An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms von Johann Christian Günther
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Mein Mitleid, glaub es mir, betrübte Leonore, |
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Weint gleichfalls insgeheim bey deinem Trauerflore, |
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Und da dein zärtlich Herz vor Angst und Wehmuth schlägt, |
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Wird auch mein treues Blut, ich weis nicht wie, bewegt. |
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Du grämst dich um dein Kind und hast auch Recht zum Grämen; |
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Es läst doch Fleisch und Blut sich nicht die Regung nehmen, |
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Und was von Herzen kommt, das muß zu Herzen gehn, |
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Wenn Kummer und Verlust aus seiner Flucht entstehn. |
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Dein Herz ist von Natur zu zärtlich im Empfinden, |
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Du kanst den schnellen Riß nicht allzubald verbinden. |
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Ein Tuch, ein Kleid, ein Ort bringt jezt mit großer Pein |
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Den Jammer deines Sohns oft ins Gedächtnüß ein. |
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Nun, weil du Mutter bist, so seze dich und weine, |
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Doch so, daß auch dein Schmerz nicht gar Verzweiflung scheine. |
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Verscharre deine Qual so wie den Sarg ins Grab |
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Und brich doch nicht so viel von deinen Kräften ab. |
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Du hast ja mehr Vernunft als andre deines gleichen, |
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Ach, las dir doch von ihr ein heilsam Pflaster reichen. |
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Du kennst, du siehst und weist den Grund im Christenthum, |
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Ach, sieh dich in der Schrift nach Ruh und Tröstung um! |
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Dein Carl ist wohlversorgt, was sollt er auf der Erden? |
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Je mehr man Jahre zehlt, je mehr der Sünden werden; |
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Er stirbt in Unschuld hin und läst die böse Welt, |
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Bevor ihr falscher Schein ihm Nez und Angel stellt. |
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Ach, wolltestu ihm wohl des Lebens Elend gönnen, |
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Wie leichtlich hätt er dich nicht mehr betrüben können, |
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Wenn irgend mit der Zeit die wohlgerathne Zucht, |
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Durch fremde Schuld verführt, dein Herz mit Angst verflucht. |
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Betrachte doch einmahl den Lauf von unsern Zeiten, |
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Wo Laster und Gefahr die Frömmigkeit bestreiten, |
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Wo Recht und Billigkeit nur Hohn und Haß erwirbt |
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Und wer es ehrlich meint in Noth und Staub verdirbt. |
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Je mehr das Alter wächst, je schwerer wird das Sorgen. |
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Auf eine stille Nacht, auf einen guten Morgen, |
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Folgt oft ein Jahr voll Qual, voll Unruh, voll Verdruß, |
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Sodaß man sich den Tod vergebens wüntschen muß. |
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Du sprichst: Ach wenn mein Kind nur nicht so viel gelidten, |
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Sein allzu großer Schmerz, der Bein und Marck durchschnidten, |
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Durchdringt mein Mutterherz so wie ein schneidend Schwerd |
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Und stört mich, wenn der Leib im Bette Ruh begehrt. |
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Schweig, Leonore, schweig, und las dich dies nicht plagen, |
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Der Herr legt nicht mehr auf als unsre Kräfte tragen; |
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Dein allerliebster Sohn ward durch den Kampf geübt, |
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Wovor ihm jezt der Sieg die reichste Crone giebt. |
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Ach, sollt er dir anjezt in seiner Pracht erscheinen, |
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Ich weis, du würdest selbst vor Lust und Freuden weinen, |
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Er spielt und jauchzt und singt im auserwehlten Chor |
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Und stellt in weißer Tracht den schönsten Engel vor. |
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Schweig, Leonore, schweig, und las ihm sein Ergözen, |
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Du bringst ihn nicht zurück und hast hier zu versezen |
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Und wirst auch künftighin noch manchmal freudig schaun, |
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Was die vor Seegen crönt, die Gott in Noth vertraun. |
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Ist auf der Welt ein Weib, an dem mir unter allen |
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Wiz, Tugend und Person im Herzen wohlgefallen, |
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So ist es, las mir hier ein frey Bekäntnüß zu, |
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Ein Bild von seltner Art und welche sonst als du! |
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Dies sag ich ohne List und ohne geiles Schmeicheln, |
