Warum, mein Gott? von Franz Werfel
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Was schufst du mich, mein Herr und Gott, |
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der ich aufging, unwissend Kerzenlicht, |
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und da bin jetzt im Winde meiner Schuld, |
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was schufst du mich, mein Herr und Gott, |
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zur Eitelkeit des Worts, |
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und daß ich dies füge |
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und trage vermessenen Stolz, |
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und in der Ferne meiner selbst |
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die Einsamkeit?! |
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Was schufst du mich zu dem, mein Herr und Gott? |
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Warum, warum nicht gabst du mir |
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zwei Hände voll Hilfe, |
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und Augen, waltend Doppelgestirn des Trostes? |
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und eine Stimm aprilen, regnend Musik der Güte, |
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und Stirne überhangen |
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von süßer Lampe der Demut? |
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Und einen Schritt durch tausend Straßen, |
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am Abend zu tragen alle |
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Glocken der Erde |
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ins Herz, ins Herze des Leidens ewiglich?! |
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Siehe, es fiebern |
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so viele Kindlein jetzt im Abendbett, |
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und Niobe ist Stein und kann nicht weinen. |
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Und dunkler Sünder starrt |
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in seines Himmels Ausgemessenheit. |
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Und jede Seele fällt zur Nacht |
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vom Baum, ein Blatt im Herbst des Traumes. |
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Und alle drängen sich um eine Wärme, |
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weil Winter ist |
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und warme Schmerzenszeit. |
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Warum, mein Herr und Gott, schufst du mich nicht |
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zu deinem Seraph, goldigen, willkommen, |
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der Hände Kristall auf Fieber zu legen, |
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zu gehn durch Türenseufzer ein und aus?! |
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Gegrüßt und geheißen: |
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Schlaf, Träne, Stube, Kuß, Gemeinschaft, Kindheit, mütterlich?! |
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Und daß ich raste auf den Ofenbänken, |
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und Zuspruch bin, und Balsam deines Hauses, |
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nur Flug und Botengang, und mein nichts weiß, |
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und im Gelock den Frühtau deines Angesichts! |
Details zum Gedicht „Warum, mein Gott?“
Franz Werfel
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232
1890 - 1945
Expressionismus,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Warum, mein Gott?“ des Autors Franz Werfel. Der Autor Franz Werfel wurde 1890 in Prag / Österreich-Ungarn geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1906 und 1945. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur zuordnen. Werfel ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Als Exilliteratur wird die Literatur von Schriftstellern bezeichnet, die unfreiwillig Zuflucht im Ausland suchen müssen, weil ihre Person oder ihr Werk im Heimatland bedroht sind. Für die Flucht ins Exil geben meist politische oder religiöse Gründe den Ausschlag. Die Exilliteratur in Deutschland entstand in den Jahren von 1933 bis 1945 als Literatur der Gegner des Nationalsozialismus. Dabei spielten zum Beispiel die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 und der deutsche Überfall auf die Nachbarstaaten in den Jahren 1938/39 eine ausschlaggebende Rolle. Die deutsche Exilliteratur schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an und bildet damit eine eigene Literaturepoche in der deutschen Literaturgeschichte. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den typischen Themenschwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).
Das vorliegende Gedicht umfasst 232 Wörter. Es baut sich aus 4 Strophen auf und besteht aus 40 Versen. Weitere Werke des Dichters Franz Werfel sind „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“, „Geheimnis“ und „Gesang einer Frau“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Warum, mein Gott?“ weitere 22 Gedichte vor.
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