Affrontenburg von Heinrich Heine

Die Zeit verfließt, jedoch des Schloß,
Das alte Schloß mit Turm und Zinne
Und seinem blöden Menschenvolk,
Es kommt mir nimmer aus dem Sinne.
 
Ich sehe stets die Wetterfahn',
Die auf dem Dach sich rasselnd drehte.
Ein jeder blickte scheu hinauf,
Bevor er nur den Mund auftäte.
 
Wer sprechen wollt, erforschte erst
10 
Den Wind, aus Furcht, es möchte plötzlich
11 
Der alte Brummbär Boreas
12 
Anschnauben ihn nicht sehr ergötzlich.
 
13 
Die Klügsten freilich schwiegen ganz
14 
Denn ach, es gab an jenem Orte
15 
Ein Echo, das im Widerklatsch
16 
Boshaft verfälschte alle Worte.
 
17 
Inmitten im Schloßgarten stand
18 
Ein sphinxgezierter Marmorbronnen,
19 
Der immer trocken war, obgleich
20 
Gar manche Träne dort geronnen.
 
21 
Vermaledeiter Garten! Ach,
22 
Da gab es nirgends eine Stätte,
23 
Wo nicht mein Herz gekränket ward,
24 
Wo nicht mein Aug' geweinet hätte.
 
25 
Da gab's wahrhaftig keinen Baum,
26 
Worunter nicht Beleidigungen
27 
Mir zugefüget worden sind
28 
Von feinen und von groben Zungen.
 
29 
Die Kröte, die im Gras gelauscht,
30 
Hat alles mitgeteilt der Ratte,
31 
Die ihrer Muhme Viper gleich
32 
Erzählt, was sie vernommen hatte.
 
33 
Die hat's gesagt dem Schwager Frosch
34 
Und solcherweis' erfahren konnte
35 
Die ganze schmutz'ge Sippschaft stracks
36 
Die mir erwiesenen Affronte.
 
37 
Des Gartens Rosen waren schön,
38 
Und lieblich lockten ihre Düfte;
39 
Doch früh hinwelkend starben sie
40 
An einem sonderbaren Gifte.
 
41 
Zu Tod ist auch erkrankt seitdem
42 
Die Nachtigall, der edle Sprosser,
43 
Der jenen Rosen sang sein Lied;
44 
Ich glaub, vom selben Gift genoß er.
 
45 
Vermaledeiter Garten! Ja,
46 
Es war, als ob ein Fluch drauf laste;
47 
Manchmal am hellen, lichten Tag
48 
Mich dort Gespensterfurcht erfaßte.
 
49 
Mich grinste an der grüne Spuk,
50 
Er schien mich grausam zu verhöhnen,
51 
Und aus den Taxusbüschen drang
52 
Alsbald ein Ächzen, Röcheln, Stöhnen.
 
53 
Am Ende der Allee erhob
54 
Sich die Terrasse, wo die Wellen
55 
Der Nordsee, zu der Zeit der Flut,
56 
Tief unten am Gestein zerschellen.
 
57 
Dort schaut man weit hinaus ins Meer.
58 
Dort stand ich oft in wilden Träumen.
59 
Brandung war auch in meiner Brust
60 
Das war ein Tosen, Rasen, Schäumen
 
61 
Ein Schäumen, Rasen, Tosen war's,
62 
Ohnmächtig gleichfalls wie die Wogen,
63 
Die kläglich brach der harte Fels,
64 
Wie stolz sie auch herangezogen.
 
65 
Mit Neid sah ich die Schiffe ziehn
66 
Vorüber nach beglückten Landen
67 
Doch mich hielt das verdammte Schloß
68 
Gefesselt in verfluchten Banden.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29.6 KB)

Details zum Gedicht „Affrontenburg“

Anzahl Strophen
17
Anzahl Verse
68
Anzahl Wörter
361
Entstehungsjahr
1797 - 1856
Epoche
Junges Deutschland & Vormärz

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Affrontenburg“ wurde von Heinrich Heine verfasst, einem bedeutenden deutschen Dichter des 19. Jahrhunderts. Heines Lebensspanne (1797-1856) fällt in die Epoche der Romantik und des Vormärz, doch seine Werke sind nicht strikt diesen literarischen Phasen zuzuordnen und zeigen vielmehr eine ganz eigene, oft zeitkritische Handschrift.