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Mein Geist ist von Natur ein Feind von Brunst und Heucheln |
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Und will kein fremdes Schaaf und ehrt und liebet dich, |
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Der Herr mag Zeuge seyn, nur keusch und brüderlich! |
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Ich merck an dir und mir viel Gleichheit am Gemüthe, |
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Und darum bitt ich auch von Gottes Rath und Güte, |
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Daß, wo ich auf der Welt mich einst vermehlen soll, |
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So mach ein Weib wie du mir Bett und Armen voll. |
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Geh du auch selbst in dich und frage dein Gewißen, |
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Ich weis, es wird mir jezt ein Zeugnüß geben müßen, |
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Daß manch verborgner Trieb, man weis oft selbst nicht wie, |
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Zwo Seelen unverhoft geheim zusammenzieh. |
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Dies ist der stumme Bund, den niemand wehrt und hindert |
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Und deßen starcke Glut Gesez und Macht nicht mindert. |
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Dies ist der schönste Zug, der schon im Blute steckt |
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Und der sich allsobald durch Aug und Mund entdeckt. |
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Bekäm ich dermahleinst ein solches Kind zu küßen, |
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Wie zärtlich sollt es mir des Lebens Angst versüßen, |
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Wie zärtlich wollt ich nicht mit solchem Schaze thun |
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Und unter aller Last auf Glück und Rosen ruhn! |
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Indeßen wirstu mir dein ehrlich Angedencken |
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So gern als dir mein Wuntsch den reichsten Seegen schencken. |
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Die Freundschaft unter uns soll ohne Fleck und Schein |
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Und du von nun an mir die liebste Schwester seyn. |
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Wir wollen unter uns ein Seelenbündnüß machen, |
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Dein Leiden sey mein Leid, dein Scherzen sey mein Lachen. |
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Geht es dir stets nach Wuntsch und blüht dein zeitlich Heil, |
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So nehm ich stets daran mein höchst vergnügtes Theil. |
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Der Neid, so nichts verschont, soll nichts davon erfahren, |
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Der Himmel gebe dir von meinen Lebensjahren, |
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Er stürze deinen Feind, er seegne dein Geschlecht |
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Und hemme, was dein Herz mit Last und Unruh schwächt. |
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Das Glücke treibt mich jezt aus meinem Vaterlande |
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Und bringt mich wunderlich wer weis zu welchem Stande. |
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Drum sag ich: Gute Nacht, gedenck an einen Freund, |
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Der auf der Welt mit dir es wohl am besten meint. |
Details zum Gedicht „An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms“
Johann Christian Günther
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92
848
1695 - 1723
Barock
Gedicht-Analyse
Bei dem vorliegenden Text handelt es sich um das Gedicht „An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms“ des Autors Johann Christian Günther. Geboren wurde Günther im Jahr 1695 in Striegau. Das Gedicht ist in der Zeit von 1711 bis 1723 entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text der Epoche Barock zugeordnet werden. Der Schriftsteller Günther ist ein typischer Vertreter der genannten Epoche.
Als Barockliteratur wird in der deutschen Literaturgeschichte seit 1800 das schriftstellerische Schaffen in Europa im Zeitraum zwischen etwa 1600 und 1720 bezeichnet. Der Begriff „Barock“ stammt aus dem Portugiesischen und bedeutet so viel wie seltsam geformte, schiefrunde Perle. Mit dem Dreißigjährigen Krieg (1618-1648) erlebte das Deutsche Reich einen politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Verfall. Etwa ein Drittel der Bevölkerung verlor in dieser Zeit ihr Leben. Doch waren nicht etwa hohe Verluste im Krieg dafür verantwortlich, sondern das Wüten der Pest in nahezu allen großen und kleinen Städten des Landes. Krieg und Elend lösten in der Bevölkerung ein starkes Bewusstsein der eigenen Vergänglichkeit aus. Dagegen lebten die absolutistischen, alleinigen Herrscher in protzigen Luxus und ließen sich Schlösser voller Prunk errichten. Diese Gegensätze von Lebenslust und Todesangst bzw. Luxus und Armut spiegelten sich ebenfalls in der Literatur wider. In der Lyrik wird die Verwendung solcher inhaltlichen Gegensätze als Antithetik bezeichnet. Im Zeitalter des Barocks wurde das Lateinische von der deutschen Sprache abgelöst. Die Autoren gehörten in der Regel dem Gelehrtenstand an: Akademiker, Theologen, Adelige und Beamte. Berühmte Schriftsteller des Barocks sind etwa Andreas Gryphius, Martin Opitz, Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau, Daniel Caspar von Lohenstein und Hans Jakob Christoffel von Grimmelshausen.
Das 848 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 92 Versen mit nur einer Strophe. Die Gedichte „Rosen“, „So aber sucht man ihm die Wege vorzuschreiben“ und „Der Unruh wird noch mehr, wenn Wieg- und Nahmenfest“ sind weitere Werke des Autors Johann Christian Günther. Zum Autor des Gedichtes „An Leonoren bey Absterbung ihres Carl Wilhelms“ haben wir auf abi-pur.de weitere 264 Gedichte veröffentlicht.
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