Madonna Lucia 2. Teil von Felix Dörmann

Madonna Lucia
2. Teil
 
1.
 
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne,
Hirnzehrendes Autodafé,
Nur Du kannst löschen und dämpfen
In rasenden Wollustkrämpfen
Der Seele schneidendes Weh.
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne.
 
10 
Mein Hoffen, mein Träumen, mein Sehnen,
11 
Es liegt im Staube zerschellt.
12 
Wer Lust hat, umkreise die Trümmer
13 
Mit tränendem Aug', mit Gewimmer,
14 
Bis selber zusammen er fällt.
15 
Ich aber, ich lenke die Schritte
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Zu Dir, Lucia, zurück,
17 
Du wirst mich gierig umpressen,
18 
Und ich, ich werde vergessen
19 
Mich selber, die Welt und das Glück.
 
20 
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne,
21 
Hirnzehrendes Autodafé,
22 
Nur Du kannst löschen und dämpfen
23 
In rasenden Wollustkrämpfen
24 
Der Seele schneidendes Weh.
25 
Ich grüße Dich, Taumel der Sinne.
 
26 
2.
 
27 
Der Traum der keuschen Liebe,
28 
Längst ist er ausgeträumt,
29 
Es tanzen und toben die Nerven,
30 
Das Blut zum Hirne schäumt;
31 
Es bricht sich in wilden Kaskaden
32 
Am Herzen, verdorrt und versteint,
33 
Das seine verbissenen Qualen
34 
Verschüttet und ausgeweint.
35 
Ich will meine Zähne vergraben
36 
In Deinem knirschenden Haar,
37 
Im Blutrausch will ich vergessen,
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Daß ich ein Anderer war.
39 
Ich weiß, Du kannst genießen,
40 
Unfaßbar, riesenhaft stark,
41 
Wohlan, so genieß' mich, Lucia
42 
Es schreit nach Fäulnis mein Mark.
 
43 
3.
 
44 
Im Herzen wühlt und lodert
45 
Die wüsteste, tollste Begier
46 
Und reißt und stößt und peitscht mich,
47 
Madonna Lucia, zu Dir.
48 
Die Glieder schauern und beben,
49 
Das Auge Flammen sprüht,
50 
Wie kochende Lavaströme
51 
Das Blut meine Adern durchglüht.
52 
Ich flehe Dich an, o gebrauche
53 
Die göttlich dämonische Macht,
54 
Die meine zerfaserten Nerven
55 
Zum rasendsten Taumel entfacht.
56 
Und wenn an Deinem Busen
57 
Zum Wahnwitz schwillt die Lust,
58 
Dann, üppigste, geilste der Schlangen,
59 
Erwürg' mich an Deiner Brust.
 
60 
4.
 
61 
Und wieder umpreßt und umschnürt mich
62 
Das grauenhaft herrliche Weib,
63 
Es brennt und zuckt und zittert
64 
Morphiumgesättigt ihr Leib.
 
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Jedwede Muskelfaser
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Sich zum Zerreißen dehnt,
67 
Die schrankenlosesten Freuden
68 
Das trunkene Hirn ersehnt.
 
69 
Es hebt in wilden Stößen
70 
Schweratmend sich die Brust,
71 
Durch jede Fiber rieselt
72 
Bewußtseinertötende Lust.
 
73 
Dein Feuerauge funkelt
74 
In brünstiger Liebesgier,
75 
Jetzt ist die Zeit gekommen,
76 
Geliebte, - jetzt sündigen wir.
 
77 
5.
 
78 
Die bläuliche Haarflut umschattet
79 
Dein müdes, entfärbtes Gesicht,
80 
Aus dem mit unendlichem Zauber
81 
Schwermütige Grausamkeit spricht.
 
82 
Wenn auch der gemarterte Körper
83 
Sich gegen die Liebe schon bäumt,
84 
Von qualengeborenen Wonnen
85 
Die trotzige Seele noch träumt.
 
86 
Ihr wühlendes Flammenbegehren
87 
Höhnt jeglicher irdischen Glut;
88 
Du wirst noch die brennende kühlen
89 
In des Geliebten Blut.
 
90 
6.
 
91 
Du hast mit krampfigen Griffen
92 
Die dampfenden Glieder enthüllt,
93 
Du hast bei meiner Umarmung,
94 
Eine brünstige Wölfin, gebrüllt.
 
95 
Dein fieberglühendes Auge,
96 
Von rötlichen Linien durchsprengt,
97 
Im Überreize tränend,
98 
Blutgierig an meines sich hängt.
 
99 
Festklammern sich knirschend die Zähne,
100 
Jetzt sprengt ihren Wall ein Gekreisch
101 
Ein Aufschrei, - und sie graben
102 
Und wühlen mir im Fleisch.
 
103 
7.
 
104 
Ich hab' in Deiner Seele
105 
Das schlafende Feuer entdeckt,
106 
Und seine verheerenden Gluten
107 
Mit tollem Jauchzen geweckt.
 
108 
Die Flammen lodern und steigen,
109 
Mein Leib versiecht und verfällt,
110 
In Schande, Blut und Vernichtung
111 
Dein schmetterndes Lachen gellt.
 
112 
Die blutige, blasse Madonna,
113 
Mit Augen bräunlich umringt,
114 
Die stachlichte Knute der Liebe
115 
Ins Herz mir, ins zuckende schwingt.
 
116 
Die dunkelroten Tropfen,
117 
Sie perlen langsam zu Tal,
118 
Und Leib und Seel' durchschüttert
119 
Die tödlichste Wonne der Qual.
 
120 
8.
 
121 
Du bist meine Herrin geworden,
122 
Bacchantisch berauschendes Weib,
123 
Trink' aus, trink' aus meine Seele,
124 
Zerstör' den vergifteten Leib.
 
125 
Ich kann nicht mehr heißer empfinden,
126 
Ich reiche zu Dir nicht hinan,
127 
Du bist der Dämon der Liebe
128 
Und ich - ein sterblicher Mann.
 
129 
9.
 
130 
Leb' wohl, Madonna Lucia.
131 
Dem Untergang bin ich geweiht,
132 
Ich habe geliebt und genossen,
133 
Verflossen
134 
Ist meines Lebens Zeit.
135 
Leb' wohl, Madonna Lucia.
 
136 
Der todeswunde Adler
137 
Nach öden Felsen kreist,
138 
Er kann kein Mitleid brauchen,
139 
Verhauchen
140 
Will einsam er den Geist.
141 
Leb' wohl, Madonna Lucia.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (35.6 KB)

Details zum Gedicht „Madonna Lucia 2. Teil“

Anzahl Strophen
33
Anzahl Verse
141
Anzahl Wörter
592
Entstehungsjahr
1870 - 1928
Epoche
Realismus,
Naturalismus,
Moderne

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Madonna Lucia 2. Teil“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Felix Dörmann. Im Jahr 1870 wurde Dörmann in Wien geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1886 und 1928. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Realismus, Naturalismus, Moderne, Expressionismus, Avantgarde / Dadaismus oder Literatur der Weimarer Republik / Neue Sachlichkeit zugeordnet werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Basis geschehen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben bei Verwendung. Das vorliegende Gedicht umfasst 592 Wörter. Es baut sich aus 33 Strophen auf und besteht aus 141 Versen. Weitere Werke des Dichters Felix Dörmann sind „Kitty“, „Anna“ und „Hermance“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Madonna Lucia 2. Teil“ weitere 89 Gedichte vor.

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