Berliner Fasching von Kurt Tucholsky

Nun spuckt sich der Berliner in die Hände
und macht sich an das Werk der Fröhlichkeit.
Er schuftet sich von Anfang bis zu Ende
durch diese Faschingszeit.
 
Da hört man plötzlich von den höchsten Stufen
der eleganten Weltgesellschaft längs
der Spree und den Kanälen lockend rufen:
„Rin in die Escarpins!“
 
Und diese Laune, diese Grazie, weißte,
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die hat natürlich alle angesteckt;
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die Hand, die tagshindurch Satin verschleißte,
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winkt ganz leschehr nach Sekt.
 
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Die Dame faschingt so auf ihre Weise:
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gibt man ihr einmal schon im Jahr Lizenz,
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dann knutscht sie sich in streng geschlossnem Kreise,
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fern jeder Konkurrenz.
 
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Und auch der. Mittelstand fühlts im Gemüte:
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er macht den Bockbierfaßhahn nicht mehr zu,
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umspannt das Haupt mit einer bunten Tüte
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und rufet froh: „Juhu!“
 
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Ja, selbst der Weise schätzt nicht nur die hehre
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Philosophie: auch er bedarf des Weins!
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Leicht angefüllt geht er bei seine Claire.
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Berlin radaut, er lächelt …
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Jeder seins.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.8 KB)

Details zum Gedicht „Berliner Fasching“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
151
Entstehungsjahr
1919
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Der Autor des Gedichts „Berliner Fasching“ ist Kurt Tucholsky, ein deutscher Journalist und Schriftsteller, der von 1890 bis 1935 lebte. Damit lässt sich das Gedicht in die Weimarer Republik einordnen, eine Zeit großer politischer und gesellschaftlicher Umbrüche in Deutschland.

Auf den ersten Blick scheint das Gedicht eine humorvolle und satirische Darstellung des Berliner Faschings und der verschiedenen Gesellschaftsschichten zu sein, die daran teilnehmen. Tucholsky war bekannt für seine kritische Beobachtung der Gesellschaft seiner Zeit, was auch in diesem Gedicht zum Vorschein kommt.

Der Inhalt des Gedichts beschreibt die vielen unterschiedlichen Weisen, wie die verschiedenen Gesellschaftsschichten in Berlin das Faschingsfest feiern. Die Oberschicht wird als Frivole und Ausgelassene dargestellt, die Arbeiterklasse und der Mittelstand feiern mit Bier und lustigen Hüten, und sogar der Weise, der sich normalerweise der Philosophie widmet, lässt sich vom Rausch des Weins mitreißen. Tucholsky scheint die Faschingszeit als eine Zeit darzustellen, in der alle Sorgen vergessen werden und jeder auf seine eigene, manchmal überzogene Art, feiert.

Formal besteht das Gedicht aus sechs Strophen mit je vier bis fünf Versen. Die Verse folgen keinem strikten Reimschema, was einen freien Rhythmus schafft und das Gefühl der Ausgelassenheit und Ungezwungenheit der Faschingszeit unterstreicht. Sprachlich verwendet Tucholsky eine informelle, umgangssprachliche und bildhafte Sprache, um die Stimmung und Atmosphäre des Berliner Faschings einzufangen. Mit seiner pointierten und humoristischen Betrachtungsweise gelingt es ihm, die Absurdität der Faschingszeit darzustellen und gleichzeitig eine gesellschaftliche Kritik zu formulieren.

Insgesamt wirkt das Gedicht wie eine liebevolle und gleichzeitig scharfzüngige Betrachtung des berliner Faschings und seiner gesellschaftlichen Eigenheiten, typisch für Tucholsky's Stil und seinen Blick auf die Gesellschaft seiner Zeit.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Berliner Fasching“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Kurt Tucholsky. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1919 zurück. Charlottenburg ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Inhaltlich wurden in der Literatur der Weimarer Republik häufig die Ereignisse des Ersten Weltkriegs verarbeitet. Die geschichtlichen Einflüsse des Ersten Weltkrieges und der späteren Weimarer Republik sind die prägenden Faktoren dieser Epoche. Die Neue Sachlichkeit in der Literatur der Weimarer Republik ist von Nüchternheit und distanzierter Betrachtung der Welt gekennzeichnet und politisch geprägt. Es wurde eine Alltagssprache verwendet um mit den Texten so viele Menschen wie möglich anzusprechen. Die Freiheit von Wort und Schrift war zwar verfassungsmäßig garantiert, doch bereits 1922 wurde nach der Ermordung eines Politikers das Republikschutzgesetz erlassen, das diese Freiheit wieder einschränkte. Viele Schriftsteller litten unter dieser Zensur. Dieses Gesetz wurde in der Praxis nur gegen linke Autoren angewandt, nicht aber gegen rechte, die teils in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Das im Jahr 1926 erlassene Schund- und Schmutzgesetz verstärkte die Grenzen der Zensur nochmals. Später als die Pressenotverordnung im Jahr 1931 in Kraft trat, war sogar die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen über mehrere Monate möglich.

Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht in der Fremde suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk in ihrer Heimat bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten insbesondere die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten Deutschlands 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Themen der Exilliteratur Deutschlands lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Tätigkeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in deutscher Sprache schreiben konnten, was im Ausland niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die Themen in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte zum einen die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Zum anderen aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 25 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 151 Worte. Der Dichter Kurt Tucholsky ist auch der Autor für Gedichte wie „Achtundvierzig“, „All people on board!“ und „Also wat nu – ja oder ja?“. Zum Autor des Gedichtes „Berliner Fasching“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 136 Gedichte vor.

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