An die Vorhergehende von Johann Christian Günther

Versteht ihr auch, ihr sanften Hände,
Warum euch mein Verlangen drückt?
Die Freyheit, merck ich, geht zum Ende
Und wird mir mit Gewalt entrückt;
Ich such und denck euch zu bewegen,
Mir stärckre Feßel anzulegen.
 
Ach, fragt nur eurer Schönen Herze,
Von dem ihr Blut und Feuer kriegt;
Es weis vielleicht von diesem Schmerze,
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Den mir ihr Auge zugefügt,
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Ihr Auge, deßen Glut und Lachen
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Mir größre Pein als Hofnung machen.
 
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Und hätt ich auch noch sonst zu hofen,
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So wehrt es mir die kurze Zeit,
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Es steht kein Weg zum Umgang ofen;
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Komm, seelige Gelegenheit,
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Und schaffe, daß ich zeigen könne,
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Wie zart und rein mein Herze brenne.
 
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Ich weis, die artige Rosette
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Erklärte sich vor meine Treu,
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Wofern sie erst geprüfet hätte,
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Wie gleich ihr mein Gemüthe sey,
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Und wenn sie aus Erfahrung wüste,
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Was manch Verliebter dulden müste.
 
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Ich bin mit mancher umgegangen,
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Die noch wohl liebenswürdig wär,
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Bis jezo blieb ich ungefangen;
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Du, schönes Kind, kommst ohngefehr
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Und rührst mich gleich zum ersten Mahle
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Auch nur mit einem holden Strahle.
 
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Die kurze Lust der Abendstunde
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Vermehrte diese Leidenschaft,
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Da nahm ein Kuß von schönem Munde
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Das Herze völlig in Verhaft;
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Es hies zwar nur im Scherz und Spielen,
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Allein ich kan es anders fühlen.
 
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Dein Bildnüß kam darauf im Schlummer
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Dem träumenden Gedächtnüß ein,
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Mich deucht, ich klagte dir den Kummer,
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Du schienest nicht erzürnt zu seyn;
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Da gab mir der verhaste Morgen
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Vor falsche Wollust wahre Sorgen.
 
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Dies alles ist wohl nicht vergebens,
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Der Himmel paart oft wunderlich;
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Zum Troste des betrübten Lebens
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Begehrt ich sonst kein Kind als dich;
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Die Liebe könte Mittel zeigen
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Und heute - doch ich muß nur schweigen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.4 KB)

Details zum Gedicht „An die Vorhergehende“

Anzahl Strophen
8
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
278
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An die Vorhergehende“ des Autors Johann Christian Günther. Günther wurde im Jahr 1695 in Striegau geboren. In der Zeit von 1711 bis 1723 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die europäische Stilepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „unregelmäßige, schiefrunde Perle“. Der Barock ist durch ein zentrales Ereignis geprägt, dem Dreißigjährigen Krieg von 1618 bis 1648. Durch die ungenügenden sanitären Bedingungen konnten sich Seuchen rasend ausbreiten. Rund ein Drittel der Bevölkerung kamen durch den Krieg und grassierenden Seuchen, wie etwa der Pest, ums Leben. Durch die massive Verminderung der Bevölkerung erlahmte das wirtschaftliche Leben zunehmend. Die Epoche des Barocks zeichnet sich primär durch die Antithetik, also einem von Gegensätzen und Widersprüchen geprägtem Bewusstsein, aus. Durch die Antithetik kommt es in der Literatur des Barocks vermehrt zur Verwendung von Gegensatzpaaren, wie zum Beispiel: Diesseits und Jenseits, Tugend und Wollust oder Weltverneinung und Weltzugewandtheit. Im Barock löste die deutsche Sprache das Lateinische ab. Da in der Zeit des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine große Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform jener Zeit das Gedicht. In den Gedichten wurden häufig Symbole, Metaphern und Hyperbolik (Übertreibung) eingesetzt.

Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 8 Strophen und umfasst dabei 278 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Christian Günther sind „Was man von galanten Kindern“, „Ich will lachen, ich will scherzen“ und „Gedacht und auch geschehn. Ihr Pierinnen lacht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die Vorhergehende“ weitere 264 Gedichte vor.

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