Auf der Reise nach Jauer von Johann Christian Günther

Bruder, komm und las uns wandern,
Habe Leid und Lust gemein;
Kommt ein Wetter nach dem andern,
Hilf mir doch beständig seyn.
Der Verdruß vergangner Tage
Zeigt viel süß' Erinnerung;
Wir erdulden schwere Plage,
Aber wir sind auch noch jung.
 
Gleiche Brüder, gleiche Kappen,
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Einerley Gefahr und Muth!
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Sollt uns auch der Feind ertappen,
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Kämpfen wir vor Ruhm und Blut.
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Wir sind allzeit freye Leute;
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Ob uns gleich die Armuth drückt,
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Werden wir doch immer heute
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Durch geschwinden Trost erquickt.
 
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Jene, so in großen Städten
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Unter Sammt und Seide gehn,
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Müßen, wenn sie Pflaster treten,
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Voller Furcht und Sorgen stehn;
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Ihrer Ämter Schein und Würde
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Ist ein Mantel der Gefahr,
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Und sie werden bey der Bürde
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Ihres Lebens kaum gewahr.
 
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Sag es, Bruder, unverholen,
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Sind wir nicht weit beßer dran?
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Unser Schaden sind nur Sohlen,
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Die man leicht ersezen kan;
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Nichts verwirrt uns die Gemüther,
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Niemand zwingt uns an das Joch;
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Raubt man uns so Ehr als Güter,
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Bleibet unsre Hofnung doch.
 
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Bey dem lustigen Erzehlen
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Wird uns keine Meile lang;
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Wenn die Federn manchen quälen,
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Ruhn wir auf der härtsten Banck.
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Wir durchgehn die meisten Stände,
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Sehn gemeiner Thorheit zu,
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Lachen heimlich in die Hände
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Und befördern unsre Ruh.
 
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Hat die Vorsicht ein Erbarmen,
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Sieht sie Treu und Weißheit an,
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O so ist es mit uns Armen
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Noch zur Zeit nicht gar gethan.
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Großmuth macht den Neid zu Schanden,
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Naht sich doch wohl schon die Zeit,
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Da uns, was wir ausgestanden,
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Ungemeine Lust verleiht.
 
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Bruder, fort, es geht nach Jauer,
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Bruder, fort, und las uns gehn;
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Wird uns Weg und Wetter sauer,
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Soll es doch bald anders stehn.
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Fort, ich höre schon die Lieder
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Auf den nechsten Freudenschmaus!
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Mertschüz sehn wir wohl nicht wieder;
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Freund, wo geht der Weg hinaus?
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (27.7 KB)

Details zum Gedicht „Auf der Reise nach Jauer“

Anzahl Strophen
7
Anzahl Verse
56
Anzahl Wörter
291
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „Auf der Reise nach Jauer“ des Autors Johann Christian Günther. Günther wurde im Jahr 1695 in Striegau geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes liegt zwischen den Jahren 1711 und 1723. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Barock kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Bei dem Schriftsteller Günther handelt es sich um einen typischen Vertreter der genannten Epoche.

Als Barockliteratur wird in der deutschen Geschichte der Literatur seit etwa 1800 das schriftstellerische Schaffen in Europa im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet. Der Begriff „Barock“ stammt aus dem Portugiesischen („barocco“) und bedeutet so viel wie schiefrunde, seltsam geformte Perle. Die Zeit des Barocks wurde durch den Dreißigjährigen Krieg geprägt – Hunger, Seuchen, Vergewaltigung und Tod sorgten für enormes Leid bei der Bevölkerung in Europa. So schrumpfte die Bevölkerung in Deutschland von ca. 28 Millionen im Jahr 1615 auf 11 Millionen Menschen am Ende des Krieges im Jahr 1648. Krieg und Elend lösten in der Bevölkerung ein Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Im Gegensatz dazu lebten die alleinigen, absolutistischen Herrscher in verschwenderischem Luxus und ließen sich Prunkschlösser bauen. Diese Gegensätze von Todesangst und Lebenslust bzw. Armut und Luxus ließen sich auch in der Literatur ausmachen. In der Lyrik wird der Einsatz solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. Die Literaturepoche des Barocks war die erste Epoche, die in Deutschland bewirkte, dass Gedichte von nun an nicht mehr in lateinischer Sprache, sondern erstmals auf Deutsch veröffentlicht wurden. Eine besondere zur Zeit des Barock bevorzugte Form der Lyrik bildete das sogenannte Sonett. Die Autoren gehörten in der Regel dem Gelehrtenstand an: Theologen, Akademiker, Beamte und Adelige. Berühmte Literaten des Barocks sind beispielsweise Martin Opitz, Andreas Gryphius, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein oder Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.

Das 291 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 56 Versen mit insgesamt 7 Strophen. Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Der Unruh wird noch mehr, wenn Wieg- und Nahmenfest“, „Warum man mich in keiner Kirche sieht?“ und „Kein Schulpferd ist so gut zum Springen abgericht“. Zum Autor des Gedichtes „Auf der Reise nach Jauer“ haben wir auf abi-pur.de weitere 264 Gedichte veröffentlicht.

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