Philimen an Selinden, als sie ihm untreu wurde von Johann Christian Günther

Bleib, wer du bist und wilst, Selinde!
Ich bleibe gleichfalls, wer ich bin.
Dein Herz besteht wie Rohr am Winde;
Dafür bedanckt sich nun mein Sinn
Und wüntscht dir zu der guten Zeit
Nichts weiter als Beständigkeit.
 
Du hängst dich, wie ich seh, an alle
Und siehst das Herze nicht mehr an.
Ich geh und räume deinem Falle;
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Er kommt, der Hochmuth kommt voran,
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Spott aber, Reue, Gram und Schmach
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Folgt wie der Rauch dem Brande nach.
 
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Eh soll der Himmel Bäume tragen
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Und unser Queis voll Flammen stehn
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Als jemand auf der Erde sagen:
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Selinde läst den Philimen.
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Besinnstu dich noch auf die Nacht,
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Die dieser Schwur vergnügt gemacht?
 
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Nun grüne, lieber Himmel, grüne
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Und gieb dem Queiße deine Glut,
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Damit es der zur Ausflucht diene,
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Die wider ihr Geseze thut
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Und, wo kein Wunderwerck geschieht,
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Der Rache nimmermehr entflieht!
 
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Mit was vor Ruh und vor Gewißen
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Gedenckstu, falsches Kind, der Lust
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In fremden Armen zu genießen,
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Wobey du allzeit fürchten must,
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Jezt trenne Donner, Bliz und Streich
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Kuß, Mund und Herzen unter euch?
 
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Ein andrer würd es wüntschen können,
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Ich aber bin nicht aufgelegt,
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Den Feinden meinen Zorn zu gönnen;
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Die Liebe, so mich treibt und regt,
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Läst fahren, was nicht bleiben will,
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Und schweigt wie fromme Kinder still.
 
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Genug, daß du dich selbst betrogen
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Und etwas wider dich gethan.
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Bedenck, ich war dir so gewogen,
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Als keiner ist und werden kan,
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Ich zeigte dir durch wahre Treu,
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Was Leben und was Lieben sey.
 
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Die Eintracht zwo vertrauter Herzen
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Macht aus der Welt ein Himmelreich,
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Ihr reiner Kuß verbeißt den Schmerzen,
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Ihr Auge kommt der Sonne gleich,
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Die Wolck und Regen um sich sieht
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Und doch davon nichts in sich zieht.
 
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Den Vorschmack hastu schon genoßen,
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Betrachte Felsen, Bach und Wald,
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Wo ich dich oft in Arm geschloßen
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Und unser Scherz noch widerschallt;
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Die Vögel wurden selbst erweckt
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Und durch Exempel angesteckt.
 
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Du wustest damahls vor Vergnügen
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Oft selbst nicht, wo dein Herze wär;
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Du bliebest vor Entzückung liegen
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Und sagtest, deucht mich, ohngefehr:
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Kind, daß mich nicht der schöne Tag
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An deiner Brust entseelen mag!
 
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Ich mag nichts mehr davon gedencken,
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Sonst leid ich mehr dabey als du;
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Die Zeit weis alles so zu lencken,
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Damit sie keinem Unrecht thu,
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Und wird vielleicht zu deiner Pein
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Bald zwischen uns ein Richter seyn.
 
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Ich übergeb ihr meine Rache,
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Die doch nicht weiter um sich fast,
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Als daß sie bald zu Schanden mache,
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So viel du Schönes an dir hast,
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Bis daß Selinde nicht mehr ist,
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Was du anjezt, Selinde, bist.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.1 KB)

Details zum Gedicht „Philimen an Selinden, als sie ihm untreu wurde“

Anzahl Strophen
12
Anzahl Verse
72
Anzahl Wörter
422
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Johann Christian Günther ist der Autor des Gedichtes „Philimen an Selinden, als sie ihm untreu wurde“. Geboren wurde Günther im Jahr 1695 in Striegau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1711 bis 1723 entstanden. Aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Bei dem Schriftsteller Günther handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks erstreckt sich über den Zeitraum von 1600 bis ungefähr 1720. Diesen Zeitraum kann man in drei Abschnitte unterteilen: Frühbarock, Hochbarock und Spätbarock. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte das Deutsche Reich einen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel des deutschen Volkes kam in der Zeit ums Leben. Dafür waren nicht etwa hohe Kriegsverluste verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in fast allen großen und kleinen Städten des Deutschen Reiches. Besonders Krieg und Pest im Barock zeigen auch ein wichtiges Merkmal auf: der Gegensatz. Auf der einen Seite Armut, Tod und Elend, auf der anderen Glanz, Prunk und Macht. So lebte die normale Bevölkerung in Armut, während Adelige einen protzigen Lebensstil bevorzugten. Der Barock war die erste Epoche, die in Deutschland bewirkte, dass Literatur von nun an nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern erstmals auf Deutsch herausgegeben wurde. Eine besondere zur Zeit des Barock präferierte Form der Lyrik stellte das sogenannte Sonett dar. Dichter und Werke dieser Zeit sind vielzählig. Martin Opitz, Andreas Gryphius oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind typische Vertreter des Barocks.

Das Gedicht besteht aus 72 Versen mit insgesamt 12 Strophen und umfasst dabei 422 Worte. Der Dichter Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Was man von galanten Kindern“, „Ich will lachen, ich will scherzen“ und „Gedacht und auch geschehn. Ihr Pierinnen lacht“. Zum Autor des Gedichtes „Philimen an Selinden, als sie ihm untreu wurde“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 264 Gedichte vor.

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