Nach der Beichte an seinen Vater von Johann Christian Günther
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Mit dem im Himmel wär es gut, |
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Ach, wer versöhnt mir den auf Erden? |
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Wofern es nicht die Liebe thut, |
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Wird alles blind und fruchtlos werden, |
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Wer glaubt wohl, hartes Vaterherz, |
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Daß so viel Unglück, Flehn und Schmerz |
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Der Eltern Blut nicht rühren sollen? |
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Ich dächt, ich hätt in kurzer Zeit |
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Die allerhärtste Grausamkeit |
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Blos durch mein Elend beugen wollen. |
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Ich bin und bin auch nicht verwaist; |
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Dies Räthsel kostet mich viel Thränen. |
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Ach Vater, bistu, was du heist, |
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So höre mein gerechtes Sehnen. |
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Ich küße dich mit Mund und Hand; |
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Du kanst ja wohl dies Ehrfurchtspfand |
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Nicht ganz und gar zurückeschlagen. |
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Verschmähst auch du dies Lösegeld, |
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Zu welchem soll ich auf der Welt |
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Mehr Neigung, Herz und Zuflucht tragen? |
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Ich bitte, prüfe Straf und Schuld. |
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Dein Eifer streckt sich in die Länge, |
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Er stiehlt mir aller Gönner Huld, |
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Er mehrt der Feinde Spott und Menge, |
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Mein künftig Wohlseyn geht in Grund. |
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Verleumdet uns der Eltern Mund, |
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Was wollen Fremde thun und glauben? |
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Behält dein Herz noch eine Spur |
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Der ehmahls gütigen Natur, |
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So mustu mir die Frag erlauben: |
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Wer sündigt mit Entschuldigung, |
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Der alle Rechte Statt vergönnen? |
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Die Strafe dient zur Beßerung, |
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Ja, wenn wir sie gebrauchen können; |
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Allein, wer gar zu Boden liegt |
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Und nirgends Rath noch Hülfe kriegt, |
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Der ist den Krancken beyzuzehlen, |
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Die, wenn der Brand das Haupt gewinnt, |
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Ohn eigne Schuld vernunftlos sind |
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Und Gift vor Mithridat erwehlen. |
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Was bringen dich vor Laster auf, |
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Und was vor Boßheit reizt die Rache? |
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Was ist, wodurch mein Lebenslauf |
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Der Eltern Zucht zu Schanden mache? |
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Ich falle, ja, wie jeder fällt, |
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Dem Fleisch und Jugend Neze stellt; |
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Und hätt ich etwas Grobs begangen, |
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So würde nach bewiesner That |
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Ein Strafbrief und geheimer Rath |
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Viel mehr als Fluch und Schimpf verfangen. |
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Was zwischen uns vor Streit geschehn, |
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Was darf denn dies die Misgunst hören? |
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Sie wird sich desto stolzer blehn, |
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Auch dir gereicht es nicht zu Ehren, |
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Sie misbraucht deinen frommen Sinn |
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Und schwärzt mich anders als ich bin. |
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Ach schone doch dein eignes Herze. |
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Der Himmel weis, ich klage dich; |
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Du weinst und traurest über mich |
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Und machst dir Lüg und List zum Schmerze. |
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Sieh endlich, wenn du ja so wilst, |
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So will ich mich verloren nennen |
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Und, weil du mich in Larven hüllst, |
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Auch mehrers, als ich weis, bekennen. |
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Hält Demuth oft die Tyranney |
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Und macht die Buße Sclaven frey, |
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So muß auch dir das Herze brechen. |
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Ich falle dir in Zorn und Arm, |
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Ach, Vater, Vater, ach erbarm |
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Und las die Thränen weiter sprechen. |
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Du hast mit großer Lieb und Müh |
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Gezeugt, ernährt, gelehrt, gezogen, |
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Und daß ich schon an Künsten blüh, |
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Das zeigt, dein Fleiß sey nicht betrogen. |
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Verwirfstu jezo deinen Sohn, |
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So kommstu endlich um den Lohn: |
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Wer wird dein Trost im Alter bleiben? |
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Wer wird dein Frommseyn und dein Leid, |
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Dein Wohlthun, deine Redligkeit |
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Der Nachwelt zum Exempel schreiben? |
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Ach, mach uns nicht das Ende schwer, |
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Ich will mit Lust noch größre Plagen, |
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Und wenn es selbst dein Sterben wär, |
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Als solchen Haß noch länger tragen. |
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Der Nothzwang lehrt uns freylich viel. |
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Versöhnt dich weder Mund noch Kiel, |
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So ist doch nichts umsonst geschrieben; |
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Die Welt erfährt den treuen Sinn, |
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Womit ich dir ergeben bin, |
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Du magst mich haßen oder lieben. |
Details zum Gedicht „Nach der Beichte an seinen Vater“
Johann Christian Günther
9
90
538
1695 - 1723
Barock
Gedicht-Analyse
Der Autor des Gedichtes „Nach der Beichte an seinen Vater“ ist Johann Christian Günther. Geboren wurde Günther im Jahr 1695 in Striegau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1711 bis 1723 entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht der Epoche Barock zuordnen. Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.
Der die Jahre 1600 bis 1720 umfassende Zeitraum gilt als Epoche der Barockliteratur, die sich im deutschen Sprachraum während und nach dem Dreißigjährigen Krieg entfaltete. Der Dreißigjährige Krieg begann 1618 und endete im Jahr 1648. Als Bezeichnung der Epoche wird das aus dem Portugiesischen stammende Wort „Barock“ erst seit Mitte des 19. Jahrhunderts genutzt. Durch die Pest starben etwa 30 % der Bevölkerung. Auch der Dreißigjährige Krieg führte zu einem wirtschaftlichen, sozialen und politischen Verfall in Deutschland. Dennoch lebten die Fürsten einen luxuriösen und ausschweifenden Lebensstil vor. Sie nutzten das Durcheinander nach dem Krieg, um eine Neuordnung der Gebiete vorzunehmen und ihre Macht weiter auszubauen. Es herrschte in der Literaturepoche des Barocks ein antithetisches Weltbild. Verschwendung und Luxus im Leben des Adels standen Leid und Armut innerhalb der einfachen Bevölkerung gegenüber. Die Barockliteratur war ebenso gekennzeichnet von thematischen Widersprüchen. Diesseits und Jenseits standen sich ebenso gegenüber wie Ernst und Spiel oder Schein und Sein. In Deutschland kam es durch den Barock zu einer Ablösung des Lateinischen in der Literatur - einschließlich der wissenschaftlichen und philosophischen Literatur - durch das Deutsche. Da innerhalb der Zeit des Barocks die äußere Ästhetik und der Wohlklang eines literarischen Werkes eine große Rolle spielten, war die bevorzugte Literaturform das Gedicht. In den Gedichten wurden häufig Symbole, Metaphern und Hyperbolik (Übertreibung) verwendet.
Das vorliegende Gedicht umfasst 538 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 90 Versen. Der Dichter Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Kein Schulpferd ist so gut zum Springen abgericht“, „Was man von galanten Kindern“ und „Ich will lachen, ich will scherzen“. Zum Autor des Gedichtes „Nach der Beichte an seinen Vater“ haben wir auf abi-pur.de weitere 264 Gedichte veröffentlicht.
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