Benn, Gottfried - Reisen (Gedichtinterpretation)

Schlagwörter:
Gottfried Benn, Analyse, Interpretation, Gedichtanalyse, Referat, Hausaufgabe, Benn, Gottfried - Reisen (Gedichtinterpretation)
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Referat

Interpretation Gedicht „Reisen“ von Gottfried Benn

Reisen
von Gottfried Benn

Meinen Sie Zürich zum Beispiel
sei eine tiefere Stadt,
wo man Wunder und Weihen
immer als Inhalt hat?
 
Meinen Sie, aus Habana,
weiß und hibiskusrot,
bräche ein ewiges Manna
für Ihre Wüstennot?
 
Bahnhofstraßen und Rueen,
10 
Boulevards, Lidos, Laan –
11 
selbst auf den Fifth Avenueen
12 
fällt Sie die Leere an –
 
13 
ach, vergeblich das Fahren!
14 
Spät erst erfahren Sie sich:
15 
bleiben und stille bewahren
16 
das sich umgrenzende Ich.

(„Reisen“ von Gottfried Benn ist auch in unserer Gedichtedatenbank zu finden. Dort findest Du auch weitere Gedichte des Autoren.)

Das Gedicht „Reisen“ von Gottfried Benn, erschienen im Jahr 1950, handelt zunächst von dem Reisen in verschiedenste Städte und deren Besonderheiten. Weitergehend wird die Ich-Findung thematisiert, die laut der Aussage des Lyrischen-Ichs, nicht auf den Reisen zu finden ist. Das Werk entstammt der Epoche der Nachkriegszeit.

Das Gedicht beginnt mit einer Frage an den Rezipienten, welche Zürich, mit den überwiegenden christlichen Attributen, als Beispiel einer tiefen Stadt beschreibt. Dann wird Habana und die farbvollen Gebilde beschrieben. Daraufhin werden verschiedene Straßenarten benannt und anhand dessen die Leere, welche das Lyrische-Ich beim Bereisen dieser Orte fühlt. Zu Schluss stellt sich heraus, dass das Reisen nicht bei der Suche nach einem selbst hilft, sondern nur im Alter die Ich-Findung erfolgt.

Somit ist das Thema die Ich-Findung vor allem die vergebliche Suche nach sich selbst in den Reisen, welche man unternimmt. Übertragend versucht der Autor den Sinn des Lebens aufzudecken, indem er an jegliche Orte auf der Welt reist, doch zum Schluss stellt sich heraus, dass man keine langen Ausflüge in weit entfernte Städte braucht, um sich Selbst zu finden, sondern das Alter und das Abwarten, zu den Weisheiten führt, welche man sucht.

Die Stimmung ist durch die Fragen in den ersten beiden Strophen, sehr lehrhaft und will den Leser zum Nachdenken anregen. Durch die direkte Anrede des Rezipienten wird eine aggressive, aber auch lehrhafte, schon fast oberlehrerhafte Stimmung erzeugt. Dies führt zu einer Aufgewecktheit beim Leser und erlangt dessen volle Aufmerksamkeit.

Nun komme ich zu der Form des Gedichtes. Der Inhalt ist pointiert auf vier Strophen mit jeweils vier Versen. Es lässt sich kein eindeutiges Metrum erschließen. Das Reimschema ist ein überwiegender Kreuzreim, welcher in den Strophen zwei, drei und vier zu finden ist. Die erste Strophe hat nur einen Reim auf dem zweiten und vierten Vers. Somit lässt sich das Reimschema mit 0a0a, bcbc, dede, fgfg benennen. Dies verleiht dem Werk eine angenehme Rhythmik, welche sehr einprägsam auf den Rezipienten wirkt.

