Lord Athol von Theodor Fontane

Lord Athol kniet im Beichtstuhl
Vor dem Bischof von Aberdeen:
»Frommer Bischof, ich fühl' ein Feuer
In Mark und Adern glühn.
 
O lösch mit Gebet und Gnade
Mir das Feuer im Herzen aus
Unter weißen Schlehn im Walde
Stand ein einsam Jägerhaus.
 
Es stand im Wald unter weißen Schlehn,
10 
Seit drei Nächten steht es nicht mehr,
11 
Ich legte Stroh und Reisig
12 
Und Strauchwerk rings umher.
 
13 
Die Flammen verzehrten alles,
14 
Das Haus und den Mönch und mein Kind,
15 
Sie liebten sich, sie küßten sich,
16 
Ihre Asche hat der Wind.«
 
17 
Der fromme Bischof von Aberdeen
18 
Hat sich seufzend abgekehrt:
19 
»Lord Athol, ich kann nicht löschen
20 
Das Feuer, das dich verzehrt.
 
21 
Deiner Tochter stille Asche,
22 
Die hinweht über die Flur,
23 
Sie flüstert von deiner Sünde
24 
Wider Gott und die Natur.
 
25 
Und die sündige Seele des Mönches,
26 
Die jetzt in Flammen kreist,
27 
Schreit auf über deine Untat
28 
Wider Gott und den heiligen Geist.
 
29 
Die Schuld hinweg zu waschen,
30 
Hat die Welt nur einen Strom
31 
Brich auf und wirf dich nieder
32 
Vor dem heiligen Vater in Rom.«
 
33 
Lord Athol nahm eines Pilgers Kleid,
34 
Zog hin über Land und Meer,
35 
Er trat in die Peterskirche
36 
Viel Tausend knieten umher.
 
37 
Der Papst, in Gold und Purpur,
38 
Stand da mit verklärtem Gesicht
39 
Es war am Gründonnerstage,
40 
Wo er Worte des Segens spricht.
 
41 
Und als er der Segensworte
42 
Allerheiligstes nun begann,
43 
Da begann seine Stimme zu beben,
44 
Und ein Schauer faßte ihn an;
 
45 
Und der Kelch in seiner Rechten
46 
Entglitt seiner zitternden Hand
47 
Es rollten die roten Tropfen
48 
Hin über den weißen Sand.
 
49 
Todblaß der heilige Vater,
50 
Vor Entsetzen stand er da,
51 
Dann hob er mit Macht seine Stimme:
52 
»Ein Verfluchter ist uns nah!
 
53 
Er hat nicht teil am Segen
54 
Und nicht teil an Christi Huld,
55 
Der Kelch mit dem Blute des Heilands
56 
Erbebte vor seiner Schuld.
 
57 
Unseliger, flieh! diese Wände,
58 
Sie haben für dich nicht Raum!«
59 
Lord Athol schwankte von dannen,
60 
Seine Füße trugen ihn kaum.
 
61 
Er schritt ans Meer, zu Schiffe,
62 
Es kamen Ebb' und Flut,
63 
Die Jahre kamen und gingen,
64 
Im Herzen blieb die Glut.
 
65 
Er kniete am heiligen Grabe,
66 
Er fuhr über Land und See,
67 
Die Jahre kamen und gingen,
68 
Im Herzen blieb das Weh.
 
69 
Und heimwärts endlich fuhr er
70 
Über Land und über Meer,
71 
Er trat in Hof und Halle,
72 
Und Hof und Halle war leer.
 
73 
Im Kamine lag tote Asche,
74 
Drüber hing seines Kindes Bild,
75 
Hing unter Staub und Spinnweb
76 
Und lächelte doch so mild.
 
77 
Und mild kam's über Lord Athol:
78 
»Ich kenn' eine stille Stell',
79 
Eine einsame Stell' im Walde,
80 
Da bau' ich Kirch' und Kapell'.
 
81 
Ich bau' sie mit eigenen Händen
82 
Und will schlafen auf Stein und Streu,
83 
Die Stätte, wo ich gefrevelt,
84 
Sei auch Stätte meiner Reu'.«
 
85 
Und Schloß und Hof und Halle
86 
Verließ er alsobald,
87 
Nacht dämmerte in den Zweigen,
88 
Da schritt er hinab in den Wald.
 
89 
Er kam an den Platz; über Trümmern
90 
Blühten wieder die weißen Schlehn
91 
Auf dem Estrich, in grauer Kapuze,
92 
Sah einen Mönch er stehn.
 
