An Flavien von Johann Christian Günther

Nun warthe, Flavia, das will ich dir gedencken!
Du kennst den schmerzlichen Verdruß,
Wenn Lieb und Sehnsucht warthen muß,
Und kanst mich so empfindlich kräncken.
Ich weis ja nicht, woran ich bin,
Ob Falschheit oder Noth dir Fuß und Willen binde.
Hier schick ich bey der kahlen Linde
Aus Eifer und aus Angst so Fluch als Seufzer hin.
 
Du nennst mir Zeit und Ort, du schwierst mir, gleich zu kommen;
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Ich lausch, ich zehl, ich hoff und fleh,
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Das Mondlicht hat, so viel ich seh,
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Fast um ein Vierthel zugenommen.
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Es teuscht mich Schatten, Hahn und Wind,
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Ich mein, ich seh dein Bild, so sind es nur Gedancken, Kind!
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Und regt sich was um Strauch und Plancken,
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So schleich und zisch ich nur: Ach, kommstu? Komm, mein
 
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Die Nacht ist niemands Freund. Sie ist vielleicht erschrocken?
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Verliebte ficht kein Blendwerk an.
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Die Mutter ist nicht Schuld daran,
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Denn jezo ruhn Gestrick und Rocken.
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Wie, wenn das Mägdgen untreu wär?
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Dies kenn ich auch zu gut, es thut mir nichts zum Poßen.
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So geh und mach ich tausend Gloßen
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Und sinne doch umsonst mit Unruh hin und her.
 
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Ach, warum lies ich dich doch einmahl aus den Armen?
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Mein Weinen schmelzt und mehrt den Teich;
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Ich werd auf einmahl grau und bleich,
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Es möchte Stern und Stein erbarmen.
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Ach, sollte morgen doch das Eiß
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Die traurende Gestalt dir noch im Spiegel zeigen!
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Du würdest vor Erschröcknüß schweigen,
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Indem wohl deine Schuld nicht einen Vorwand weis.
 
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Du scherzest wohl nicht gar? Das will ich ja nicht hofen,
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Es käm uns beiden hoch zu stehn.
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Was hör ich dort vor Thüren gehn?
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Was seh ich vor ein Fenster ofen?
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Hilf Himmel! Welcher Anblick fällt?
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Ist dies nicht Scandors Haar? Ist dies nicht meine Schöne?
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So hastu, listige Syrene,
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O Ansehn voller Schimpf, mich darum hergestellt?
 
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Den Streich vergeß ich nicht, es sey denn nach der Strafe.
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Die Rache sey von nun an scharf
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Und gebe, wo ich wüntschen darf,
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Daß eure Brunst den Tag verschlafe.
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Das Schröcken mache Spiel und Kuß,
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Die Hize deinen Leib, die Ohnmacht ihn zu Schanden,
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Bis, wenn du trostlos aufgestanden,
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Dein eigner Mund mir selbst die Thorheit beichten muß.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.6 KB)

Details zum Gedicht „An Flavien“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
361
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An Flavien“ des Autors Johann Christian Günther. 1695 wurde Günther in Striegau geboren. Im Zeitraum zwischen 1711 und 1723 ist das Gedicht entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Der Schriftsteller Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barock folgt auf die Epoche des Humanismus und der Renaissance und umfasst den Zeitraum von circa 1600 bis 1720. Der Begriff leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab. Der Begriff stammt aus der Juweliersprache und bedeutet „schiefrunde, seltsam geformte Perle“. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte Deutschland einen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel des deutschen Volkes verlor in dieser Zeit ihr Leben. Doch waren nicht etwa hohe Kriegsverluste dafür verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in fast allen großen und kleinen Städten des Landes. Vornehmlich Krieg und Pest in der Zeit des Barocks zeigen auch ein markantes Merkmal auf: der Gegensatz. Zum einen Armut, Elend und Tod, zum anderen Glanz, Prunk und Macht. So lebte die normale Bevölkerung in Armut, während Adelige einen pompösen Lebensstil bevorzugten. Der Barock war die erste Epoche, die in Deutschland zur Folge hatte, dass Gedichte von nun an nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern auch auf Deutsch herausgegeben wurden. Eine besondere zur Zeit des Barock priorisierte Form der Lyrik bildete das sogenannte Sonett. Im Barockzeitalter war der überwiegende Teil der Literatur Gelegenheitsdichtung. Man dichtete zur gehobenen Unterhaltung oder bei Hofe zur Huldigung der Fürsten. Für den wohlhabenden Bürger schrieben Dichter für Taufen, Beerdigungen, Hochzeiten. Die Lyrik im Barock wird daher auch Gesellschaftsdichtung genannt.

Das 361 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen. Die Gedichte „Ich will lachen, ich will scherzen“, „Gedacht und auch geschehn. Ihr Pierinnen lacht“ und „Brich an, erfreutes Licht, las deine Freudenstunden“ sind weitere Werke des Autors Johann Christian Günther. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An Flavien“ weitere 264 Gedichte vor.

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