Des fremden Kindes heiliger Christ von Friedrich Rückert
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Es läuft ein fremdes Kind |
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Am Abend vor Weihnachten |
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Durch eine Stadt geschwind, |
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Die Lichter zu betrachten, |
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Die angezündet sind. |
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Es steht vor jedem Haus |
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Und sieht die hellen Räume, |
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Die drinnen schaun heraus, |
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Die lampenvollen Bäume; |
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Weh wird’s ihm überaus. |
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Das Kindlein weint und spricht: |
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„Ein jedes Kind hat heute |
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Ein Bäumchen und ein Licht, |
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Und hat daran seine Freude, |
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Nur blos ich armes nicht! |
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An der Geschwister Hand, |
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Als ich daheim gesessen, |
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Hat es mir auch gebrannt; |
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Doch hier bin ich vergessen |
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In diesem fremden Land. |
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Läßt mich denn Niemand ein |
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Und gönnt mir auch ein Fleckchen? |
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In all’ den Häuserreih’n, |
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Ist denn für mich kein Eckchen, |
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Und wär’ es noch so klein? |
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Läßt mich denn niemand ein? |
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Ich will ja selbst Nichts haben, |
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Ich will ja nur am Schein |
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Der fremden Weihnachtsgaben |
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Mich laben ganz allein!“ |
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Es klopft an Thür und Thor, |
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An Fenster und an Laden, |
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Doch Niemand tritt hervor, |
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Das Kindlein einzuladen; |
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Sie haben drin’ kein Ohr. |
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Ein jeder Vater lenkt |
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Den Sinn auf seine Kinder; |
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Die Mutter sie beschenkt, |
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Denkt sonst nichts mehr noch minder. |
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An's Kindlein niemand denkt. |
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„O lieber, heil’ger Christ! |
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Nicht Mutter und nicht Vater |
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Hab ich, wenn du’s nicht bist. |
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O, sei du mein Berather, |
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Weil man mich hier vergißt!“ |
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Das Kindlein reibt die Hand, |
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Sie ist von Frost erstarret; |
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Es kriecht in sein Gewand |
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Und in dem Gäßlein harret, |
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Den Blick hinaus gewandt. |
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Da kommt mit einem Licht |
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Durch's Gäßlein hergewallet, |
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Im weißen Kleide schlicht, |
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Ein ander Kind; - wie schallet |
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Es lieblich, da es spricht: |
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„Ich bin der heil’ge Christ, |
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War auch ein Kind vordessen, |
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Wie du ein Kindlein bist. |
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Ich will dich nicht vergessen, |
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Wenn alles dich vergißt; |
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Ich bin mit meinem Wort |
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Bei Allen gleichermaßen; |
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Ich biete meinen Hort |
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So gut hier auf den Straßen, |
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Wie in den Zimmern dort. |
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Ich will dir deinen Baum, |
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Fremd Kind, hier lassen schimmern |
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Auf diesem offnen Raum, |
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So schön, daß die in Zimmern |
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So schön sein sollen kaum.“ |
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Da deutet mit der Hand |
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Christkindlein auf zum Himmel, |
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Und droben leuchtend stand |
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Ein Baum voll Sterngewimmel |
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Vielästig ausgespannt. |
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So fern und doch so nah, |
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Wie funkelten die Kerzen! |
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Wie ward dem Kindlein da, |
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Dem fremden, still zu Herzen, |
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Das seinen Christbaum sah! |
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Es ward ihm wie im Traum; |
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Da langten hergebogen |
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Englein herab vom Baum |
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Zum Kindlein, das sie zogen |
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Hinauf zum lichten Raum. |
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Das fremde Kindlein ist |
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Zur Heimat nun gekehret, |
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Bei seinem heil’gen Christ; |
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Und was hier wird bescheeret, |
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Es dorten leicht vergißt. |
Details zum Gedicht „Des fremden Kindes heiliger Christ“
Friedrich Rückert
1
90
421
1841
Biedermeier,
Junges Deutschland & Vormärz
Gedicht-Analyse
Das vorliegende Gedicht „Des fremden Kindes heiliger Christ“ wurde von Friedrich Rückert geschrieben, ein deutscher Dichter des 19. Jahrhunderts. Das Gedicht wurde vermutlich irgendwann in der Mitte des 19. Jahrhunderts verfasst, eine genaue zeitliche Einordnung ist allerdings aufgrund fehlender Daten schwierig.
Beim ersten Lesen des Gedichts erzeugt es einen melancholischen Eindruck und thematisiert die Einsamkeit und Isolation des fremden Kindes während der Weihnachtszeit.
„Des fremden Kindes heiliger Christ“ erzählt die herzzerreißende Geschichte eines fremden Kindes, das allein in einer Stadt am Vorabend von Weihnachten unterwegs ist und zusehen muss, wie andere Kinder Freude an ihren Weihnachtsgeschenken haben. Das Kind fühlt sich isoliert und vergessen und bittet schließlich den heiligen Christus, ihm beizustehen. Schließlich erscheint ein anderes Kind, das sich als der heilige Christus vorstellt und dem Kind einen eigenen leuchtenden Weihnachtsbaum im Himmel zeigt. Am Ende wird das fremde Kind von Engeln in den Himmel gezogen, wo es seine himmlische Heimat findet.
Die Worte, die das lyrische Ich in diesem Gedicht aufbringt, demonstrieren tiefe Sehnsucht und Verletzlichkeit. Diese Gefühle sind besonders stark in den Zeilen zu spüren, in denen das fremde Kind über das Vergessenwerden spricht.
Das Gedicht besteht aus 90 Versen, die in einer regelmäßigen Reimstruktur angeordnet sind. Rückerts Sprache ist einfach und klar, aber gleichzeitig auch sehr poetisch und bildhaft. Er verwendet viele bildhafte Vergleiche und Metaphern, um die Emotionen des fremden Kindes und die magischen Elemente des Gedichts zu beschreiben.
Insgesamt zeigt dieses Gedicht ein sehr bewegendes Bild von Einsamkeit und Verzweiflung, aber auch von Hoffnung und göttlicher Liebe. Es ist eine tiefgründige und emotionale Reflexion über Weihnachten, Mitgefühl und spirituelle Wiedergeburt.
Weitere Informationen
Der Autor des Gedichtes „Des fremden Kindes heiliger Christ“ ist Friedrich Rückert. Im Jahr 1788 wurde Rückert in Schweinfurt geboren. Die Entstehungszeit des Gedichtes geht auf das Jahr 1841 zurück. Erschienen ist der Text in Frankfurt am Main. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her lässt sich das Gedicht den Epochen Biedermeier oder Junges Deutschland & Vormärz zuordnen. Prüfe bitte vor Verwendung die Angaben zur Epoche auf Richtigkeit. Die Zuordnung der Epochen ist auf zeitlicher Ebene geschehen. Da sich Literaturepochen zeitlich überschneiden, ist eine reine zeitliche Zuordnung häufig mit Fehlern behaftet. Das 421 Wörter umfassende Gedicht besteht aus 90 Versen mit nur einer Strophe. Die Gedichte „Vermeiden sollen sich, die nicht zusammenpassen“, „Schlaf ein, mein Herz“ und „Die Wahrheit ist im Wein“ sind weitere Werke des Autors Friedrich Rückert. Zum Autor des Gedichtes „Des fremden Kindes heiliger Christ“ haben wir auf abi-pur.de weitere 102 Gedichte veröffentlicht.
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