Jetzt komme ich strophenweise zu den stilistischen Besonderheiten in Gottfried Benns Werk. Die erste Strophe beginnt mit einer rhetorischen Fragestellung, welche mit der Anrede „Meinen Sie“ (V. 1) den Leser direkt anspricht und zum Nachdenken anregt. Dieser Aufruf wird im ersten Vers der zweiten Strophe nochmals wiederholt und führt zu einer Anapher „Meinen Sie“ (V. 1, V. 5), welche das Selbstbewusstsein des Autors widerspiegelt und die Glaubwürdigkeit der Aussage bestätigen soll. Die darauffolgende hyperbolische Beschreibung der Stadt Zürich als „tiefere Stadt“ (V. 2) im Konjunktiv, welcher mit dem Wort „sei“ (V. 2) eingeleitet wird, soll den Leser zur eigenen Lösungsfindung anregen. Doch weist das Adjektiv „tiefe“ (V. 2) schon auf die Richtung hin, was der Autor über die Ich-Findung sagen will, nämlich der Hinweis auf die „Tiefe“ (vgl. V. 2). Dafür steht die „tiefe“ (V. 2) für das Innere des Menschen, in dem wir uns Selbst finden würden. Als Nächstes zählt Benn einige religiöse Eigenschaften der Stadt Zürich, mit dem Parallelismus „wo man Wunder und Weihen“ (V. 3), auf. Dies bestärkt die Besonderheit dieser Stadt nochmals und hebt vor allem den religiösen Sinn des Textes hervor. Diese vor allem in der christlichen Religion vorhandene Symbole werden nochmals mit der Hyperbel „immer“ (V. 4) bekräftigt, welche einerseits eine auffällige Häufigkeit des Stilmittels Hyperbel bezeugt, aber auch dem Inhalt einen Rhythmus gibt, welcher in das Thema des Reisens hineinführt. Die zweite Strophe beginnt, wie zuvor erwähnt, mit derselben anaphorischen Anrede „Meinen Sie“ (V. 5), welche nun die Beschreibung der Stadt „Habana“ (V. 5) einleitet. Diese würden wir heutzutage „Havanna“ nennen, denn es geht um die Hauptstadt Kubas. In dem darauffolgenden Vers werden die Farbsymbole „weiß und hibiskusrot“ (V. 9) aufgezählt. Die Farbe „weiß“ (V. 9) steht vor allem für Unschuld und Frieden. Wobei man meinen könnte, die innere Ruhe und seelische Zufriedenheit in der Farbe Weiß und somit auch in der Stadt Havanna finden zu können. Doch dies wird direkt mit dem neologistischen Pleonasmus der Farbe „hibiskusrot“ (V. 9), entkräftet. Die Blume Hibiskus tritt häufig in der Farbe Rot auf, somit ist „hibiskusrot“ ein Pleonasmus, welcher vor allem auf Gefahr deutet, da Rot ein oft verwendetes Warnsymbol ist. Hier will der Autor das Weiß mit dem Rot im Kontrast beschreiben und nicht nur die Vielfalt der Stadt zeigen, sondern auch auf die Gefahr, sich selbst zu verlieren, hindeuten. Auch in dieser Strophe finden wir den Konjunktiv mit „bräche“ (V. 7) wieder, der auch hier zeigt, dass der Leser Entscheidungsspielraum hat. Das hyperbolische Symbol „ewiges Manna“ (V. 10) steht im Bezug zur Religion der Christen. Es steht für das Brot, was die Israeliten im Alten Testament der Bibel in der Mose Geschichte des „Auszugs aus Ägypten“ mit auf den Weg genommen haben. Dies steht als Metapher für die Sicherheit, welche jedoch im Kontrast zum nächsten Vers steht. Denn im achten Vers wird die „Wüstennot“ (V. 8) thematisiert. Dieser Neologismuss, der sich aus den Begriffen „Wüste“ und „Not“ zusammensetzt, deutet metaphorisch auf Gefahr und Not hin. Dabei zeigt die davor stehende Anrede „Ihr“ (V. 8), die durch die Schreibweise auf eine Höflichkeitsform hinweist, welche man auch aus Briefen zur der damaligen Zeit kannte, dass es um die Wertschätzung des Rezipienten geht. In der vorletzten Strophe erkennen wir direkt eine Aufzählung von verschiedenen Straßenarten „Bahnhofsstraßen und Rueen, / Boulevards, Lidos, Laan“ (V. 9f.). Diese sind durch die Verschiebung des „und['s]“ (V. 9) eine Inversion von Metaphern, welche als pas pro toto für die ganze Welt steht. Im übertragenen Sinne, stehen sie auch für alles Äußere, was man bereisen und erleben kann. Es ist dort auch ein gewisser Klimax zu finden, in dem auch „Fifth Avenueen“ (V. 11) mit eingebunden ist. Somit steigert sich die Größe und das Ansehen der Straße von einer einfachen „Bahnhofsstraße“ (V. 9), bis zur weit bekannten „Fifth Avenuee“ (V. 11). Die „Leere“ (V. 12) steht für die innere Leere, welche die vielen Menschen auf diesen Straßen erleben. Dies ist fast schon eine Antithese, da die Straße der „Fifth Avenueen“ (V. 11) nie leer ist, doch hier wird sie als „Leere“ (V. 12) beschrieben. Das Satzzeichen „-" (V. 10, 12) weist auf einen neuen Absatz hin. Es entschleunigt den Text und gibt dem Rezipienten die Chance, sich kurz zu sammeln und eine kleine Pause einzulegen. Dies gibt schon den Hinweis, dass nun etwas Neues kommt und in diesem Fall, dass nun die Lehre des Autors, welche man aus diesem Werk herausnehmen soll, erläutert wird. Die ganzen vorigen Strophen haben sich immer klimatisch gesteigert, um jetzt zu der letzten Strophe und somit zur Pointe zu kommen. Auch stehen diese Strophen im Kontrast zur letzteren, da es erst um alles Äußere geht und nun in der vierten Strophe, das Innere erläutert wird.

