An die Frau von Breszlerin von Johann Christian Günther

Nur fort, gelehrt- und muntre Dame!
Dein Fuß betritt das rechte Gleiß,
Worauf dein ewig grüner Nähme
Den Tempel später Ehren weis.
Die Tugend läst sich nicht verschweigen,
Sie liebt so gut Gefahr als Zeugen,
Sie will durch Zeit und Länder gehn,
Sie blizt den Neidern ins Gesichte
Und kan mit ihrem reinen Lichte
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Ohn Unruh nie im Winckel stehn.
 
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Der Trieb, vor andern groß zu werden,
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Reizt edle Seelen von Natur,
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Erleichtert Arbeit und Beschwerden
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Und findet die geheimste Spur.
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Ein jeder sehnt sich viel zu gelten;
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Wer will die Ehrbegierde schelten?
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Sie ist so billig als gemein.
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Daß Helden Blut und Kraft verschwizen,
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Gelehrte Schlaf und Ruh versizen,
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Was macht's? Der Hang, berühmt zu seyn.
 
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Wer zeugt die alten Wunderwercke,
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Die Kunst und Wißenschaft gebahr?
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Wer gab dem Alexander Stärcke?
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Wer hielt den Pyrrhus in Gefahr?
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Wer macht den Curtius verwegen?
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Wer schärft dem Cäsar Kiel und Degen?
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Warum verlacht Eugen den Neid?
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Wer gab dem Titus Lieb und Güte,
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Dem Socrates ein fromm Gemüthe?
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Die Lust zur Unvergängligkeit.
 
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Zwar diese, wenn ich's recht erwege,
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Ist freylich kein so gründlich Gut;
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Denn wenn ich Haupt und Füße lege,
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So fühl ich nicht, wie wohl sie thut.
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Die Enckel kosten unsre Früchte,
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Uns folgt ein blind und leer Gerüchte,
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Wovon uns kein Genuß erquickt.
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Doch ist ein hoher Geist zufrieden,
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Wofern nur, wenn sein Leib verschieden,
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Sein Ruhm der Nachwelt Ohr entzückt.
 
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Der Pöbel kan es zwar nicht reimen,
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Daß Nachruhm auch ein Leben sey;
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Er nennt es nur ein süßes Träumen
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Und kluger Thoren Fantasey.
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Er liebt nur Irrthum, Nacht und Wüste,
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Hat mit dem Vieh so Wuntsch als Lüste,
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Ja gar den Untergang gemein.
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Man gönn ihm dieses todte Leben
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Und suche stets dahin zu streben,
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Wo Fleiß und Musen Glanz verleihn.
 
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Die Musen lohnen ihren Kindern
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Mit innerlicher Freud und Ruh,
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Ihr Spielen kan den Gram verhindern
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Und lockt Gedult und Trost herzu.
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Man lernt die Eitelkeit betrachten,
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Man lernt sie schäzen und verachten,
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Man beßert Wandel und Verstand,
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Man überwindet Furcht und Schröcken,
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In welchen Wahn und Einfalt stecken,
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Und macht sich Gott und Welt bekand.
 
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Dies ist der Vortheil rechter Dichter,
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Die klug, gelehrt und redlich sind:
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Sie lachen aller Splitterrichter
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Und schlagen Geiz und Neid in Wind.
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Sie finden sich in jedes Glücke,
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Sie sehn das feindlichste Geschicke
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Vor Prüfung, nicht vor Strafen an.
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Sie wollen beßern und ergözen
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Und pflegen nichts vor hoch zu schäzen,
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Als was die Warheit leiden kan.
 
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Dein Herz, gelehrte Mariane,
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Ist auch ein feuerreicher Quell,
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Sein Blut macht deines Adels Fahne
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Zum Beyspiel aller Enckel hell.
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Der Ausbruch deiner klugen Sinnen
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Vermehlt dich mit den Pierinnen.
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Verleugne nur nicht deinen Werth,
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Er blizt aus Stellung, Aug und Schriften
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Und wird dir noch ein Denckmahl stiften,
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Das weder Staub noch Zeit verzehrt.
 
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Nur wuchre bald mit diesem Pfunde,
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Und treib das angefangne Spiel!
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Der Einbruch von der lezten Stunde
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Ist keinem ein bekandtes Ziel.
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Am besten wird sich der versorgen,
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Der lieber um den frühen Morgen
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Als um den Mittag Blumen bricht.
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Vor Abend kan viel anders werden,
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So geht es immer auf der Erden,
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Wer Ruhm begehrt, der säumet nicht.
 
