»Ich hab' nicht gedacht, daß so wenig ich gelt'!
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Nun aber zum zweiten sage mir an,
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Wie rasch wohl die Welt ich umreiten kann?«
 
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»Reit' aus mit der Sonn', immer neben ihr fort,
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Bis du andren Tages am alten Ort,
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So hast du die Reise in Tag und Nacht
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Oder vierundzwanzig Stunden gemacht.«
 
94 
Da lachte der König und schwur bei Sankt Veit:
95 
»Ich hab' nicht gedacht, daß so rasch ich reit'!
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Nun aber sollst du mir sagen geschwind,
97 
Was zur Stelle meine Gedanken sind.«
 
98 
Da beugte der Schäfer schnell sein Knie:
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»Ihr denkt, ich sei Bischof von Canterbury,
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Der sitzet daheim; nur sein Schäfer bin ich
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Und bitt' um Gnade für ihn und für mich.«
 
102 
Da schwur der König und lachte hell:
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»Du sollst Bischof sein an seiner Stell'.«
104 
Der Schäfer seufzte: »'s geht halt nit mehr,
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Wo nähm' ich das Lesen und Schreiben her?«
 
106 
»Wohlan denn, so nimm zu Dank und Lohn
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Vier Nobel die Woche von mir, mein Sohn,
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Und reitst du bei deinem Bischof heran,
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So bring ihm Verzeihung vom König Johann.«

Details zum Gedicht „König Johann und der Bischof von Canterbury“

Anzahl Strophen
27
Anzahl Verse
109
Anzahl Wörter
808
Entstehungsjahr
1819 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „König Johann und der Bischof von Canterbury“ wurde von Theodor Fontane verfasst, einem bekannten deutschen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts, der auch als Begründer des realistischen Romanezeichnens in Deutschland angesehen wird.

Beim ersten Lesen des Gedichts wird man von Fontanes Erzählkunst in eine mittelalterliche Welt von Königen, Bischöfen, Dienern und Schäfern verführt. Fontanes humorvolle und einfache Sprache macht das Gedicht zugänglich und unterhaltsam.

Inhaltlich erzählt das Gedicht eine fiktive Begegnung zwischen König Johann und dem Bischof von Canterbury. Es beginnt damit, dass der König den Bischof beschuldigt, ihn bestohlen zu haben. Der Bischof behauptet jedoch, nur das ausgegeben zu haben, was ihm gehörte. Angesichts der drohenden Bestrafung stellt der König dem Bischof drei scheinbar unlösbare Fragen: Wie viel ist der König wert? Wie schnell kann er die Welt umreiten? Und was denkt der König gerade?

Der Bischof sucht vergeblich nach Antworten auf diese Fragen und begegnet schließlich einem Schäfer, der ihm hilft, sie zu lösen. Der Schäfer nimmt die Identität des Bischofs an und antwortet auf die Fragen des Königs auf solch kreative und unerwartete Weise, dass der König beeindruckt ist und ihre Klugheit anerkennt. Am Ende des Gedichts erhält der Schäfer eine Belohnung und der König bringt dem Bischof Verzeihung.

Durch die Analyse der Form und Sprache des Gedichts können wir feststellen, dass es sich dabei um eine Ballade handelt. Der regelmäßige Rhythmus, die klare Erzählstruktur und die Einbindung von Dialogen sind typische Merkmale dieser Gattung. Die einfache und direkte Sprache des Gedichts, die reich an visuellen Details und Alltagssprache ist, trägt zur Lebendigkeit und Zugänglichkeit der Erzählung bei.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass das Gedicht die Macht der Klugheit und des kritischen Denkens hervorhebt und darauf hinweist, dass diese Eigenschaften nicht auf bestimmte gesellschaftliche Klassen oder Positionen beschränkt sind. Ebenso wirft es auf humorvolle Weise Fragen über Macht, Reichtum und Autorität auf und zeigt, dass diese oft auf falschen oder fragwürdigen Prämissen basieren.

Weitere Informationen

Das Gedicht „König Johann und der Bischof von Canterbury“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Fontane. 1819 wurde Fontane in Neuruppin geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1835 bis 1898 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 808 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 109 Versen mit insgesamt 27 Strophen. Die Gedichte „An Emilie“, „An Lischen“ und „An Marie“ sind weitere Werke des Autors Theodor Fontane. Zum Autor des Gedichtes „König Johann und der Bischof von Canterbury“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.

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