Die Ozeaniden von Robert Eduard Prutz

Wir Meereswogen sonder Rast und Ruh,
Wir brausen fort und brausen immerzu:
Das klingt und singt und dringt aus allen Gründen,
Ton muß zu Ton sich und Akkorden finden,
An ödem Strand, in nie befahrnem Meer,
Ein einzig Lied allüberall umher.
 
Wir singen laut vom ersten Schöpfungstag,
Da noch in uns der Keim der Erde lag,
Von Ewigkeit und ungemeßner Ferne,
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Von Sonnenaufgang, Silberglanz der Sterne,
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Von manchem Helden, der am Felsenstrand
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Im Meeresgrund sein einsam Bette fand.
 
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Und was wir singen in gewalt'gem Chor
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Belauschte nimmer noch ein menschlich Ohr!
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Zwar mancher Schiffer kommt herangeschwommen,
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Doch keiner hat's begriffen und vernommen;
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Der Fischerbube hört's mit stillem Graun,
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Ihn locken, denkt er, falsche Meeresfraun.
 
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Doch kommt uns Antwort hoch vom Himmel her:
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Die ew'gen Sterne sprechen mit dem Meer;
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Melodisch tönt in unser wildes Sausen
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Der Klang der Sphären und der Donner Brausen;
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Von fernen Inseln aus der Wälder Ruh'
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Weht uns das Rauschen heil'ger Wipfel zu.
 
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Da wird's lebendig auf der weiten See,
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Da jauchzen wir und hüpfen in die Höh';
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Delphine kommen langsam angezogen
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Und horchen still dem Zaubersang der Wogen;
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Die alte Windsbraut redet auch darein,
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Will auch im Chor der ew'gen Sänger sein.
 
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? Die kleine Welt der Menschen treibt ihr Spiel,
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Rennt auf und ab und macht des Lärmens viel:
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Da kommt die Nacht und hemmt das muntre Streben,
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Da kommt der Tod und löscht das junge Leben:
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Wir aber brausen fort und immerzu,
36 
Wir Meereswogen sonder Rast und Ruh'.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.7 KB)

Details zum Gedicht „Die Ozeaniden“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
244
Entstehungsjahr
1816 - 1872
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Die Ozeaniden“ wurde von Robert Eduard Prutz verfasst, einem deutschen Schriftsteller und Dichter des 19. Jahrhunderts. Prutz lebte von 1816 bis 1872, seine Werke werden der Epoche des Vormärz oder der Biedermeierzeit zugeordnet.

Beim ersten Lesen erweckt das Gedicht einen Eindruck von erhabener, unerbittlicher Kraft und Schönheit, insbesondere bei den Beschreibungen des Meeres. Das Gedicht ist von Animismus durchzogen, einer Auffassung, bei der natürliche Phänomene und Objekte wie etwa die Meereswellen oder Sterne mit Bewusstsein und Seelenleben verstanden werden.

Inhaltlich verkörpert das lyrische Ich in Prutz’ Gedicht die Wellen des Meeres. Sie geben in den sechs Strophen mit je sechs Versen den unaufhörlichen Rhythmus des Ozeans wieder und erinnern ständig an die ewige, nicht aufzuhaltende Bewegung der Wellen. Die Wellen erzählen von ihrer 'unermesslichen Ferne', dem Sonnenaufgang und dem 'Silberglanz der Sterne', aber auch von Helden, die im Meer ihr Ende fanden. Obwohl Menschen diesem Gesang lauschen, sind sie meist nicht in der Lage, ihn zu verstehen. Ihnen bleibt der Sinn verborgen, aber die Natur, in Person der Delphine, der 'Windsbraut' oder der 'heiligen Wipfel', hört und versteht den ewigen Gesang des Meeres. Am Ende betont das lyrische Ich nochmals, dass es unbeeindruckt vom menschlichen Tun, von Leben und Tod, immer weiter 'brausen' wird.

Prutz verwendet eine recht formale, eigenwillige Sprache mit antiken Bezügen wie „Ozeaniden“ und „Delphine“. Die antiken Bezüge verstärken die Vorgestelltheit und Ewigkeit des Gesangs des Meeres. Ferner bedient er sich eines ausgereiften Reimschemas (aabbcc), was die kontinuierliche, unaufhaltsame Bewegung der Wellen unterstreicht.

Zusammengefasst ist Robert Eduard Prutz' „Die Ozeaniden“ eine Verherrlichung der Natur und eine Betonung ihrer Unberechenbarkeit und Wildheit, insbesondere des ewig währenden Zyklus der Meereswellen. Der Mensch wird dagegen als vergänglich dargestellt und sein Treiben als bedeutungslos gegenüber der Ewigkeit der Natur. Sprachlich ist das Gedicht formal und reich an antiken Anleihen, wodurch die Erhabenheit unterstrichen wird.

Weitere Informationen

Robert Eduard Prutz ist der Autor des Gedichtes „Die Ozeaniden“. Geboren wurde Prutz im Jahr 1816 in Stettin. Im Zeitraum zwischen 1832 und 1872 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das 244 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 36 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Weitere Werke des Dichters Robert Eduard Prutz sind „Fahre wohl!“, „Ich wills dir nimmer sagen“ und „Das Mädchen spricht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Die Ozeaniden“ weitere 10 Gedichte vor.

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