Lächeln, Atmen, Schreiten von Franz Werfel
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Schöpfe du, trage du, halte |
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tausend Gewässer des Lächelns in deiner Hand! |
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Lächeln, selige Feuchte ist ausgespannt |
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all übers Antlitz. |
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Lächeln ist keine Falte, |
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Lächeln ist Wesen vom Licht. |
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Durch die Räume bricht Licht, doch ist es noch nicht. |
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Nicht die Sonne ist Licht, |
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erst im Menschengesicht |
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wird das Licht als Lächeln geboren. |
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Aus den tönenden, leicht, unsterblichen Toren, |
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aus den Toren der Augen wallte |
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Frühling zum erstenmal, Himmelsgischt, |
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Lächelns niederglühender Brand. |
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Im Regenbrand des Lächelns spüle die alte Hand, |
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schöpfe du, trage du, halte! |
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Lausche du, horche du, höre! |
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In der Nacht ist der Einklang des Atems los, |
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der Atem, die Eintracht des Busens groß, |
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Atem schwebt |
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über Feindschaft finsterer Chöre. |
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Atem ist Wesen vom höchsten Hauch. |
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Nicht der Wind, der sich taucht |
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in Weid', Wald und Strauch, |
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nicht das Wehn, vor dem die Blätter sich drehn ... |
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Gottes Hauch wird im Atem der Menschen geboren. |
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Aus den Lippen, den schweren, |
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verhangen, dunkel, unsterblichen Toren, |
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fährt Gottes Hauch, die Welt zu bekehren. |
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Auf dem Windmeer des Atems hebt an, |
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die Segel zu brüsten im Rausche, |
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der unendlichen Worte nächtlich beladener Kahn. |
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Horche du, höre du, lausche! |
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Sinke hin, knie hin, weine! |
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Sieh der Geliebten erdenlos schwindenden Schritt! |
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Schwinge dich hin, schwinde ins Schreiten mit! |
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Schreiten entführt |
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alles ins Reine, alles ins Allgemeine. |
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Schreiten ist mehr als Lauf und Gang, |
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der sternenden Sphäre Hinauf und Entlang, |
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mehr als des Raumes tanzender Überschwang. |
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Im Schreiten der Menschen wird die Bahn der Freiheit geboren. |
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Mit dem Schreiten der Menschen tritt |
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Gottes Anmut und Wandel aus allen Herzen und Toren. |
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Lächeln, Atem und Schritt |
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sind mehr als des Lichtes, des Windes, der Sterne Bahn, |
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die Welt fängt im Menschen an. |
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Im Lächeln, im Atem, im Schritt der Geliebten ertrinke! |
49 |
Weine hin, knie hin, sinke! |
Details zum Gedicht „Lächeln, Atmen, Schreiten“
Franz Werfel
3
49
290
1890 - 1945
Expressionismus,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Lächeln, Atmen, Schreiten“ des Autors Franz Werfel. Geboren wurde Werfel im Jahr 1890 in Prag / Österreich-Ungarn. Zwischen den Jahren 1906 und 1945 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur zuordnen. Bei dem Schriftsteller Werfel handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epochen.
Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Autoren, die ins Exil fliehen, also ihr Heimatland verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur der Literaturgeschichte Deutschlands bildet eine eigene Literaturepoche und folgt auf die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik. Die Themen der deutschen Exilliteratur lassen sich zunächst in zwei Gruppen einteilen. Einige Autoren fühlten sich in ihrer neuen Heimat nicht zu Hause, hatten Heimweh und wollten einfach in ihr altes Leben vor dem Nationalsozialismus zurückkehren. Oftmals konnten sie im Ausland nicht mehr ihrer Arbeit als Schriftsteller nachgehen, da sie nur in Deutsch schreiben konnten, was im Ausland aber niemand verstand. Heimweh und ihre Liebe zum Mutterland sind die thematischen Schwerpunkte in ihren Werken. Andere Schriftsteller wollten sich gegen Nazideutschland wehren. Man wollte einerseits die Welt über die Grausamkeiten in Deutschland aufklären. Andererseits aber auch den Widerstand unterstützen. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Die Exilliteratur weist häufig einen Pluralismus der Stile (Expressionismus, Realismus), eine kritische Betrachtung der Wirklichkeit und eine Distanz zwischen Werk und Leser oder Publikum auf. Sie hat häufig die Absicht zur Aufklärung und möchte Gesellschaftsentwicklungen aufzeigen (wandelnder Mensch, Abhängigkeit von der Gesellschaft).
Das Gedicht besteht aus 49 Versen mit insgesamt 3 Strophen und umfasst dabei 290 Worte. Die Gedichte „Was ein Jeder sogleich nachsprechen soll“, „Geheimnis“ und „Gesang einer Frau“ sind weitere Werke des Autors Franz Werfel. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Lächeln, Atmen, Schreiten“ weitere 22 Gedichte vor.
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Zum Autor Franz Werfel sind auf abi-pur.de 22 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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