Gorm Grymme von Theodor Fontane

König Gorm herrscht über Dänemark,
Er herrscht die dreißig Jahr,
Sein Sinn ist fest, seine Hand ist stark,
Weiß worden ist nur sein Haar,
Weiß worden sind nur seine buschigen Brau’n,
Die machten Manchen stumm,
In Grimme liebt er drein zu schau’n, –
Gorm Grymme heißt er drum.
 
Und die Jarls kamen zum Feste des Jul,
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Gorm Grymme sitzt im Saal,
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Und neben ihm sitzt, auf beinernem Stuhl,
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Thyra Danebod, sein Gemahl;
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Sie reichen einander still die Hand
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Und blicken sich an zugleich,
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Ein Lächeln in Beider Auge stand, –
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Gorm Grymme, was macht Dich so weich?
 
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Den Saal hinunter, in offner Hall’,
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Da fliegt es wie Locken im Wind,
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Jung-Harald spielt mit dem Federball,
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Jung-Harald, ihr einziges Kind,
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Sein Wuchs ist schlank, blond ist sein Haar,
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Blau-golden ist sein Kleid,
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Jung-Harald ist heut fünfzehn Jahr,
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Und sie lieben ihn Allbeid’.
 
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Sie lieben ihn Beid’; eine Ahnung bang
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Kommt über die Königin,
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Gorm Grymme aber den Saal entlang
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Auf Jung-Harald deutet er hin,
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Und er hebt sich zum Sprechen, – sein Mantel roth
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Gleitet nieder auf den Grund
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„Wer je mir spräche ‚er ist todt‘,
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Der müßte sterben zur Stund’.“
 
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Und Monde gehn. Es schmolz der Schnee,
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Der Sommer kam zu Gast,
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Dreihundert Schiffe fahren in See,
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Jung-Harald steht am Mast,
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Er steht am Mast, er singt ein Lied,
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Bis sich’s im Winde brach,
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Das letzte Segel, es schwand, es schied, –
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Gorm Grymme schaut ihm nach.
 
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Und wieder Monde. Grau-Herbstestag
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Liegt über Sund und Meer,
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Drei Schiffe mit mattem Ruderschlag
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Rudern heimwärts drüber her;
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Schwarz hängen die Wimpel; auf Brömsebro-Moor
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Jung-Harald liegt im Blut, –
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Wer bringt die Kunde vor Königs Ohr?
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Keiner hat den Muth.
 
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Thyra Danebod schreitet hinab an den Strand,
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Sie hatte die Segel gesehn;
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Sie spricht: „Und bangt sich euer Mund,
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Ich meld’ ihm, was geschehn“;
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Ablegt sie ihr rotes Korallengeschmeid’
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Und die Gemme von Opal,
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Sie kleidet sich in ein schwarzes Kleid
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Und tritt in Hall’ und Saal.
 
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In Hall’ und Saal. An Pfeiler und Wand
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Goldteppiche ziehen sich hin,
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Schwarze Teppiche nun mit eigener Hand
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Hängt drüber die Königin,
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Und sie zündet zwölf Kerzen, ihr flackernd Licht,
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Es gab einen trüben Schein,
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Und sie legt ein Gewebe, schwarz und dicht,
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Auf den Stuhl von Elfenbein.
 
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Eintritt Gorm Grymme. Es zittert sein Gang,
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Er schreitet wie im Traum,
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Er starrt die schwarze Hall’ entlang,
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Die Lichter er sieht sie kaum,
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Er spricht: „es weht wie Schwüle hier,
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Ich will an Meer und Strand,
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Reich’ meinen rothgoldenen Mantel mir
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Und reiche mir Deine Hand.“
 
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Sie gab ihm um einen Mantel dicht,
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Der war nicht golden, nicht roth,
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Gorm Grymme sprach: „Was Niemand spricht,
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Ich sprech’ es: er ist todt.“
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Er setzte sich nieder wo er stand,
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Ein Windstoß fuhr durch’s Haus,
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Die Königin hielt des Königs Hand,
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Die Lichter loschen aus.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „Gorm Grymme“

Anzahl Strophen
10
Anzahl Verse
80
Anzahl Wörter
465
Entstehungsjahr
1864
Epoche
Realismus

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Gorm Grymme“ wurde im 19. Jahrhundert von dem deutschen Schriftsteller Theodor Fontane verfasst, der als bedeutender Vertreter des poetischen Realismus gilt.

Beim ersten Eindruck überwältigt die ausschmückende und detaillierte Darstellung einer vergangenen Herrschaftszeit. Es wird die Geschichte des dänischen Königs Gorm Grymme erzählt, der trotz seiner dominanten und starken Persönlichkeit eine zarte Seite zeigt, wenn es um seine Familie geht.

Das lyrische Ich im Gedicht erzählt die Geschichte von König Gorm Grymme, seiner Frau Thyra Danebod und ihrem einzigen Sohn Jung-Harald. Unter Gorms Herrschaft wird ein Bild von Stärke und Entschlossenheit gezeichnet, das jedoch durch die Sorgen um seinen Sohn zeigt, dass er nicht frei von menschlichen Emotionen ist. Er sorgt sich um das Wohl seines Sohnes und drückt seine Angst aus, dass ihm etwas zustoßen könnte. Als Jung-Harald stirbt, ist es Thyra, die die Nachricht überbringen muss, was auf das alte Sprichwort verweist, dass schlechte Nachrichten oft von den unschuldigen geliefert werden. Gorms Reaktion auf den Tod seines Sohnes zeigt tiefe Trauer und Verlust.

Das Gedicht ist in zehn Strophen unterteilt, jede mit acht Versen, was eine klar strukturierte Form schafft. Die Sprache des Gedichts ist einfach, klar und flüssig, obwohl die erzählte Geschichte komplex und emotional aufgeladen ist. Die Szenen und Ereignisse werden in malerischer, visueller Sprache dargestellt, die ein lebendiges Bild erzeugt. Dabei nutzt Fontane Metaphern und Vergleiche. So verweist er beispielsweise auf die weißen Haare des Königs als Zeichen seines Alters und seiner Weisheit oder auf die schwarzen Tücher und Teppiche, die Trauer und Tod symbolisieren.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass Theodor Fontane in „Gorm Grymme“ menschliche Emotionen und die Abgründe der Macht mit einer starken und klaren Sprache darstellt. Obwohl die Geschichte in einer fernen Vergangenheit spielt, schafft sie es, universelle Themen wie Macht, Angst, Liebe und Verlust ansprechend darzustellen.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Gorm Grymme“ des Autors Theodor Fontane. 1819 wurde Fontane in Neuruppin geboren. Im Jahr 1864 ist das Gedicht entstanden. Erscheinungsort des Textes ist Stuttgart und Berlin. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Realismus zugeordnet werden. Der Schriftsteller Fontane ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das vorliegende Gedicht umfasst 465 Wörter. Es baut sich aus 10 Strophen auf und besteht aus 80 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Theodor Fontane sind „An Lischen“, „An Marie“ und „An meinem Fünfundsiebzigsten“. Zum Autor des Gedichtes „Gorm Grymme“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 214 Gedichte vor.

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