Bei der Frohnleichnams-Prozession von Luise Hensel

So laß mich denn mit Dir, mein Jesus, gehen!
Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.
Nie will ich mehr nach Erdenfreuden spähen;
Auf Dich, o einzig Gut, nur will ich sehen:
Mit Dir vereint, was geht die Welt mich an?
 
Er ist so gut - o, wer kann sie erfassen,
Die Huld, mit der Gott Seine Menschen liebt!
Sie hatten Ihn vergessen und verlassen,
Sie wollten gar die treue Hand noch hassen,
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Die alles Gute väterlich uns giebt.
 
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Doch lange konnt' Er solches Leid nicht sehen,
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Sein ewig Herz that ganz in Lieb' erglühn;
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Er wollte selbst als Mensch mit ihnen gehen,
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Sie durch Sein Lehren, Wirken, Leiden, Flehen
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Zurück in Seine Vaterarme ziehn.
 
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Er kam herab, der ew'ge Gottessegen,
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Und tauscht' um Schmach und Pein des Vaters Thron,
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Und hat der Jungfrau in dem Schooß gelegen,
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Und ging mit uns durch Glut und Sturm und Regen
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Gleich einem armen schuld'gen Menschensohn.
 
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Und als die letzte Nacht herangekommen,
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Rief Er noch Seine Jünger um Sich her;
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Da hat so zärtlich Abschied Er genommen,
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In Wehmuth war Sein göttlich Herz beklommen.
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O, wer hat je geliebt wie Er, wie Er!
 
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Und eh' Er Seine Arme ausgebreitet
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Am Kreuz, die Menschen all' an Sich zu ziehn,
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Hat Er uns noch dies sel'ge Mahl bereitet,
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Das bis zum letzten Tag uns nun begleitet.
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O, betet an in heil'ger Liebe Glühn!
 
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Unendlich Lieben, unnennbares Lieben:
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Gott giebt Sich selbst als Speis' in unsern Mund!
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Was kann uns noch erfreun, was noch betrüben?
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Du bist bei uns, geliebter Gott! geblieben;
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Dies Brod bezeugt uns ja den sel'gen Bund.
 
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So will ich treu mit Dir, mein Jesus! gehen;
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Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.
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Nicht will ich mehr nach Erdenblumen spähen,
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Auf Dich, o einzig Gut! nur will ich sehen,
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Mit Dir vereint geht keine Welt mich an.
 
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Und jeder Pulsschlag bringt mich Dir nun näher,
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Und jeder Athem seufzt nach Dir, o Gott!
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Und Liebe trägt mein Herz nun hoch und höher,
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Und täglich fragt mein banges Sehnen weher:
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Wann bringst du mich zu Ihm, o lieber Tod?
 
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Ich kann nicht lieben mehr, ich kann nicht leben,
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In Ihm ist all mein Lieben, all mein Sein.
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Längst hat sich Ihm mein volles Herz ergeben,
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Drum möcht' ich ganz zu Ihm, in Ihm verschweben,
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O, meine Liebe! O mein einzig Mein!
 
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Und bis sie schlägt, die wonnevolle Stunde,
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Die mich erlöst aus der Verbannung Qual,
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Will ich mich freun an Deinem sel'gen Bunde,
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Will grüßen Dich mit loberfülltem Munde;
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Du mein, ich Dein in süßer Liebeswahl.
 
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Es giebt so manch Geschwätz in diesem Leben
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Und täglich Neues will der Menschen Sinn;
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Ich will nur Eins: Dir will ich mich ergeben,
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Ich weiß nur Eins: nach Dir, Herr! muß ich streben,
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Bis ich in Deinem Anschaun selig bin.
 
61 
Ja, laß mich treu mit Dir, mein Jesus! gehen;
62 
Gehst Du voran, ist eben jede Bahn.
63 
Nicht will ich mehr auf andre Freuden sehen,
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Dich einzig suchen, grüßen, loben, flehen
65 
O zieh mich an, zieh mich allmächtig an!
 
66 
Laß mich verrinnen, laß mich ganz versinken
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In Dir, Du Quell der ganzen Seligkeit!
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Aus Deinem Herzen laß mich Leben trinken,
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Da wird mir Liebe, wird mir Ruhe winken,
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Da bin ich Dein in sel'ger Ewigkeit.
 