Die letzte Strophe beginnt mit einer Interjektion „Ach“ (V. 13), welche die darauffolgende Aussage „vergeblich das Fahren!“ (V. 13) nochmal dramatisiert und eine warnende Lehre daraus macht. Die Ellipse „vergeblich das Fahren“ (V. 13) mit der Apostrophe „!“ (V. 13), legt die Konzentration des Satzes auf das „Fahren“ (V. 13), welches nun den Fokus behält und damit die Wichtigkeit dieser Warnung ausdrückt. Im Vers vierzehn finden wir eine Inversion „Spät erst erfahren Sie sich:“ (V. 14) setzt den Fokus auf die wesentliche Aussage des „Später[en]“ (V. 14) Zeitpunktes, welcher eine Metapher für die Weisheit im Alter ist. Der „:“ (V. 14) weist darauf hin, dass nun die Antwort auf die Ich-Findung, welche der Autor erfahren hat, erläutert wird. Darauf folgt mit der Häufung von „bleiben und […] bewahren“ (V. 15) eine Verstärkung auf die Kernaussage, welche auch rhythmisch nochmals verstärkt wird, damit diese einprägsam bleibt. Das „sich umgrenzende Ich“ (V. 16) ist die Kernaussage und steht für alles, was im Inneren passiert. Die Pointe ist hier auch der Wendepunkt, da man nicht reisen müsse, um den Sinn des Lebens zu verstehen, sondern nur in sich selbst mehr hinein sehen.

Abschließend lässt sich eine lehrreiche Aussage aus dem Gedicht von Gottfried Benn herausziehen, nämlich, dass der Mensch nicht die ganze Welt bereisen muss, um sich Selbst zu finden, sondern nur in sein Inneres gehen muss, um den Seelenfrieden zu gewinnen. Obwohl Albert Camus, ein bekannter Philosoph, sagte „Das Reisen führt uns zu uns zurück“, sagt dieses Werk, dass eine Reise in noch so verschiedenen und weit weg liegenden Städten nicht verhelfe, um sich Selbst zu finden. Somit hat Gottfried Benn mit seinem Gedicht ein Werk geschaffen, welches Jedem eine Lehre sein kann, denn wir alle suchen den Sinn des Lebens und versuchen uns Selbst zu finden. Dabei gibt es immer noch viele Personen, welche aus diesem Grund die ganze Welt sehen wollen, weil sie meinen, nur so werden sie zufrieden. Doch dies stimmt nicht, der Schlüssel des Glücks liegt in uns selbst. Wir müssen nur auf unser Inneres hören, um ihn zu finden.

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