Gottfried Benn: Leben - niederer Wahn
Leben - niederer Wahn!
Traum für Knaben und Knechte,
Doch du von altem Geschlecht,
Rasse am ende der Bahn,
was erwartest du hier?
immer noch eine Berauschung,
eine Stundenvertauschung
Von Welt und dir?
Suchst du noch Frau und Mann?
ward dir nicht alles bereitet
und die Zerstörung dann?
Form nur ist Glaube und Tat,
die erst von Händen berührten,
doch dann den Händen entführten
Statuen bergen die Saat.
„Leben niederer Wahn“ kann man in drei Teile einteilen: die erste Strophe mit der Sehnsucht nach Glück. Die zweite und dritte Strophe mit pessimistischer Haltung im Bezug auf die Zukunft und Vorahnung auf Krieg. Die vierte Strophe mit Optimismus und Darstellung des Weges zum Übermenschen, der von Zwängen befreienden und Erneuerung bringende Revolution. Es handelt von der Sehnsucht nach Glück des einfachen Volkes, was sich im Ausdruck: „Traum für Knaben und Knechte“ zeigt. Doch die in Selbstzufriedenheit gefangene Gesellschaft erkennt die herannahende Katastrophe nicht. Es wird kritisch auf die Zukunft aufmerksam gemacht: „und die Zerstörung dann?“.
Die letzen Strophe weist, wie schon erwähnt, den Weg zu Erneuerung und Wiedergeburt. Die Formzwänge haben nur Bestand, wenn die Menschen daran glauben und danach handeln: „Form nur ist Glaube und Tat“, doch wer sich mit diesem Problem auseinandersetzt, es begreift: „die erst von Hände berührten“ und sich dann von diesem distanziert: „doch den Händen entführten“ kann den Umschwung schaffen. Alles was dann noch an die Imperialisten erinnert sind Statuen, die die Saat des Autoritären, Imperialistischen bergen.
Das Werk ist aus vier Strophen mit jeweils vier Zeilen zusammengesetzt, die alle das Reimschema abba verwenden. Intensität und Radikalität werden durch den telegrammartig kurzen Satzbau erreicht, der Verfremdungseffekt regt zum Nachdenken über die Chiffren und Wortkombinationen an.