Cephalus und Aurore von Christian Felix Weiße

Die Lüfte deckte noch der dunkle Flor der Nacht,
Die Welt erleuchtete nur der Diane Pracht,
Als schon von Orients entfernten heißen Flüßen
Aurore, durch der Liebe Macht,
Dem sanften Schlaf entrissen,
Nach ihrem liebsten Cephal gieng,
Den noch des Schlafes Arm umfieng.
Sie nahet sich: Furcht, Zweifel und Entzücken
Entdecken sich in ihren Blicken,
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Da sie den holden Jüngling sieht:
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Der Liebe Brand, von dem sie glüht,
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Erklärt sich schamhaft durch dieß Lied.
 
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Ihr Flüsse, rauschet ganz gelinde!
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Weht sanft und kühl, ihr Frühlingswinde!
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Ihr Vögel, dämpft die Melodien!
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Verliehrt kein Blatt, ihr stillen Bäume,
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Wieg ihn, o Schlaf, in sanfte Träume!
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Ihr Liebesgötter, wacht um ihn!
 
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Allein, was sag ich? nein: die blinde Zärtlichkeit
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Verführet mich zu weit.
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Leichtsinniger, ist dieß dein Sehnen,
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Daß dich der Schlaf besiegt?
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Und seufzet so dein Arm nach seiner Schönen,
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Daß er auf weichem Mooß hier sinkend kraftlos liegt?
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So soll ich ungeküßt hier einsam bey dir stehen,
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Und dich dem Schlaf in Armen sehen? – –
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Vortrefflich! ey wie sehr
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Hoffst du auf meine Wiederkehr!
 
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Cephalus! noch blüht dein Glücke!
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Cephalus, erwache doch!
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Bald, bald kömmt der Tag zurücke,
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Ein Gewölk nur deckt ihn noch!
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Und du weist, vor seinem Blicke
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Flieht Auror’: erwache doch!
 
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So sprach sie: und der Silberwagen
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Bringt schon vom fern den Gott getragen,
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Der auf die Welt sein Licht ergießt:
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Sein naher Glanz entschließt,
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Wiewohl zu spät, des Jünglings Augenlüder:
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Sein Glück war da, und sieh, es floh auch wieder!
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Er wachet, sieht sie, schreyt ihr nach:
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Sein Weinen ist umsonst, vergebens ist sein Ach!
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Sie flieht, und läßt zu seinen Schmerzen
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Das Bild von einem kurz beseßnen Glück,
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Das er verschlief, zurück.
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So straft die Lieb oft junge Herzen:
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Ihr jungen Herzen merkt, merkt ja wohl sein Geschick!
 
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Erwartet nie den späten Morgen,
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Wacht ja, so bald Aurore wacht:
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Der Liebe Macht bleibt euch verborgen,
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Wenn euch der Schlummer fühllos macht.
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Die Schäferstunde flieht von hinnen,
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Als wie ein West streicht sie vorbey,
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Und hinterläßt den trägen Sinnen
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Verschlafner Liebe Gram und Reu.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.9 KB)

Details zum Gedicht „Cephalus und Aurore“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
55
Anzahl Wörter
336
Entstehungsjahr
1758
Epoche
Aufklärung

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht „Cephalus und Aurore“ wurde von Christian Felix Weiße verfasst, einem deutschen Dichter des 18. Jahrhunderts. Er gehörte zu den Aufklärungsdichtern und ist vor allem für seine Fabeln und Kinderlieder bekannt. Dieses Gedicht der Liebe und Sehnsucht eindrucksvoll verbindet, stammt vermutlich aus seiner Frühzeit.

Auf den ersten Eindruck wirkt das Gedicht melancholisch und leidenschaftlich. Die erste Strophe beginnt mit einer Beschreibung der Nacht, die die Welt in Dunkelheit hüllt, nur erhellt durch den Glanz der Mondgöttin Diana. Dann erweckt Aurora, die Göttin der Morgenröte und symbolisch die Liebe, vom Schlaf und bietet ihrer Sehnsucht nach ihrem Liebhaber Cephalus Ausdruck.

Inhaltlich ist das Gedicht eine Liebesgeschichte zwischen Aurora und Cephalus. Das lyrische Ich, vermutlich Aurora, durchstreift die Landschaft auf der Suche nach Cephalus und drückt ihre Sehnsucht und Liebe zu ihm aus, aber auch ihren Frust und ihre Bestürzung, ihn schlafend zu finden. Sie appelliert an die Natur, ihn sanft und liebevoll zu behandeln. Doch als Aurora ihn weckt, straft sie ihn auch für sein Schlafen, indem sie ihn verlässt, sobald der Tag erwacht, eine gewisse Ironie, da sie selbst die Morgenröte repräsentiert.

In Bezug auf die Form und Sprache des Gedichtes ist es auffällig, dass die Anzahl der Verse pro Strophe variiert. Das scheint die Höhen und Tiefen ihrer Gefühle widerzuspiegeln und trägt zu einer dramatischen Stimmung bei. Die Sprache ist bildlich und äußerst expressiv. Das Gedicht enthält eine Vielzahl von Naturbildern und -metaphern, wie zum Beispiel die lullende Landschaft und ihr Appell an Vögel, Flüsse und Baumblätter.

Zusammenfassend ist das Gedicht ein leidenschaftlicher und emotionaler Ausdruck von erwiderter, aber unausgelebter Liebe. Es enthält einen Appell an alle jungen Herzen, die Gelegenheit der Liebe zu nutzen, wenn sie präsent ist. Andernfalls könnte das Erwachen zu spät kommen und nur Reue hinterlassen.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Cephalus und Aurore“ ist Christian Felix Weiße. Weiße wurde im Jahr 1726 in Annaberg geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1758 entstanden. Leipzig ist der Erscheinungsort des Textes. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Aufklärung zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Weiße handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche. Das 336 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 55 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „Amynt und Doris“, „An Amor“ und „An den Amor“ sind weitere Werke des Autors Christian Felix Weiße. Zum Autor des Gedichtes „Cephalus und Aurore“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 100 Gedichte vor.

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