Der sich selbst tröstende und befriedigende Redliche von Johann Christian Günther

Die man sich selber macht, ist wohl die beste Lust.
Dies fühlet meine Brust
Bey innerlicher Angst und eußerlichen Plagen.
Denn fällt mir Zeit und Fleiß und aller Umgang schwer,
So komm ich ohngefehr
Auf etwas, das mich stärckt, die Grillen wegzuschlagen.
 
Betrübt mich auf der Welt das Leben obenhin,
So will der blinde Sinn,
Der fleischlich denckt und schliest, fast mit dem Schöpfer schmollen,
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Als hätt er, da er längst mein Leiden und mein Flehn
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So gut voraus gesehn,
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Mein Wesen und Natur nur möglich laßen sollen.
 
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Denn hätt er dieses nicht zur Würcklichkeit gebracht,
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So läg ich in der Nacht,
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Da, wo Gefahr und Angst das todte Volck nicht drängen,
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So fühlt ich jezt auch nicht Verfolgung, Gram und Noth,
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Die mir so Tranck als Brodt,
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Darum ich dienen muß, mit Gift und Galle mengen.
 
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So schließet Fleisch und Blut, nicht aber der Verstand,
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Der läst die Allmachtshand,
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Die nichts umsonst erbaut, ein danckbar Herze spüren,
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Indem ihr weiser Schluß mich schlechten Theil der Welt
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So werth und würdig hält,
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Durch Unglück und Gedult den großen Bau zu zieren.
 
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Du unvergnügtes Herz verstehst dein Glücke nicht,
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Wofern dein scheel Gesicht
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Auf andre Nechsten fällt, die hoch und prächtig leben.
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Ach, lidtest du auch mehr als jezo in der That,
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Der heilgen Wächter Rath
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Wär dennoch gegen dich noch viel zu reich im Geben.
 
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Komm, zehle mir einmahl die Lichter in der Luft,
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Die Stäubchen in der Gruft,
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Die Fehler, so du hast, und aller Menschen Sünden;
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Und hastu denn davon die Rechnung aufgebracht,
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So rechne mit Bedacht:
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Du wirst an dir von Gott mehr Güt und Wunder finden.
 
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Erwege doch nur recht die glückliche Natur,
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Wodurch du auf die Spur
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Der rechten Weißheit kommst, bedencke dein Gemüthe,
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Es ist im Fallen schwach, jedoch an Liebe starck
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Und theilte Blut und Marck,
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Wenn deßen Treu dadurch dem ärmsten Menschen riethe.
 
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Ach, so ein ehrlich Herz, was ist das vor ein Schaz!
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Da hat kein Unglück Plaz,
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Wo Hang, Geburth und Zucht den Geist begierig machen,
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Die Augen der Vernunft vom Pöbel zu erhöhn,
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Dem Nechsten beyzustehn,
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Dem Himmel zu vertraun und aller Furcht zu lachen.
 
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Welch heßlich Gegentheil entdeckt dir so ein Bild,
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Das wie ein schüchtern Wild
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Mit Cains Siegel fleucht und nirgends Tröstung findet,
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Das von Natur schon Lust an andrer Schaden sieht,
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Licht, Lieb und Warheit flieht
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Und alles wider sich durch List und Haß verbindet.
 
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Ein solch verworfner Mensch, ja nicht viel mehr als Vieh,
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Hat Ursach, spät und früh
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Die Stunde der Geburth mit Hiobs Fluch zu seegnen.
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Denn weil sein Wesen nichts als Boßheit wollen kan,
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So hängt die Folge dran,
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Die Gnade könn ihm nun und nimmermehr begegnen.
 
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Die Rache wirft ihm zwar, wie ich dem Hunde thu,
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Noch manchen Knochen zu,
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Das ist: sie füttert ihn mit kurz- und eitlen Gaben;
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Und davor muß, sobald der große Tag erscheint,
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Ein solch verruchter Feind
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Des menschlichen Geschlechts nichts mehr zu hofen haben.
 
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Gott, hat mein frommer Wuntsch mit deiner Mögligkeit
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Vor diesmahl keinen Streit,
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So las dergleichen Mensch ein bloßes Mährchen heißen,
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Ach, aber sollte doch noch einer würcklich seyn,
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So las des Heilands Schreyn,
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Wenn ja mein Flehn nicht hilft, ihn aus der Boßheit reißen.
 
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Ich seh im übrigen mit innerlicher Ruh
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Den wilden Stürmen zu,
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Die um und über mich nicht ohn Erlaubnüß schießen.
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Ich habe meine Lust an Weißheit, Buch und Kiel
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Und mag kein ander Ziel
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Als ein- vor allemahl die Wahl von deinen Schlüßen.
Arbeitsblatt zum Gedicht
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Details zum Gedicht „Der sich selbst tröstende und befriedigende Redliche“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
78
Anzahl Wörter
577
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Der sich selbst tröstende und befriedigende Redliche“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Johann Christian Günther. Der Autor Johann Christian Günther wurde 1695 in Striegau geboren. In der Zeit von 1711 bis 1723 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her der Epoche Barock zuordnen. Der Schriftsteller Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Der die Jahre 1600 bis 1720 umfassende Zeitraum gilt als Literaturepoche des Barocks, die sich im deutschen Sprachraum während und nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) entfaltete. Als Epochenbezeichnung wird das aus dem Portugiesischen stammende Wort „Barock“ erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte das Deutsche Reich einen wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel der Bevölkerung verlor in jener Zeit ihr Leben. Doch waren nicht etwa hohe Verluste im Krieg dafür verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in nahezu allen großen und kleinen Städten des Landes. Es herrschte im Barock ein antithetisches Weltbild. Luxus und Verschwendung des Adels standen Leid und Armut innerhalb der einfachen Bevölkerung gegenüber. Die Literatur im Barock war ebenso gekennzeichnet von inhaltlichen Widersprüchen. Diesseits und Jenseits standen sich ebenso gegenüber wie Spiel und Ernst oder etwa Sein und Schein. Unter den Literaturgattungen erlebten die Lyrik in Form von Sonetten, Liedern oder Oden, die Epik in Form des Romans und das Drama größere Bedeutung. Während die Dichter der Renaissance vorwiegend in lateinischer Sprache, der Sprache der Wissenschaft, verfassten, war man nun bestrebt, sich der deutschen Sprache zuzuwenden. Wichtige Autoren für die Zeit des Barocks waren beispielsweise: Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Martin Opitz, Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen, Christian Weise und Andreas Gryphius.

Das Gedicht besteht aus 78 Versen mit insgesamt 13 Strophen und umfasst dabei 577 Worte. Weitere bekannte Gedichte des Autors Johann Christian Günther sind „Ich will lachen, ich will scherzen“, „Gedacht und auch geschehn. Ihr Pierinnen lacht“ und „Brich an, erfreutes Licht, las deine Freudenstunden“. Zum Autor des Gedichtes „Der sich selbst tröstende und befriedigende Redliche“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 264 Gedichte vor.

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