Wie nichts erkennend von Franz Werfel
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Ich reichte einem Kranken meine Hand |
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Und gab ihm Wunsch und Mitgefühl bekannt. |
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Doch während treulich meine Worte waren, |
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Sprach wohl ein Herz, das nur sich selbst empfand. |
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Mittäglich sah ich einen Droschkenstand, |
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Wo sich beweglich alte Gäule sonnten. |
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Da hat ein klarer Kopf sich umgewandt |
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Und tief durchfühlt traf mich ein schweres Auge. |
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Bin aber dumpf des eigenen Wegs gerannt |
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Und nicht durchfloß mich dieses Bruderleben. |
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Am Abend hab' ich heißes Wort genannt. |
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Verzweiflung, Liebe, Sehnsucht nannt ich mein. |
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Hah, Mein und Mein! Und immer diese Wand! |
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Warum bin ich nicht durch die Welt gespannt, |
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Allfühlend gleicherzeit in Tier und Bäumen, |
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In Knecht und Ofen, Mensch und Gegenstand?! |
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So ist's mein Teil, sternhaft dahinzurollen, |
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Gebunden zwar, doch niemandem verwandt, |
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Wie nichts erkennend, so auch unerkannt. |
Details zum Gedicht „Wie nichts erkennend“
Franz Werfel
2
19
126
1890 - 1945
Expressionismus,
Exilliteratur
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht trägt den Titel „Wie nichts erkennend“ und wurde von Franz Werfel verfasst, einem deutschsprachigen Schriftsteller, der in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts lebte. Das Gedicht fällt in die Epoche der Moderne.
Beim ersten Lesen hinterlässt das Gedicht den Eindruck von Melancholie und Reflexion, einer gewissen Selbstentfremdung und Sehnsucht nach Verbundenheit. Das lyrische Ich erzählt von drei verschiedenen Begebenheiten, in denen es sich jeweils selbst entfremdet und isoliert fühlt – beim Treffen mit einem Kranken, beim Anblick alter Pferde und am Abend, wenn es von Verzweiflung, Liebe und Sehnsucht spricht.
Inhaltlich beschäftigt sich das lyrische Ich mit dem Konzept des Selbst im Verhältnis zu anderen Lebewesen und Gegenständen. Es reflektiert seine Begegnungen und Erfahrungen, haben das Gefühl missverstanden und im Innersten nicht erkannt zu sein. Es äußert den Wunsch, in allem und jedem präsent zu sein, allfühlen zu sein, doch zugleich gesteht es sich seine Distanz und Entfremdung ein, wenn es von einer „Wand“ spricht und davon, „sternhaft dahinzurollen, gebunden zwar, doch niemandem verwandt.“
Die Form des Gedichts wird durch zwei Strophen mit jeweils 10 und 9 Versen bestimmt, die keinen regelmäßigen Reim aufweisen. Die im Gedicht verwendete Sprache ist relativ einfach und klar, was den Ausdruck von Emotionen und die Reflexion über existenzielle Fragen eröffnet. Durch den Verzicht auf aufwendige Metaphern und Bilder wird die Botschaft des lyrischen Ichs eindringlich und authentisch vermittelt.
Das lyrische Ich entwirft ein Bild der Entfremdung und Selbstentfremdung, das auf einer tiefen Sehnsucht nach Verbundenheit und Anerkennung beruht. In der Auseinandersetzung mit dieser existenziellen Einsamkeit zeigt das Gedicht die Suche nach Sinn und Identität in einer unsicheren und unberechenbaren Welt. Es vermittelt ein Bild der menschlichen Existenz als isolierte und unfertige Reise durch das Leben, die von der Sehnsucht nach Verbundenheit und Anerkennung geprägt ist.
Dem Autor gelingt es, durch seine einfache, aber tiefgehende Sprache und die Verwendung von alltäglichen Begegnungen und Erfahrungen ein universelles Bild der menschlichen Existenz und des Ringens um Sinn und Identität zu schaffen.
Weitere Informationen
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Wie nichts erkennend“ des Autors Franz Werfel. Der Autor Franz Werfel wurde 1890 in Prag / Österreich-Ungarn geboren. Im Zeitraum zwischen 1906 und 1945 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zu den Epochen Expressionismus oder Exilliteratur zu. Werfel ist ein typischer Vertreter der genannten Epochen.
Im Laufe der Geschichte gab es immer wieder Schriftsteller, die ins Exil gehen, also ihre Heimat verlassen mussten. Dies geschah insbesondere zu Zeiten des Nationalsozialismus. Die Exilliteratur geht aus diesem Umstand hervor. Der Ausgangspunkt der Exilbewegung Deutschlands war der Tag der Bücherverbrennung am 30. Mai 1933. Die Exilliteratur bildet eine eigene Epoche in der deutschen Literaturgeschichte. Sie schließt an die Neue Sachlichkeit der Weimarer Republik an. Themen wie Verlust der eigenen Kultur, existenzielle Probleme, Sehnsucht nach der Heimat oder Widerstand gegen den Nationalsozialismus sind typisch für diese Literaturepoche. Bestimmte formale Merkmale lassen sich jedoch nicht finden. Allerdings gab es einige neue Gattungen, die in dieser Literaturepoche geboren wurden. Das epische Theater von Bertolt Brecht oder auch die historischen Romane waren neue literarische Textsorten. Aber auch Radioreden oder Flugblätter der Widerstandsbewegung sind hierbei als neue Textsorten zu erwähnen. Oftmals wurden die Texte auch getarnt, so dass sie trotz Zensur nach Deutschland gebracht werden konnten. Dies waren dann die sogenannten Tarnschriften.
Das vorliegende Gedicht umfasst 126 Wörter. Es baut sich aus 2 Strophen auf und besteht aus 19 Versen. Der Dichter Franz Werfel ist auch der Autor für Gedichte wie „Die Leidenschaftlichen“, „Alte Dienstboten“ und „Amore“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Wie nichts erkennend“ weitere 22 Gedichte vor.
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Zum Autor Franz Werfel sind auf abi-pur.de 22 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.
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