Affrontenburg von Heinrich Heine
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Die Zeit verfließt, jedoch des Schloß, |
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Das alte Schloß mit Turm und Zinne |
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Und seinem blöden Menschenvolk, |
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Es kommt mir nimmer aus dem Sinne. |
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Ich sehe stets die Wetterfahn', |
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Die auf dem Dach sich rasselnd drehte. |
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Ein jeder blickte scheu hinauf, |
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Bevor er nur den Mund auftäte. |
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Wer sprechen wollt, erforschte erst |
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Den Wind, aus Furcht, es möchte plötzlich |
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Der alte Brummbär Boreas |
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Anschnauben ihn nicht sehr ergötzlich. |
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Die Klügsten freilich schwiegen ganz |
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Denn ach, es gab an jenem Orte |
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Ein Echo, das im Widerklatsch |
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Boshaft verfälschte alle Worte. |
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Inmitten im Schloßgarten stand |
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Ein sphinxgezierter Marmorbronnen, |
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Der immer trocken war, obgleich |
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Gar manche Träne dort geronnen. |
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Vermaledeiter Garten! Ach, |
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Da gab es nirgends eine Stätte, |
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Wo nicht mein Herz gekränket ward, |
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Wo nicht mein Aug' geweinet hätte. |
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Da gab's wahrhaftig keinen Baum, |
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Worunter nicht Beleidigungen |
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Mir zugefüget worden sind |
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Von feinen und von groben Zungen. |
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Die Kröte, die im Gras gelauscht, |
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Hat alles mitgeteilt der Ratte, |
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Die ihrer Muhme Viper gleich |
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Erzählt, was sie vernommen hatte. |
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Die hat's gesagt dem Schwager Frosch |
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Und solcherweis' erfahren konnte |
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Die ganze schmutz'ge Sippschaft stracks |
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Die mir erwiesenen Affronte. |
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Des Gartens Rosen waren schön, |
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Und lieblich lockten ihre Düfte; |
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Doch früh hinwelkend starben sie |
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An einem sonderbaren Gifte. |
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Zu Tod ist auch erkrankt seitdem |
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Die Nachtigall, der edle Sprosser, |
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Der jenen Rosen sang sein Lied; |
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Ich glaub, vom selben Gift genoß er. |
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Vermaledeiter Garten! Ja, |
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Es war, als ob ein Fluch drauf laste; |
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Manchmal am hellen, lichten Tag |
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Mich dort Gespensterfurcht erfaßte. |
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Mich grinste an der grüne Spuk, |
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Er schien mich grausam zu verhöhnen, |
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Und aus den Taxusbüschen drang |
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Alsbald ein Ächzen, Röcheln, Stöhnen. |
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Am Ende der Allee erhob |
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Sich die Terrasse, wo die Wellen |
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Der Nordsee, zu der Zeit der Flut, |
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Tief unten am Gestein zerschellen. |
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Dort schaut man weit hinaus ins Meer. |
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Dort stand ich oft in wilden Träumen. |
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Brandung war auch in meiner Brust |
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Das war ein Tosen, Rasen, Schäumen |
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Ein Schäumen, Rasen, Tosen war's, |
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Ohnmächtig gleichfalls wie die Wogen, |
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Die kläglich brach der harte Fels, |
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Wie stolz sie auch herangezogen. |
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Mit Neid sah ich die Schiffe ziehn |
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Vorüber nach beglückten Landen |
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Doch mich hielt das verdammte Schloß |
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Gefesselt in verfluchten Banden. |
Details zum Gedicht „Affrontenburg“
Heinrich Heine
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1797 - 1856
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das Gedicht „Affrontenburg“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem bedeutenden deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Heines Lebensspanne (1797-1856) fällt in die Epoche der Romantik und des Vormärz, doch seine Werke sind nicht strikt diesen literarischen Phasen zuzuordnen und zeigen vielmehr eine ganz eigene, oft zeitkritische Handschrift.
Beim ersten Lesen des Gedichts fallen vor allem die starken Emotionen und die düstere Atmosphäre auf. Das lyrische Ich berichtet von seinen Erfahrungen in einem alten Schloss, das von Beleidigungen, Angst und Trauer geprägt ist. Es scheint wie in einem Alptraum gefangen zu sein, einer Welt aus Verdrehungen, Missverständnissen und Intrigen, die es als quälende Belastung empfindet.
Inhaltlich handelt das Gedicht im Wesentlichen davon, dass das lyrische Ich unter den Bedingungen des Schlosses leidet, in dem es sich aufhält. Die Menschen dort sind feige und sprechen nur, nachdem sie die Windrichtung geprüft haben, aus Angst vor dem „alten Brummbär Boreas“, dem Gott des Nordwinds. Das Echo verfälscht alle Worte, und es gibt keinen Ort im Garten, wo das lyrische Ich nicht gekränkt wurde. Es sind nicht nur die Menschen, die ihn quälen, auch die Natur bezeugt das Leid: Rosen welken, die Nachtigall stirbt, und selbst die Tiere verbreiten seine Schande weiter. Umgeben von Gespenstern, die ihn zu verhöhnen scheinen, fühlt sich das lyrische Ich gefangen und ersehnt die Freiheit der vorbeiziehenden Schiffe.
In Bezug auf Form und Sprache zeigt das Gedicht eine stringente Struktur von 17 jeweils vierzeiligen Strophen. Dabei weist es einen regelmäßigen Kreuzreim auf. Heines Sprache ist bildreich und versetzt den Leser spürbar in die bedrückende Atmosphäre des Schlosses. Viele der verwendeten Bilder, wie jene des verfluchten Schlosses, des toxischen Gartens und der verzerrten Worte, symbolisieren die destruktive Wirkung der Umgebung und die innere Zerrissenheit des lyrischen Ichs.
Summa summarum zeigt sich „Affrontenburg“ als beeindruckende poetische Ausdrucksform Heines, die nicht nur seine meisterhaften Fähigkeiten in der sprachlichen Gestaltung widerspiegelt, sondern auch seine Fähigkeit, tiefe menschliche Empfindungen, Zweifel und Ängste zu vermitteln.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Affrontenburg“ ist Heinrich Heine. Im Jahr 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Zwischen den Jahren 1813 und 1856 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 361 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 68 Versen mit insgesamt 17 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ahnung“, „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“ und „Almansor“. Zum Autor des Gedichtes „Affrontenburg“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.
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