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Wem aber, fragstu, zu Gefallen,
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Wem nüzt wohl meine Poesie?
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Wer soll aus meiner Flöthe schallen,
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Und weßen Lob vergilt die Müh?
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Carl macht in Ungarn güldne Zeiten,
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Carl ist es, dem der Ruhm der Saythen
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Vor allen überhaupt gebührt;
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Eugen folgt nach und denn die Liebe.
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Bedencke, was dir ihre Triebe
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An deinem Breßler zugeführt.
 
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Nur er verdiente dich auf Erden,
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Nur du verdientest den Gemahl.
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Beschreib den Wohlstand der Geberden,
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Damit er dir das Herze stahl;
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Besinge seiner Tugend Würde,
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Das Heil der Stadt, der Ämter Bürde,
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Den allemahl gesezten Geist,
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Den steten Fleiß, das viele Wißen,
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Den klugen Scherz, das treue Küßen
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Und was du sonst am besten weist.
 
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Da hastu Stof genug zum Singen,
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Stimm an und nimm die Kunst von dir.
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Ich soll dich auf den Pindus bringen,
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Was denckt wohl dein Befehl von mir?
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Ich küße zwar die Huld zum Scherzen,
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Doch hör ich mit erschrocknem Herzen
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Die Prüfung des Gehorsams an.
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Versuche mich durch andre Mittel,
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Ich bin nur ein Poet am Tittel,
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Den jeder Stümper kaufen kan.
 
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Die beste Regel, wohl zu dichten,
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Ist angebohrner Fleiß und Lust,
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Du brauchst dich nur nach ihr zu richten
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Und hast den Phoebus in der Brust.
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Dein Umgang soll mich erst entzünden
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Und, wenn wir Vers und Reim verbinden,
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Den kalten Worten Geist verleihn.
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Das Glücke, dir gedient zu haben,
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Wird in Ermanglung beßrer Gaben
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Mein Ansehn bey der Nachwelt seyn.

Details zum Gedicht „An die Frau von Breszlerin“

Anzahl Strophen
13
Anzahl Verse
130
Anzahl Wörter
759
Entstehungsjahr
1695 - 1723
Epoche
Barock

Gedicht-Analyse

Johann Christian Günther ist der Autor des Gedichtes „An die Frau von Breszlerin“. 1695 wurde Günther in Striegau geboren. Das Gedicht ist in der Zeit von 1711 bis 1723 entstanden. Eine Zuordnung des Gedichtes zur Epoche Barock kann aufgrund der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. der Lebensdaten des Autors vorgenommen werden. Der Schriftsteller Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.

Die Epoche des Barocks dauerte von etwa 1600 bis 1720 an. Das Wort „Barock“ leitet sich vom portugiesischen Wort „barocco“ ab und bedeutet so viel wie „seltsam geformte, schiefrunde Perle“. Das Leben der damaligen Zeit war geprägt vom Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) und der Pest. Die Menschen lebten in schwierigsten Verhältnissen. Adelige lebten jedoch einen pompösen Lebensstil, wohingegen das Volk in bitterer Armut lebte. Die Fürsten wollten immer mehr Einfluss auf Lebensstil und Erziehung gewinnen. Bauernaufstände und Unruhen führten jedoch zu einem Umdenken der Menschen und zu einem zunehmenden Selbstbewusstsein. Speziell Pest und Krieg im Barock zeigen auch ein prägendes Merkmal auf: der Gegensatz. Zum einen Armut, Elend und Tod, zum anderen Glanz, Prunk und Macht. So lebte die einfache Bevölkerung in bitterer Armut, während Adelige einen pompösen Lebensstil bevorzugten. Die am häufigsten genutzten Formen in der Poesie waren das Sonett, das Epigramm, die Elegie und die Ode. In der Literatur des Barocks begannen die Autoren ihre Werke in Deutsch zu verfassen. Die Autoren der Renaissance schrieben noch auf Lateinisch. Die bedeutenden Vertreter der Lyrik der Barockzeit sind Martin Opitz, Paul Fleming, Christian Hofmann von Hofmannswaldau, Andreas Gryphius, Johann Christian Günther, Simon Dach, Friedrich von Logau und Angelus Silesius.

Das vorliegende Gedicht umfasst 759 Wörter. Es baut sich aus 13 Strophen auf und besteht aus 130 Versen. Johann Christian Günther ist auch der Autor für Gedichte wie „Warum man mich in keiner Kirche sieht?“, „Kein Schulpferd ist so gut zum Springen abgericht“ und „Was man von galanten Kindern“. Zum Autor des Gedichtes „An die Frau von Breszlerin“ liegen auf unserem Portal abi-pur.de weitere 264 Gedichte vor.

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