Alte Dienstboten von Franz Werfel

In dem sanften Wallen der alten Frühlinge
Stehn die alten Dienerinnen von Haus zu Haus.
Der ausgebrannte Himmel schwebt dem Mond entgegen,
Der Sonntag füllt mit seinem zarten Tod die Straße aus.
Sein letzter Odem trägt den Schall von Ruderschlägen,
Von Ufer, Hügelton und Klang von Weggesprächen her.
Die altem Mägde haben gütige Hüte auf,
Mild von Vergangenheit und kaum entlächelnd mehr.
Nur manche Masche oder kühne Rose schlägt zum Flug die Flügel auf.
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Gestrickten Handschuh tun sie ab mit treuem Gruß und altem Nicken,
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Eh' sie sich in das Dunkel ihrer Tore schicken.
 
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Ach diese alten Frauen tragen ewig auf den alten Händen
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Das erdenlose schluchzende Traumlicht vom frühen Tag.
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Wohin sie ihr Gehen auch wenden,
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Klirrt ein Geschirr, ist Küche um sie, Stiege, alter Uhrenschlag.
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Im Hof ist Lärm, im Herd die ewige Kohle.
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Sie hören auf dem Gang das Sclürfen ihrer Sohle,
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Sie haben keinen Sohn und kein Geschick,
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Kein Bett zum Sterben breit. Nur einen kleinen Klatsch im Flur.
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Schon keift die Herrin auf, die aus der Türe fuhr ...
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Unwandelbar in Ehrfurcht, so mit scheu gebeugtem Rücken
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Sind die bereit sich neu zu ewigem Dienst zu bücken.
 
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Doch ich Verworfener der Lust und Eitler in der Zeit,
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Ich weiß, daß diese alten geisterhaften Leben
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Sich ohne Ende über meins erheben,
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Das voll von Hoffart Worte machen mag.
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Nur uns zu prüfen, gab und Gott den Tag,
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Allein des Tages Sinn heißt Heiligkeit.
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O heilger Dienst, o Dienst, der niemals schließt,
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O Einfalt, die nichts weiß und nichts genießt,
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O Licht am Abend überm Tisch gebückt!
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Gepriesenes Leben, Dienst! Mit abgeschundenen Händen,
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Sich irdisch tilgend, himmlisch zu vollenden!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Alte Dienstboten“

Autor
Franz Werfel
Anzahl Strophen
3
Anzahl Verse
33
Anzahl Wörter
271
Entstehungsjahr
1890 - 1945
Epoche
Expressionismus,
Exilliteratur

Gedicht-Analyse

Das Gedicht ist von Franz Werfel, einem der bedeutendsten expressionistischen Dichter, der von 1890 bis 1945 lebte. Es liegt somit die Schlussfolgerung nahe, dass es in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts entstanden ist.

Beim ersten Lesen fällt ins Auge, dass das Gedicht sorgfältig strukturiert ist – mit drei Strophen, die jeweils aus elf Versen bestehen. Außerdem ist es auffällig, dass alternde Dienstboten oder Hausmädchen im Mittelpunkt stehen, eine Bevölkerungsgruppe, die oft übersehen oder vernachlässigt wird.

In einfachen Worten geht es in dem Gedicht um den Alltag und das Leben älterer Dienstboten. Das lyrische Ich berichtet von ihrer Arbeit, ihren Sorgen und ihrer Einsamkeit (kein Sohn, kein Geschick, kein Bett zum Sterben breit). Dennoch findet das lyrische Ich etwas Bewundernswertes und Heiliges in ihrem niemals endenden Dienst und betrachtet es sogar als spirituell, irdisch zu tilgend, und gleichzeitig himmlisch zu vollenden.

Was die Form betrifft, so folgt das Gedicht nicht einer klassischen Reimstruktur. Dies wirkt sich auf den Fluss und Rhythmus des Textes aus und trägt zu seiner Intensität bei. Die Sprache ist zugleich poetisch und greifbar, dabei sind die Wortwahl und Metaphorik effektiv. Die wiederholte Metapher von „alten Händen“, die ewig auf der Arbeit sind, und die bildliche Darstellung des ständigen Klatschs im Flur, zeichnet ein eindringliches Bild vom Alltagsleben dieser Frauen.

Insgesamt verwendet Werfel eine Mischung aus Alltagsszenen und tiefer Reflexion, um das Leben dieser Dienstboten zu beschreiben. Dabei wird, trotz der Alltäglichkeit und oft unscheinbaren Tätigkeiten, eine tiefe Ehrfurcht und Wertschätzung gegenüber dieser Art von Arbeit zum Ausdruck gebracht. Es ist eine Hommage an die Menschen, die in stiller Demut und ständigem Dienst ihr Leben verbringen. Durch die Betonung der Heiligkeit und des geistlichen Endzwecks ihrer Tätigkeit wird zudem eine eher ungewöhnliche und bemerkenswerte Perspektive auf diese sonst oft unsichtbare Bevölkerungsgruppe vermittelt.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Alte Dienstboten“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Franz Werfel. Geboren wurde Werfel im Jahr 1890 in Prag / Österreich-Ungarn. Zwischen den Jahren 1906 und 1945 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur zuordnen. Bei Werfel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.

Zur Zeit des Nationalsozialismus mussten viele Schriftsteller ins Ausland fliehen. Dort entstand die sogenannte Exilliteratur. Ausgangspunkt der Exilbewegung ist der Tag der Bücherverbrennung im Jahr 1933 im nationalsozialistischen Deutschland. Alle nicht-arischen Werke wurden verboten und symbolträchtig verbrannt. Daraufhin flohen zahlreiche Schriftsteller aus Deutschland ins Ausland. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen das nationalsozialistische Deutschland sind typisch für diese Epoche der Literatur. Anders als andere Epochen der Literatur, die zum Beispiel bei der formalen Gestaltung (also in Sachen Metrum, Reimschema oder dem Gebrauch bestimmter rhetorischer Mittel) ganz charakteristische Merkmale aufweisen, ist die Exilliteratur nicht durch bestimmte formale Merkmale gekennzeichnet. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).

Das Gedicht besteht aus 33 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 271 Worte. Weitere Werke des Dichters Franz Werfel sind „Sein und Treiben“, „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“ und „Geheimnis“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Alte Dienstboten“ weitere 22 Gedichte vor.

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