Abendlied von Friedrich Rückert

Ich stand auf Berges Halde,
Als heim die Sonne ging,
Und sah, wie überm Walde
Des Abends Goldnetz hing.
 
Des Himmels Wolken tauten
Der Erde Frieden zu,
Bei Abendglockenlauten
Ging die Natur zur Ruh.
 
Ich sprach: o Herz, empfinde
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Der Schöpfung Stille nun
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Und schick' mit jedem Kinde
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Der Flur dich auch, zu ruhn.
 
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Die Blumen alle schließen
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Die Augen allgemach,
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Und alle Wellen fließen
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Besänftiget im Bach.
 
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Nun hat der müde Sylphe
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Sich unters Blatt gesetzt,
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Und die Libell' am Schilfe
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Entschlummert taubenetzt.
 
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Es ward dem goldnen Käfer
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Zur Wieg' ein Rosenblatt;
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Die Herde mit dem Schäfer
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Sucht ihre Lagerstatt.
 
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Die Lerche sucht aus Lüften
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Ihr feuchtes Nest im Klee,
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Und in des Waldes Schlüften
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Ihr Lager Hirsch und Reh.
 
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Wer sein ein Hüttchen nennet,
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Ruht nun darin sich aus;
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Und wen die Fremde trennet,
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Den trägt ein Traum nach Haus.
 
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Mich fasset ein Verlangen,
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Daß ich zu dieser Frist
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Hinauf nicht kann gelangen,
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Wo meine Heimat ist.
Arbeitsblatt zum Gedicht
PDF (26.2 KB)

Details zum Gedicht „Abendlied“

Anzahl Strophen
9
Anzahl Verse
36
Anzahl Wörter
159
Entstehungsjahr
1788 - 1866
Epoche
Klassik,
Romantik,
Biedermeier

Gedicht-Analyse

Das Gedicht „Abendlied“ wurde von Friedrich Rückert verfasst, einem deutschen Dichter und Übersetzer der Romantik, der von 1788 bis 1866 lebte. Das Gedicht ist daher zeitlich in die Epoche der Romantik des 19. Jahrhunderts einzuordnen.

Beim ersten Eindruck erzeugt das Gedicht eine ruhige und friedliche Atmosphäre. Die Wahl der Bildsprache und die Emotionalität, die das Gedicht ausstrahlt, sind typische Merkmale für die romantische Dichtung.

Das lyrische Ich beschreibt in diesem Gedicht einen Abend, an dem es auf einem Berg steht und den Sonnenuntergang beobachtet. Es nimmt die sich verändernde Natur wahr: Die Sterne am Himmel, das Goldnetz des Abends, die Wolken, die die Erde mit Frieden überziehen, und das Läuten der Abendglocken, das die Natur zur Ruhe bringt. Das lyrische Ich reflektiert über diese Szene und ruft sein Herz auf, die Stille der Schöpfung zu empfinden und sich zur Ruhe zu begeben. Es stellt Vergleiche an, wie die Blumen, die ihre Augen schließen, die Wellen, die im Bach ruhiger werden, und die Tiere, die sich zur Ruhe begeben.

Die Form und Sprache des Gedichts sind fest und rhythmisch, geprägt von einem gleichmäßigen Versmaß und einem einfachen Reimschema (Kreuzreim). Es ist in neun Strophen unterteilt, jede mit vier Versen. Die Sprache ist einfühlsam und bildhaft und erzeugt eine Stimmung der Ruhe und Besinnlichkeit.

Das Gedicht spiegelt einerseits die tiefe Verbundenheit des lyrischen Ichs mit der Natur und dessen Einfühlungsvermögen in die natürlichen Rhythmen des Tages wider. Andererseits zeigt es auch eine Sehnsucht nach Heimat und einem Ort, wo es hingehört, wie in der letzten Strophe zum Ausdruck gebracht wird. Es ist ein stille Aufforderung an die Leser, sich der eigenen Innerlichkeit und ihrer Verbindung zur Natur bewusst zu werden. Es betont die Wichtigkeit des Innehaltens und des Sich-Zur-Ruhe-Bringens in einer immer schneller und chaotischer werdenden Welt.

Weitere Informationen

Der Autor des Gedichtes „Abendlied“ ist Friedrich Rückert. Rückert wurde im Jahr 1788 in Schweinfurt geboren. Im Zeitraum zwischen 1804 und 1866 ist das Gedicht entstanden. Das Gedicht lässt sich anhand der Entstehungszeit des Gedichtes bzw. von den Lebensdaten des Autors her den Epochen Klassik, Romantik, Biedermeier, Junges Deutschland & Vormärz oder Realismus zuordnen. Bitte überprüfe unbedingt die Richtigkeit der Angaben zur Epoche bei Verwendung. Die Zuordnung der Epochen ist ausschließlich auf zeitlicher Ebene geschehen. Das vorliegende Gedicht umfasst 159 Wörter. Es baut sich aus 9 Strophen auf und besteht aus 36 Versen. Weitere Werke des Dichters Friedrich Rückert sind „Wintersonne“, „31. Makame des Hariri“ und „Amaryllis“. Auf abi-pur.de liegen zum Autor des Gedichtes „Abendlied“ weitere 102 Gedichte vor.

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