An die Phillis von Johann Christian Günther

Ich verschmachte vor Verlangen,
Meine Phillis zu umfangen.
Harter Himmel, zürnst du noch?
Faule Stunden, eilet doch!
Eilet doch, ihr faulen Stunden,
Und erbarmt euch meiner Noth!
Wird der Riß nicht bald verbunden,
Blutet sich mein Herze todt.
 
Liebste Seele, las dich finden!
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Ich spaziere durch die Linden,
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Durch die Thäler, durch den Hayn
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In Begleitung süßer Pein;
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Ich durchkrieche Strauch und Höhlen,
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Such in Wäldern weit und nah
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Die Vertraute meiner Seelen,
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Dennoch ist sie nirgends da.
 
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Ich beschwöre selbst die Hirten
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Bey den Heerden, bey den Myrthen,
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Die vielleicht der Liebe Pflicht
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Um die bunten Stöcke flicht:
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Wist ihr nicht der Phillis Spuren?
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Habt ihr nicht mein Kind erblickt?
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Kommt sie nicht mehr auf die Fluren,
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Wo wir manchen Strauß gepflückt?
 
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Die ihr alles hört und saget,
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Luft und Forst und Meer durchjaget,
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Echo, Sonne, Mond und Wind,
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Sagt mir doch, wo steckt mein Kind?
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Soll sie schon vergöttert werden,
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Beth ich sie vielleicht herab,
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Oder ziert sie noch die Erden,
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O so reis ich bis ans Grab.
 
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Sage selbst, entrißne Seele,
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Welcher Weinberg, welche Höhle,
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Welcher unbekandte Wald
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Ist anjezt dein Aufenthalt?
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Sage mir, damit ich folge,
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Wär es auch des Nilus Strand,
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Wär es auch die kalte Wolge,
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Zög ich gern durch Eiß und Sand.
 
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Weis mir nichts Bericht zu geben?
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O was ist das vor ein Leben,
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Das ich jezo ohne sie
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Als mein Joch zur Baare zieh!
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Himmel, las dir nicht erst fluchen,
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Ich begehre sie von dir
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Bin ich nicht ein Thor im Suchen?
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Phillis lebt ja selbst in mir.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.1 KB)

Details zum Gedicht „An die Phillis“

Anzahl Strophen
6
Anzahl Verse
48
Anzahl Wörter
257
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „An die Phillis“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Günther. Im Jahr 1695 wurde Günther in Striegau geboren. Im Zeitraum zwischen 1711 und 1723 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Barock zuordnen. Bei Günther handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Die Literaturepoche des Barock beginnt circa 1600 und endet im Jahr 1720. Die wörtliche Übersetzung des aus dem Portugiesischen stammenden Begriffes „barocco“ lautet „schiefe Perle“. Der Dreißigjährige Krieg (1618-1648) hat die Literaturepoche des Barocks in hohem Maße geprägt. Der Krieg war eine Katastrophe von einem Ausmaß, das kaum vorstellbar ist. Die Menschen litten unter den Kämpfen, Hungersnöten und vor allem unter der Pest, an der eine Vielzahl von Menschen verstarb. Die Bevölkerung Deutschlands ging um etwa ein Drittel zurück. Elend und Krieg lösten in der ärmeren Bevölkerung ein starkes Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Im Gegensatz dazu lebten die absolutistischen, alleinigen Herrscher in protzigen Luxus und ließen sich Schlösser voller Prunk errichten. Diese Gegensätze von Lebenslust und Todesangst bzw. Luxus und Armut spiegelten sich ebenso in der Barockliteratur wider. In der Dichtung wird die Verwendung solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. In der vorausgegangenen Epoche (Renaissance) waren noch viele Gedichte auf Lateinisch geschrieben worden. Im Barock begann die Zeit der in deutscher Sprache verfassten Literatur. Da während der Literaturepoche des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine bedeutende Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform jener Zeit das Gedicht. In den Gedichten wurden häufig Symbole, Metaphern und Hyperbolik genutzt.

Das Gedicht besteht aus 48 Versen mit insgesamt 6 Strophen und umfasst dabei 257 Worte. Weitere Werke des Dichters Johann Christian Günther sind „Der Unruh wird noch mehr, wenn Wieg- und Nahmenfest“, „Warum man mich in keiner Kirche sieht?“ und „Kein Schulpferd ist so gut zum Springen abgericht“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „An die Phillis“ weitere 264 Gedichte vor.

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