Bei näherer Bekanntschaft von Kurt Tucholsky

Von ferne gleichen die Großen im Geist
den Göttern, den hehren.
Solange du nichts von ihnen weißt,
kannst du sie verehren.
Doch hast du mit Deutschlands Musenpracht
erst nähere Bekanntschaft gemacht,
dann schick deine Illusionen man pennen:
Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
 
Der flicht an der alten Griechen Statt
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die tragische Kette –
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doch verreißt ihn das Nordhausener Tageblatt,
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dann fällt er aus’t Bette.
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Der meckert im Alter wie ein Bock
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und kriecht einer Tänzerin unter den Rock.
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Und was sie an Damen ihr Eigen nennen:
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Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
 
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Denn mit etwas hat Gott sie schön angeschmiert:
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mit ihren Frauen.
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„Mein Mann, mein Mann!“
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Dergleichen blamiert:
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ein Weibstück, scheeläugig und verschmiert,
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in den himmlischen Gauen.
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Der sitzt in der Höhle, ein krötiger Greis,
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der spricht nur von sich, weil er sonst nichts weiß …
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Von weitem! Laß sie am Himmel brennen!
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In Büchern und an Rundfunkantennen …
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Aber: Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (25.9 KB)

Details zum Gedicht „Bei näherer Bekanntschaft“

Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
27
Anzahl Wörter
168
Entstehungsjahr
1929
Epoche
Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Bei näherer Bekanntschaft“ wurde vom deutschen Schriftsteller Kurt Tucholsky verfasst, der von 1890 bis 1935 lebte. Er ist bekannt für seine scharfsinnige Gesellschaftskritik, die sich oft in satirischer oder polemischer Form ausdrückt. Entsprechend kann das Gedicht in die Weimarer Republik (1918-1933) eingeordnet werden, eine Zeit großer politischer und sozialer Umbrüche in Deutschland.

Das Gedicht macht auf den ersten Eindruck einen zynischen, fast schon bitteren Eindruck. Es wirft einen scharfen Blick auf diejenigen, die als „Größen im Geist“ gelten, und hinterfragt deren Ruf und Erscheinungsbild.

Inhaltlich geht das Gedicht darauf ein, dass diejenigen, die aus der Ferne betrachtet groß und beeindruckend erscheinen, bei näherer Betrachtung menschliche Fehler und Schwächen offenbaren. Der Dichter betont dabei, dass die Illusionen, die man von diesen Personen hat, bei näherer Bekanntschaft verschwinden.

Das lyrische Ich gibt zu bedenken, dass diese „Großen im Geist“ zwar eine gewisse Bewunderung verdienen, solange wir sie nicht wirklich kennen. Sobald jedoch eine engere Beziehung eingegangen wird, verschwindet die Illusion und es bleibt nur Enttäuschung.

Formal besteht das Gedicht aus drei Strophen mit insgesamt 27 Versen. Die Versform ist frei, und es gibt keinen einheitlichen Reimschema. Das Gedicht endet jeweils mit dem Refrain „Du mußt sie nicht kennen! Du mußt sie nicht kennen!“, was ein Element der Wiederholung und Betonung ist.

Die Sprache ist lebhaft und bildhaft, mit einigen humorvollen oder sarkastischen Wendungen, was typisch für Tucholskys Stil ist. Die bildhaften und metaphorischen Ausdrücke, wie „der flicht an der alten Griechen Statt die tragische Kette“ oder „der sitzt in der Höhle, ein krötiger Greis“, tragen zur kritischen und satirischen Atmosphäre des Gedichts bei.

Zusammenfassend hinterfragt Tucholsky in seinem Gedicht die Idealisierung von öffentlichen Figuren und betont die Wichtigkeit, sich nicht von äußeren Eindrücken täuschen zu lassen.

Weitere Informationen

Kurt Tucholsky ist der Autor des Gedichtes „Bei näherer Bekanntschaft“. Der Autor Kurt Tucholsky wurde 1890 in Berlin geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1929 zurück. Berlin ist der Erscheinungsort des Textes. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit oder Exilliteratur zu. Bei dem Schriftsteller Tucholsky handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

In der Literatur der Weimarer Republik wurden auf inhaltlicher Ebene häufig die Ereignisse des Ersten Weltkrieges verarbeitet. Sowohl der Erste Weltkrieg als auch die späteren politischen Gegebenheiten der Weimarer Republik sind prägende Faktoren für diese Epoche. Bei der Neuen Sachlichkeit war der Inhalt der Texte wichtiger als die Form. Die Autoren dieser Bewegung wollten mit ihren Texten möglichst viele Menschen aus allen sozialen Schichten ansprechen. Aus diesem Grund wurden die Texte in einer alltäglichen Sprache verfasst und wurden oft im Stile einer dokumentarisch-exakten Reportage geschrieben. Viele Schriftsteller litten unter der Zensur in der Weimarer Republik. Im Jahr 1922 wurde nach einem Attentat auf den Reichsaußenminister das Republikschutzgesetz erlassen, das die zunächst verfassungsmäßig garantierte Freiheit von Wort und Schrift in der Weimarer Republik deutlich einschränkte. In der Praxis wurde dieses Gesetz allerdings nur gegen linke Autoren angewandt. Aber gerade die rechts gerichteten Schriftsteller waren es häufig, die in ihren Werken offen Gewalt verherrlichten. Die Grenzen der Zensur wurden im Jahr 1926 durch das sogenannte Schund- und Schmutzgesetz nochmals verstärkt. Die Beschlagnahmung von Schriften und das Verbot von Zeitungen wurden durch die Pressenotverordnung im Jahr 1931 ermöglicht.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Autoren ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. In Folge dessen flohen viele Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus erkennen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Epoche geboren wurden. Das epische Theater von Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Flugblätter und Radioreden der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten erwähnenswert. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.

Das 168 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 27 Versen mit insgesamt 3 Strophen. Weitere Werke des Dichters Kurt Tucholsky sind „An Peter Panter“, „An das Publikum“ und „An die Meinige“. Zum Autor des Gedichtes „Bei näherer Bekanntschaft“ haben wir auf abi-pur.de weitere 136 Gedichte veröffentlicht.

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