Beim ersten Lesen des Gedichts fallen vor allem die starken Emotionen und die düstere Atmosphäre auf. Das lyrische Ich berichtet von seinen Erfahrungen in einem alten Schloss, das von Beleidigungen, Angst und Trauer geprägt ist. Es scheint wie in einem Alptraum gefangen zu sein, einer Welt aus Verdrehungen, Missverständnissen und Intrigen, die es als quälende Belastung empfindet.

Inhaltlich handelt das Gedicht im Wesentlichen davon, dass das lyrische Ich unter den Bedingungen des Schlosses leidet, in dem es sich aufhält. Die Menschen dort sind feige und sprechen nur, nachdem sie die Windrichtung geprüft haben, aus Angst vor dem „alten Brummbär Boreas“, dem Gott des Nordwinds. Das Echo verfälscht alle Worte, und es gibt keinen Ort im Garten, wo das lyrische Ich nicht gekränkt wurde. Es sind nicht nur die Menschen, die ihn quälen, auch die Natur bezeugt das Leid: Rosen welken, die Nachtigall stirbt, und selbst die Tiere verbreiten seine Schande weiter. Umgeben von Gespenstern, die ihn zu verhöhnen scheinen, fühlt sich das lyrische Ich gefangen und ersehnt die Freiheit der vorbeiziehenden Schiffe.

In Bezug auf Form und Sprache zeigt das Gedicht eine stringente Struktur von 17 jeweils vierzeiligen Strophen. Dabei weist es einen regelmäßigen Kreuzreim auf. Heines Sprache ist bildreich und versetzt den Leser spürbar in die bedrückende Atmosphäre des Schlosses. Viele der verwendeten Bilder, wie jene des verfluchten Schlosses, des toxischen Gartens und der verzerrten Worte, symbolisieren die destruktive Wirkung der Umgebung und die innere Zerrissenheit des lyrischen Ichs.

Summa summarum zeigt sich „Affrontenburg“ als beeindruckende poetische Ausdrucksform Heines, die nicht nur seine meisterhaften Fähigkeiten in der sprachlichen Gestaltung widerspiegelt, sondern auch seine Fähigkeit, tiefe menschliche Empfindungen, Zweifel und Ängste zu vermitteln.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Affrontenburg“ ist Heinrich Heine. Im Jahr 1797 wurde Heine in Düsseldorf geboren. Zwischen den Jahren 1813 und 1856 ist das Gedicht entstanden. Die Entstehungszeit des Gedichtes bzw. die Lebensdaten des Autors lassen eine Zuordnung zur Epoche Junges Deutschland & Vormärz zu. Heine ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche. Das 361 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 68 Versen mit insgesamt 17 Strophen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Heinrich Heine sind „Ahnung“, „Allnächtlich im Traume seh’ ich dich“ und „Almansor“. Zum Autor des Gedichtes „Affrontenburg“ haben wir auf abi-pur.de weitere 535 Gedichte veröffentlicht.

+ Wie analysiere ich ein Gedicht?

Daten werden aufbereitet

Fertige Biographien und Interpretationen, Analysen oder Zusammenfassungen zu Werken des Autors Heinrich Heine

Wir haben in unserem Hausaufgaben- und Referate-Archiv weitere Informationen zu Heinrich Heine und seinem Gedicht „Affrontenburg“ zusammengestellt. Diese Dokumente könnten Dich interessieren.

Weitere Gedichte des Autors Heinrich Heine (Infos zum Autor)

Zum Autor Heinrich Heine sind auf abi-pur.de 535 Dokumente veröffentlicht. Alle Gedichte finden sich auf der Übersichtsseite des Autors.