Die Schwestern von Bozen von Franz Werfel

Zwei Schwestern sah ich heut auf morgendlicher Au.
Sie schwebten lerchenfrüh und schwärmten in das Blau,
Und waren angetan kühl in Gewande weiß.
Doch auf ihren Schürzen war
Von trockenem Blut ein Rost und dumpfer Kreis.
Sie aber tief umschlungen schritten wunderbar.
 
Ich trat sie an die Schwebenden, und fragte leis:
Schwestern, von welchem Schein sind euer Augen Scheine froh?
Kommt ihr nicht aus den Sälen, wo
10 
Die eingetränkte Maske auf das arme Antlitz sinkt,
11 
Und in die weißen Stoffe Blut und Eiter dringt?
12 
Geht ihr nicht durch die Fäulnis schwerer Zimmer ein und aus?
13 
Tragt ihr nicht Schüsseln Unrats mild mit euch hinaus?
14 
Und habt in eurem Opfer keinen Tag und keine Stunde Lust,
15 
Dürft nicht in das Theater gehn und nicht im Grünen sitzen unbewußt!
 
16 
Die beiden Schwestern aber sahn mich an mit einem Schaun,
17 
Mit einem Blick voll tiefstem Jenseits sahn mich an die beiden Fraun.
18 
Mit einem Blick, den ich, ein niedrer Laie, noch nicht ganz verstand,
19 
Und doch geschah es, daß mich Weinen überwand.
20 
Ich sah ein Licht steigen, das sich dem Wiesen-Kuß entreißt.
21 
Es ahnte eine tiefste Wollust mein entzückter Geist.
22 
Mir war von unbetretner Freude offenbar ein letztes Ziel ...
 
23 
Von ferne fühlt ich lachen leicht
24 
Das Schwesternpaar, wie's nun entweicht,
25 
Und schwindet tiefumschlungen in ein zärlitch frühes Glockenspiel.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Die Schwestern von Bozen“

Autor
Franz Werfel
Anzahl Strophen
4
Anzahl Verse
25
Anzahl Wörter
215
Entstehungsjahr
1890 - 1945
Epoche
Expressionismus,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Dieses Gedicht wurde von Franz Werfel (1890-1945), einem österreichischen Schriftsteller, verfasst. Seine aktiven Schreibjahre fallen überwiegend in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, einer Zeit großer politischer und sozialer Unruhen, die sich in der Literatur oftmals in stark emotionalem und tiefgründigem Schreiben widerspiegelt.

Das Gedicht hinterlässt beim ersten Lesen einen tiefen Eindruck. Es erwähnt Schönheit und Reinheit, aber zugleich werden auch dunklere Themen wie Tod und Krankheit aufgegriffen. Der Leser wird auf eine emotionale Reise mitgenommen, die sowohl ruhig als auch rätselhaft wirkt.

Auf den Inhalt bezogen beschreibt das lyrische Ich die Begegnung mit zwei Schwestern am Morgen. Die Schwestern scheinen in einem weißen Gewand gekleidet zu sein, das jedoch Flecken trockenen Blutes enthält. Das lyrische Ich stellt den Schwestern Fragen, die den Verdacht nahelegen, dass sie Krankenschwestern sein könnten, die sich um Kranke und Sterbende kümmern. Obwohl sie in einer düsteren und unangenehmen Umgebung arbeiten, wirken sie dennoch glücklich und friedlich. Diese Begegnung versetzt das lyrische Ich in Erstaunen und führt zu Tränen und einer tiefen emotionalen Erkenntnis.

Formal besteht das Gedicht aus vier Strophen von unterschiedlicher Länge mit insgesamt 25 Versen. Der Sprachstil ist metaphorisch und symbolisch, was dem Gedicht einen gewissen Rätselgehalt verleiht. Gleichzeitig wird eine eher formelle und schlichte Sprache verwendet, die vor allem in der ersten Strophe durch die Beschreibungen der Schwestern sehr bildhaft wird. Die Sprache des Gedichts und die immanenten Fragen des lyrischen Ichs geben den Schwestern und ihrer Arbeit eine fast mystische Qualität, die den Leser sowohl fesselt als auch nachdenklich stimmt.

Das Gedicht behandelt Themen wie Arbeit, Hingabe, Opfer und Selbstlosigkeit. Es beleuchtet die ansonsten oft übersehene Arbeit von Pflegepersonal und vermittelt gleichzeitig eine Botschaft von Hoffnung und Licht, selbst in Zeiten der Dunkelheit und des Todes. Es ist ein eindrucksvolles Beispiel für Werfels Fähigkeit, komplexe Emotionen und tiefgreifende Themen in eindrücklicher Sprache zu vermitteln.

Weitere Informationen

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Die Schwestern von Bozen“ des Autors Franz Werfel. Der Autor Franz Werfel wurde 1890 in Prag / Österreich-Ungarn geboren. In der Zeit von 1906 bis 1945 ist das Gedicht entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zu den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Werfel ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.

Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Exilliteratur lässt sich insbesondere an den thematischen Schwerpunkten wie Sehnsucht nach der Heimat, Widerstand gegen Nazi-Deutschland oder Aufklärung über den Nationalsozialismus ausmachen. Spezielle formale Merkmale weist die Exilliteratur nicht auf. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Realismus und Expressionismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte gesellschaftliche Entwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 25 Versen mit insgesamt 4 Strophen und umfasst dabei 215 Worte. Franz Werfel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Leidenschaftlichen“, „Alte Dienstboten“ und „Amore“. Zum Autor des Gedichtes „Die Schwestern von Bozen“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 22 Gedichte vor.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Franz Werfel

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Franz Werfel und seinem Gedicht „Die Schwestern von Bozen“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Franz Werfel (Infos zum Autor)

Zum Autor Franz Werfel sind auf abi-pur.de 22 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.