Sestine von Friedrich Rückert
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Wenn durch die Lüfte wirbelnd treibt der Schnee, |
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Und lauten Fußtritts durch die Flur der Frost |
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Einhergeht auf der Spiegelbahn von Eis; |
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Dann ist es schön , geschirmt vom Wintersturm, |
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Und unvertrieben von der holden Glut |
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Des eignen Herde, zu sitzen still daheim. |
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O dürft' ich sitzen jetzt bei der daheim, |
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Die nicht zu neiden braucht den reinen Schnee, |
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Die mit der sonn'gen Augen sanfter Glut |
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Selbst Funken weiß zu locken aus dem Frost! |
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Beschwören sollte sie in mir den Sturm, |
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Und tauen sollte meines Busens Eis. |
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Erst muß am Blick des Frühlinges das Eis |
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Des Winters schmelzen, und nach Norden heim, |
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Verscheucht vom Lenzhauch, ziehn der laute Sturm; |
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Eh' ich darf ziehn dorthin, wo ich den Schnee |
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Der Hand will küssen, den, weil Winterfrost |
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Ihn nicht erschuf, nicht tötet Sommerglut. |
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Die Sehnsucht brennt in mir wie Sommerglut, |
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Aufzehrend innerlich wie mürbes Eis |
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Mein Herz, inmitten von des Winters Frost; |
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Und rastlos stäuben die Gedanken heim |
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Nach ihrem Ziel, sich kreuzend wie der Schnee, |
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Den flockend durcheinander treibt der Sturm. |
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O daß mich fassend zu ihr trüg' ein Sturm, |
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Damit gestillet würde meine Glut! |
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Und dürft' ich als ein Flöckchen auch von Schnee |
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Nur, oder als ein Nädelchen von Eis |
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Das Dach berühren, wo sie ist daheim; |
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Nicht fühlen wollt' ich da des Winters Frost. |
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Wer fühlet, wo der Frühling atmet, Frost? |
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Wen schrecket, wo die Liebe sonnet, Sturm? |
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Wer kennet Ungemach, wo sie daheim? |
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Sie, die mir zuhaucht sanfte Lebensglut |
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So fern her über manch' Gefild von Eis |
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Und manch' Gebirg, bedeckt von rauhem Schnee. |
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Mit Blütenschnee schmückt sich der kahle Frost, |
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Das Eis wird Lichtkristall und Wohllaut Sturm, |
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Wo ich voll Glut zu dir mich denke heim. |
Details zum Gedicht „Sestine“
Friedrich Rückert
7
39
278
1788 - 1866
Klassik,
Romantik,
Biedermeier
Gedicht-Analyse
Das präsentierte Gedicht trägt den Titel „Sestine“ und stammt vom deutschen Lyriker Friedrich Rückert, welcher von 1788 bis 1866 lebte. Damit lässt sich das Gedicht zeitlich in die Epoche des Biedermeier einordnen.
Auf den ersten Blick fällt auf, dass das Gedicht sich durch einen klaren Bezug zur Natur und einer stark emotionalen, sehnsüchtigen Grundstimmung charakterisiert. Die wiederkehrenden Naturelemente wie Schnee, Eis und Frost, sowie der häusliche Schutz vor diesen Elementen, dienen als Symbolik für emotionale Zustände.
Inhaltlich handelt das Gedicht von der Sehnsucht des lyrischen Ichs, bei einer geliebten Person zu sein. Die Winterlandschaft mit ihrer Kälte und Unbarmherzigkeit steht dabei metaphorisch für die gegenwärtige Distanz und Trennung, während das Zuhause und die Glut des Herdes als Metaphern für die Nähe und Wärme einer gemeinsamen Heimat dienen. Inmitten von Frost und Kälte entbrennt eine innere Glut, eine Sehnsucht nach der Geliebten. Das lyrische Ich drückt die Hoffnung aus, dass der Winter weicht und die Distanz überwunden werden kann.
Die Form der Sestine, eine strenge Versform, verleiht dem Gedicht eine ritualisierte, fast liturgische Struktur, die zu der tiefschürfenden Emotionalität des Inhalts passt. Rückert nutzt eine erhabene, bildhafte Sprache, die durch ihre klangliche Schönheit besticht und die Schönheit der Natur und der Gefühle spiegelt. Besonders hervorstechend sind die wiederkehrenden Verweise auf verschiedene Elemente der Natur und des Hauses als Metaphern für verschiedene Stimmungen und Zustände.
Insgesamt ist Friedrich Rückerts „Sestine“ ein kraftvoller Ausdruck der Sehnsucht nach Nähe und Wärme und einem Zuhause, personifiziert in der geliebten Person. Die suggestive Kraft seiner Sprache und die symbolische Tiefe seiner Metaphern lassen das Gedicht zu einem intensiven Leseerlebnis werden.
Weitere Informationen
Das Gedicht „Sestine“ stammt aus der Feder des Autors bzw. Lyrikers Friedrich Rückert. 1788 wurde Rückert in Schweinfurt geboren. Im Zeitraum zwischen 1804 und 1866 ist das Gedicht entstanden. Anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her kann der Text den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zugeordnet werden. Die Richtigkeit der Epochen sollte vor Verwendung geprüft werden. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Da es keine starren zeitlichen Grenzen bei der Epochenbestimmung gibt, können hierbei Fehler entstehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 278 Wörter. Es baut sich aus 7 Strophen auf und besteht aus 39 Versen. Weitere bekannte Gedichte des Autors Friedrich Rückert sind „Herbstblumen“, „Kleines Frauenlob“ und „Wintersonne“. Zum Autor des Gedichtes „Sestine“ haben wir auf abi-pur.de weitere 102 Gedichte veröffentlicht.
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