93 
»Knie nieder zur Stell', Lord Athol,
94 
Ich kenn' deine Beichte schon,
95 
Knie nieder zur Stell', Lord Athol,
96 
Und empfange die Absolution.«
 
97 
»Wer bist du, dessen Freispruch
98 
An dieser Stätte mich sucht?«
99 
»Wer bist du, dessen Freispruch
100 
Wo der heilige Vater flucht?«
 
101 
»Bin ein Fremdling worden, Lord Athol,
102 
Mein Land ist fern und weit,
103 
Knie nieder zur Stell', knie nieder
104 
Und bete und sei bereit.«
105 
Lord Athol kniete lange,
106 
Tau fiel und Morgenduft,
107 
Der Fremde zerrann in Nebel,
108 
Und der Nebel zerrann in Luft.
 
109 
Im Walde sangen die Vögel,
110 
An den Zweigen hing Morgenrot,
111 
Lord Athol kniete noch immer
112 
Sie fanden ihn kalt und tot.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (33.1 KB)

Details zum Gedicht „Lord Athol“

Anzahl Strophen
27
Anzahl Verse
112
Anzahl Wörter
595
Entstehungsjahr
1819 - 1898
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Theodor Fontane ist der Autor des Gedichts „Lord Athol“. Fontane lebte und wirkte im 19. Jahrhundert, weshalb wir dieses Gedicht in die Epoche des Realismus einordnen können. In den ersten Strophen wird das lyrische Ich, Lord Athol, eingeführt. Lord Athol beichtet dem Bischof von Aberdeen eine Feuertat, bei der sein eigenes Kind und ein Mönch, die sich zu lieben schienen, ums Leben kamen. Athol bittet den Bischof, sein brennendes Herz – ein Symbol für seine Schuld und Reue – zu löschen, was dieser jedoch ablehnt und ihm stattdessen vorschlägt, zum Papst in Rom zu gehen.

Athol folgt diesem Ratschlag, doch als er in der Peterskirche an Gründonnerstag ist, wird er vom Papst als Verfluchter entlarvt und vertrieben. Athol begibt sich auf eine Pilgerreise, sucht den Frieden am heiligen Grab, jedoch bleibt seine innere Qual bestehen. Schließlich kehrt er zu seinem leeren Haus zurück und beschließt, an der Stelle seiner Sünde eine Kapelle zu errichten.

Nachdem er sein Haus verlassen hat, trifft er auf einen Mönch, der ihn zur Beichte auffordert und ihm die Absolution anbietet. Nach langem Beten wird Lord Athol tot aufgefunden, wobei der Mönch verschwindet. Dies wirft die Frage auf, ob dieser Mönch eine Art Geist oder Vision war.

Das Gedicht, das in den Reimen von vier Versen pro Strophe geschrieben ist, berichtet zunächst in einer klar verständlichen, direkten Sprache, bevor es auf mysteriöse und symbolische Elemente hinweist, wie den Geistermönch und das Feuer in Lord Athols Herzen. Die Sprache ist nicht blumig oder ausschmückend, aber sie ist gefüllt mit lebhaften Bildern – das Feuer, das einsame Jägerhaus, die leere Halle, der Pilgerweg, das heilige Grab und der mysteriöse Mönch sind alle prägnant und eindringlich dargestellt.

Insgesamt handelt das Gedicht von Schuld und Sühne, Reue und Erlösung, und es erkundet die menschliche Condition und das Konzept der Sünde im Kontext der katholischen Kirche. Trotz seiner zeitlichen und räumlichen Entfernung von der heutigen Welt und unserer eigenen Erfahrung, spricht es eine universale menschliche Erfahrung an: die Schwere der Schuld, die verzehrende Natur der Reue und die endlose Suche nach Erlösung.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Lord Athol“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Theodor Fontane. Im Jahr 1819 wurde Fontane in Neuruppin geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1835 bis 1898 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Bei Fontane handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 595 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 112 Versen mit insgesamt 27 Strophen. Die Gedichte „An Lischen“, „An Marie“ und „An meinem Fünfundsiebzigsten“ sind weitere Werke des Autors Theodor Fontane. Zum Autor des Gedichtes „Lord Athol“ haben wir auf abi-pur.de weitere 214 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Theodor Fontane

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Theodor Fontane und seinem Gedicht „Lord Athol“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Theodor Fontane (Infos zum Autor)

Zum Autor Theodor Fontane sind auf abi-pur.de 214 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.