Auf die Morgenzeit bey Erinnerung Leonorens von Johann Christian Günther

Ich seh dich zwar, du angenehmer Morgen,
Und zwar nicht sonder Zärtligkeit,
Und diese zwar zu Lust und Leid
Vergangner Ruh und gegenwärtger Sorgen;
Denn wenn bey deinem Blick mir ins Gedächtnüß fällt,
Wie oft dein holder Stern auf Leonorens Wangen
Durch seinen Widerschein mir doppelt aufgegangen,
So fühl ich einen Trost, der Noth und Kummer hält.
 
Ich lies den Schlaf vergebens auf mich warthen,
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Und wenn mein Fleiß die finstre Nacht
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Mit Kuß und Büchern zugebracht,
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So zogstu mich gleichwohl noch in den Garthen;
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Da träufelte mir erst das süße Mannabrodt
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Noch reicher als dein Thau vom allerliebsten Munde,
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Da macht ich oftermahls mit unserm süßen Bunde,
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Ich glaub aus Eifersucht, Auroren noch so roth.
 
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Dies war ein Rest der ehmals güldnen Zeiten,
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Die blos die Liebe wieder schenckt,
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Die Liebe, so auf nichts gedenckt,
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Als durch die Bahn des Lebens froh zu schreiten.
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Da hatt ich noch ein Herz, dem kont ich mich vertraun,
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Da scheut ich keinen Fall, der unser treu Gespräche
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Durch Argwohn oder Neid und Lügen unterbräche;
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Da sprach ich oft mit Recht: Hier last uns Hütten baun!
 
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Da sagt ich ihr die heimlichsten Gedancken,
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Und was auch ihr von Freud und Gram
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Sonst niemahls auf die Zunge kam,
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Das brach vor mir des Herzens enge Schrancken;
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Die Geister übten sich bey selbst gelaßner Ruh,
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An Scherz und Redligkeit einander zu besiegen,
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Die Leiber wusten auch ihr Theil davon zu kriegen
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Und sazten durch den Kuß einander feurig zu.
 
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Ach Schweidniz, ach du Bild von Salems Thoren,
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Du Lustplaz meiner jungen Zeit,
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Die sich den Musen ganz geweiht,
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Was hab ich nicht mit dir vor Fried und Heil verloren!
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Ich seh durch Thrän und Angst, und sieh, du bist nicht da,
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Des Tages tausendmahl mit größrer Angst zurücke
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Als jen gefangnes Volck, das mit betrübtem Blicke
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Die Gegend Canaans aus Babels Fenstern sah.
 
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Jezt hab ich nichts, Verdruß und Angst zu stillen,
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Als etwan die Verzweiflungslust;
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Jedoch was quäl ich selbst die Brust?
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Verliert euch nur, ihr angenehmen Grillen,
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Verliert euch, bis mir einst ein beßrer Glücksstern scheint.
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Jezt will ich durch Gefahr mit Fleiß und Hofnung wagen;
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Zwey Pfeiler helfen mir die schwere Bürde tragen:
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Die Vorsicht in der Höh und hier mein treuer Freund.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (29 KB)

Details zum Gedicht „Auf die Morgenzeit bey Erinnerung Leonorens“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
371
Entstehungsjahr
1720
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Auf die Morgenzeit bey Erinnerung Leonorens“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Günther. Im Jahr 1695 wurde Günther in Striegau geboren. Das Gedicht ist im Jahr 1720 entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Barock zuordnen. Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des 17. und 18. Jahrhunderts, die wir heute als Barock bezeichnen, leitet sich von dem portugiesischen Wort „barocco“ ab. Das portugiesische Wort stammt ursprünglich aus dem Juwelierhandwerk und heißt auf Deutsch „unregelmäßige, schiefrunde Perle“. Die Bevölkerung Europas entwickelte sich nach dem Dreißigjährigen Krieg in verschiedene Richtungen. Der Krieg stellte ein besonders prägendes Ereignis der damaligen Zeit dar. Auch die Pest übte einen großen Einfluss auf die Verhältnisse der damaligen Zeit aus. Es herrschte zu Zeiten des Barock ein antithetisches (also gegensätzliches) Weltbild. Verschwendung und Luxus im Leben des Adels standen Armut und Leid innerhalb der einfachen Bevölkerung gegenüber. Die Literatur des Barocks war ebenso geprägt von thematischen Widersprüchen. Diesseits und Jenseits standen sich ebenso gegenüber wie Spiel und Ernst oder Schein und Sein. In Deutschland führte der Barock zu einer Ablösung der lateinischen Sprache in der Literatur - einschließlich der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur - durch die deutsche Sprache. Schriftsteller und Werke dieser Zeit sind vielzählig. Andreas Gryphius, Martin Opitz oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen sind typische Vertreter des Barocks.

Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 371 Worte. Der Dichter Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Kein Schulpferd ist so gut zum Springen abgericht“, „Was man von galanten Kindern“ und „Ich will lachen, ich will scherzen“. Zum Autor des Gedichtes „Auf die Morgenzeit bey Erinnerung Leonorens“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 264 Gedichte vor.

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