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O selig, der dem Kindlein sich verbunden,
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In niedrer Krippe seinen Gott erkennt!
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O selig, der da ruht in Seinen Wunden!
74 
Doch dreimal selig, der den Herrn gefunden
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Im wundersüßen heil'gen Sacrament!
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (30.7 KB)

Details zum Gedicht „Bei der Frohnleichnams-Prozession“

Autor
Luise Hensel
Anzahl Strophen
15
Anzahl Verse
75
Anzahl Wörter
569
Entstehungsjahr
1820
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das vorliegende Gedicht mit dem Titel „Bei der Frohnleichnams-Prozession“ stammt von der Dichterin Luise Hensel, die von 1798 bis 1876 gelebt hat. Somit lässt sich das Werk zeitlich der Epoche des Biedermeiers bzw. der Romantik zuordnen.

Das Gedicht macht auf den ersten Eindruck eine sehr ernsthafte und religiöse Wirkung, geprägt von tiefer Ergebenheit und Liebe zu Gott und Jesus. Mit seinen zahlreichen Strophen und Versen zeugt es zudem von umfassender Komplexität.

Im Inhalt des Gedichts geht es um das religiöse, tiefgehende Verhältnis des lyrischen Ichs zu Jesus und Gott. Es drückt seine Hingabe, Verehrung und bedingungslose Liebe aus. Das lyrische Ich möchte seinen Lebenweg gemeinsam mit Jesus gehen und sich von den weltlichen Freuden abwenden. Es betont immer wieder die Großzügigkeit und Hingabe Gottes und seine unendliche Liebe und Gnade gegenüber den Menschen. Das Gedicht illustriert unter anderem auch die Geburt Jesu und sein Wirken als Mensch auf der Erde, seine Passion und sein letztendliches Opfer am Kreuz. Es wird wiederholt darauf hingewiesen, wie Gott sich den Menschen als Speise in Form der Hostie bei der Kommunion darbietet.

In der Form ist das Gedicht sehr umfangreich gehalten und besteht aus 15 Fünfvers-Strophen. Die regelmäßige Abrundung jeder Strophe mit fünf Versen sorgt für eine gesamthaft harmonische Struktur.

Sprachlich zeichnet sich das Gedicht durch seine einfühlsame, leidenschaftliche und ausdrucksstarke Sprache aus. Durch die klare und gefühlvolle Artikulation des lyrischen Ichs und die verwendeten Metaphern und Bilder, wird eine sehr enge, innige und vertraute Beziehung zu Jesus und Gott zum Ausdruck gebracht. Es findet sich auch eine Reihe von direkten Anreden, die das Gefühl der unmittelbaren persönlichen Kommunikation mit dem Göttlichen verstärken.

Zusammenfassend kann man sagen, dass das Gedicht „Bei der Frohnleichnams-Prozession“ von Luise Hensel ein intensives Beispiel der romantisch-christlichen Lyrik ist. Es beschäftigt sich mit Themen von Glauben, Liebe und Hingabe an Gott. Es zeugt von der tiefen Spiritualität der Autorin und ihrer Fähigkeit, diese Gefühle in poetischer Form auszudrücken.

Weitere Informationen

Das Gedicht „Bei der Frohnleichnams-Prozession“ stammt aus der Feder der Autorin bzw. Lyrikerin Luise Hensel. Hensel wurde im Jahr 1798 in Linum geboren. 1820 ist das Gedicht entstanden. Von der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten der Autorin her lässt sich das Gedicht den Epochen Klassik, Romantik oder Biedermeier zuordnen. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das Gedicht besteht aus 75 Versen mit insgesamt 15 Strophen und umfasst dabei 569 Worte. Weitere bekannte Gedichte der Autorin Luise Hensel sind „Schau himmelan, schau himmelan“, „Und Gottes Friede sei mit dir“ und „Wohl gleicht das Leben einem Kranz“. Auf abi-pur.de liegen zur Autorin des Gedichtes „Bei der Frohnleichnams-Prozession“ weitere 255 Gedichte vor.

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